Kapitel 23

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» Da wir ja nur noch wenige Stunden miteinander haben, in diesem Schuljahr, werden wir es jetzt etwas langsamer angehen lassen. Ich habe euch ein paar Arbeitsblätter mitgebracht, die ihr in dieser Woche bearbeiten könnt. Was ihr in der Schule nicht schafft, macht ihr bitte zuhause. Ihr habt dafür eine ganze Woche Zeit. Am Freitag werde ich alles einsammeln und bewertet. Die Note wird in das nächste Schuljahr mit einfließen.« Einen lautes raunen ging durch den Raum. » Kommt schon. So schlimm ist es doch nicht. Ihr dürft Hilfsmittel benutzen. Das heißt, Taschenrechner, Bücher und wenn es Fragen gibt, bin ich ja auch noch da. Aber bevor wir anfangen, habe ich noch eine kleine Neuigkeit für euch.«
Ich beobachtete sie unentwegt. Sie strahlte irgendwas aus. Wirkte so gut gelaunt und hörte gar nicht mehr auf zu lächeln. Ob es an mir lag? War sie wegen mir so gut drauf? Blödsinn! Warum sollte ich der Grund dafür sein? Sicher freute sie sich einfach auf die Sommerferien und vielleicht würde sie ja auch in den Urlaub fahren. Ich sollte wirklich aufhören, alles immer auf mich zu beziehen.
» Ich habe euch ja vor einiger Zeit erzählt, dass ich ein verlockendes Angebot erhalten habe. Und ich werde es auch annehmen.« Ich wusste es! Sie wird mich verlassen. Wie konntest du nur so naiv sein. »Allerdings erst nächstes Jahr. Ich werde euch während der 10. Klasse begleiten, und zwar als Klassenlehrerin.« Was? War das nun ihr ernst? Sie bleibt.
Mit einem gewaltigen Ruck, schoss mir so viel Freude durch den Körper, wie ich es schon lange nicht mehr erlebt habe. Ich freute mich so sehr, dass alles in mir zu beben begann und meine Beine weich wurden, wie Pudding. Frau Hinze würde bleiben. Als Klassenleitung. Hier. Bei mir.
» Und nun verteile ich die Arbeitsblätter. Wenn ihr Fragen habt, meldet euch. Ich komme dann zu euch.« 
Mit einem Blick zur Seite, bemerkte ich, dass Frauke mich grinsend ansah. »Siehst du? Bestimmt bleibt sie wegen dir.«, flüsterte sie mir zu. Doch da war ich mich nicht sicher. Sie würde doch ihre Zukunft nicht von mir abhängig machen. Niemals. Aber darüber wollte ich mir nun auch keine weiteren Gedanken machen. Sie bleibt. Und das ist alles, was zählt.

Die Stunden vergingen wie im Flug. Ich verbrachte die meiste Zeit damit, Frau Hinze zu beobachten. Und auch sie sah hin und wieder zu mir. Ein zartes Lächeln schmückte ihr Gesicht. Dann sah sie wieder auf ihr Pult. So ging es ein paar Mal. Dann, endlich, läutete es zur Pause. Die erste Pause. Nun war es soweit. Ich war plötzlich ganz nervös und packte eilig meine Sachen in die Tasche. Als ich fertig war, konnte ich Frau Hinze jedoch nirgendwo sehen. Sie musste schon vor gegangen sein. Also nahm ich meine Tasche und machte mich auf den Weg nach draußen. Um zur Aula zu gelangen, muss ich einmal über den gesamten Schulhof laufen, an der Sporthalle vorbei und dann einen schmalen Weg entlang. 
» Ich warte hier auf dich.«, sagte Frauke, als wir auf dem Schulhof ankamen. Ich nickte ihr zu und machte mich auf den Weg. Je näher ich der Aula kam, desto nervöser wurde ich. Worüber wir wohl reden werden? Keine Ahnung, wie ich mich ihr gegenüber verhalten sollte.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, stand ich vor der Tür und atmete noch einmal tief durch. Dann öffnete ich die Tür und trat hinein. Die Aula war leer. Frau Hinze war nirgendwo zu sehen. Ich beschloss, meine Tasche abzulegen und mich an einen der Tische zu setzen.
Ich erinnerte mich, wie ich mir zum ersten Mal über meine Gefühle klar wurde. Es war vor fast 2 Jahren. Unsere Stufe hatte ein Musikprojekt. Wir mussten uns in vielen Gruppen einteilen, um Szenen für ein Musical einzustudieren. 

» Ihr habt genau 4 Tage zeit. Am Freitag treffen wir uns alle am Abend in der Stadthalle. Die genauen Informationen bekommt ihr nachher von eurem Gruppenleiter mitgeteilt.«
Ich war mal wieder in einer Gruppe mit Menschen, die mich nicht mochten. Dies beruhte jedoch auf Gegenseitigkeit. Unsere Gruppe hatte eine Szene, die ziemlich weit am Ende des Stücks an der Reihe war. Weil ich ohnehin so schüchtern war, wählte ich eine Rolle, die kaum Text hatte. Das einzige, was ich sagen musste, war: Wirklich schön. Wir sollten öfter her kommen. 
Mehr musste ich, zum Glück, nicht sagen. Wahrscheinlich würde ich vor Aufregung sowieso kein Wort heraus bekommen. 
» Bitte bringt euch bequeme Kleidung und ausreichend zu trinken mit. Die Proben gehen von 8 Uhr bis 16 Uhr. Die Pausen werden individuell eingerichtet. Die Mittagspause dauert eine Stunde.« Nachdem sich meine Gruppe endlich eingefunden hat, beobachtete ich die anderen. Es herrschte ein riesiges Durcheinander. Alle liefen wild umher und schrien sich gegenseitig irgend etwas zu. Irgendwann bemerkte ich sie dann. Sie stand direkt an der Bühne und unterhielt sich mit anderen Lehrern. Wie sie dort stand. Schon vorher habe ich bemerkt, dass ich ständig ihre Nähe suchte. Das mein Bauch kribbelte, wenn sie in der Nähe war. Wenn sie mich berührte, ich ihre Stimme hörte, oder sie an mir vorbei lief und ihren wundervollen Duft zurückließ. Doch nun wurde es mir endlich klar. Als ich sie dort stehen sah. Ich war verliebt. Verliebt in meine Lehrerin. 

Ein lautes knarren riss mich aus meinen Gedanken und ließ meine Erinnerung sofort verblassen. Frau Hinze schloss die Tür hinter sich und kam langsam auf mich zu. »Du bist schon da? Ich hoffe, du hast nicht zu lange gewartet.« Nun stand sie vor mir und legte ihre Jacke über die Stuhllehne und setzte sich dann mir gegenüber. Zwischen uns nur noch der Tisch.
» Nein. Alles in Ordnung.« Sie lächelte. Sofort fingen die Schmetterlinge wieder an, ihre Kreise in meinem Magen zu ziehen. » Tja. Da wären wir nun.« Ihre Stimme klang sicher und selbstbewusst. Herrje, wo nahm sie bloß immer diese Selbstsicherheit her? Ich dagegen war der reinste Nervenbündel. » Sie bleiben also?«, fragte ich sie, um endlich einen ersten Schritt zu wagen. » Ja, ich bleibe.« Ich nickte leicht und biss mir auf die Unterlippe. Gott, war ich nervös. Sie musterte mich unauffällig, doch ich spürte ihren Blick auf mir ruhen, während ich verlegen zu Boden sah. » Also...« » Also..«, wiederholte sie mich. Könnte es noch peinlicher sein?
» Ich...ähm. Also, was ist das nun?...zwischen uns?«, fragte ich sie. Meine Unsicherheit war kaum zu überhören. » Ich weiß es nicht, Emily. Ich weiß nur, das du mir seit dem Kuss am See nicht mehr aus dem Kopf gehst. Ich muss ständig an dich denken.« Bei diesem Satz musste ich einfach lächeln. Sie dachte an mich. » Es verunsichert mich. Mit sowas habe ich nicht gerechnet.« Sie war verunsichert? Die starke Frau, die gerade noch so selbstbewusst vor mir saß? » Ich denke auch ständig an Sie.« Nun huschte ihr ein Lächeln über die Lippen. » Was stellst du dir denn nun vor? Du bist immerhin meine Schülerin. Und das wirst du auch erstmal bleiben. Zumindest noch ein ganzes Jahr.« Das Lächeln verschwand. Daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Ich war so glücklich, dass sie an der Schule bleiben würde. Dabei macht es das Ganze doch nur schwieriger. Wenn sie jetzt gegangen wäre, dann hätten wir eine Chance gehabt. Aber nun? » Ich bin in Sie verliebt. Ich möchte einfach in Ihrer Nähe sein. Mit Ihnen...« Sprich es aus. Nun sprich es doch einfach aus. »..zusammen sein.« Geht doch. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Es schien, als würde sie genau über meine Worte nachdenken. » Das ist nicht möglich. Wir können nicht...zusammen sein, Emily. Das geht nicht.« Und BÄM! Meine Seifenblase ist zerplatzt. » Versteh mich nicht falsch. Ich fühle mich zu dir hingezogen. Irgend etwas löst du in mir aus. Aber ich kann deswegen nicht unsere Zukunft aufs Spiel setzen.« Was habe ich denn bitte anderes erwartet? Ich fühlte mich plötzlich so elend. Warum musste es so kompliziert sein? 
Als wir den Gong zum Pausenende hörten, sahen wir beide erschrocken zur Decke, als würden wir die Glocke suchen, die über uns geschlagen hat. Das Gespräch war vorbei. Wir mussten nun wieder in den Unterricht. 
» Und jetzt?«, fragte ich sie. Sie stand auf und zog sich ihre Jacke an. Ich tat es ihr gleich und blieb dann vor ihr stehen. » Lass mich darüber nachdenken, okay?« Frau Hinze trat einen Schritt auf mich zu und nahm meine Hände in ihre. Langsam beugte sie sich zu mir nach vorn. Unsere Gesichter kamen einander näher und ich spürte ihren Atem auf meinen Lippen. Mein Puls stieg, das Herz raste und das Blut schoss mir in den Kopf. Dann berührten sich zärtlich unsere Lippen und wir küssten uns. Ganz vorsichtig und sanft, als hätten wir Angst, etwas kaputt zu machen. Dennoch wirkte es so unglaublich stark. Eine gewaltige Kraft an Gefühlen traf mich. Frau Hinze löste sich langsam aus unserem Kuss und sah mir in die Augen. » Wir müssen jetzt gehen. Lass mich eine Nacht darüber schlafen.« Als Antwort nickte ich ihr bloß zu, denn zu mehr war ich gerade nicht in der Lage. » Bis morgen. Hab einen schönen Tag.« Sie schenkte mir ihr wunderschönstes Lächeln und ließ langsam meine Hände los. Dann drehte sie sich um und ging zur Tür. » Ihnen auch.«, rief ich ihr noch eilig hinterher. Bevor sie die Tür öffnete, drehte sie sich noch einmal zu mir. » Silke. Aber nur, wenn wir alleine sind.« Dann war sie verschwunden. Von meinen Gefühlen überflutet, ließ ich mich wieder auf den Stuhl fallen, auf dem ich zuvor gesessen habe. Silke. 

 

 

Gefährlicher Kuss (girlxgirl) #Wattys2017Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt