Die Bibliothek

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Als der Unterricht schließlich endete, ging Hime mit schnellen Schritten – und gesenkten Blickes – zur Schulbibliothek, um dort ein Buch abzugeben, das sie sich vor drei Wochen ausgeliehen hatte. Sie wollte gerade die schweren Türen aufstoßen, da bemerkte sie plötzlich – es war beinahe nicht mehr als ein Gefühl, eine vage Ahnung – eine Gestalt, die vor den großen Fenstern stand, im Gang, einige Meter von ihr entfernt.

Als sie den Blick hob, sah sie, dass Azusa dort am Fensterbrett stand, und dass er ebenfalls auf sie aufmerksam geworden war. Sein Blick jedoch war schwer zu deuten. Falls er denn überhaupt etwas bedeutete. Das ließ sich nicht mit Sicherheit sagen.

Unsicher hielt Hime inne. Warum eigentlich? Was erwarte ich?, fragte sie sich schon im selben Augenblick verwundert, verharrte jedoch abwartend.

Gerade, als Azusa offenbar einen Schritt auf sie zu machen wollte, mischte sich eine weitere, herrische Stimme unter die vielen anderen, die die Stille füllten.

„Hey, Azusa! Steh' da nicht so rum und komm' endlich!" Im nächsten Augenblick trat eine weitere Person in Himes Sichtfeld, ein großgewachsener junger Mann mit langen Haaren und einem hinreichend genervten Gesichtsausdruck. Als sich seine Hand um Azusas Arm schloss, fiel sein Blick auf Hime, doch der Moment dauerte nur kurz an. Schon im nächsten Augenblick hatte er Azusa hinter sich her über den Gang gezogen.

Hime musste aus irgendeinem Grund über das, was sie gerade eben gesehen hatte, schmunzeln, dann wandte sie sich wieder der Tür zu und schob sie endlich auf.

Es war eine Bibliothek wie in einem Bilderbuch. Riesige Regale, die bis zur hohen Decke reichten, gefüllt mit mehr Büchern, als ein einziger Mensch jemals lesen könnte. So zumindest schien es. Die altmodischen Kronleuchter tauchten diesen Raum in ein angenehmes Licht und unterstrichen dieses mystische Ambiente.

Nachdem Hime das geliehene Buch zurückgegeben hatte, machte sie sich sogleich wieder auf die Suche nach einer neuen Lektüre, mit der sie das Wochenende verbringen konnte. Vielleicht ein Buch über die Kamakura-Zeit, die etwa sieben-bis neunhundert Jahre in der Vergangenheit lag? Oder doch lieber eines über die mittelalterlichen Glaubenskriege, die im Orient sowie im fernen Mitteleuropa geführt worden waren?

Sehr zu Himes Bedauern mangelte es der Bibliothek sehr an historischen Romanen, die in ihren Augen unterhaltsamste Art, etwas über die Vergangenheit zu erfahren. Aber wahrscheinlich ist das hier ohnehin vertrauenswürdiger, dachte sie sich schließlich mit einem fröhlichen Lächeln und zog ein herkömmliches Geschichtsbuch aus dem Regal, warf einen zufriedenen Blick auf den hübsch gestalteten Einband.

„Hime ..."

So ruhig und leise die Stimme auch war, Hime fuhr so heftig zusammen, dass sie das Buch vor Schreck fallen ließ. Als sie sich dann umdrehte, atmete sie erleichtert auf.

„ ...-sama", setzte Azusa da noch mit einem beinahe verschmitzten Lächeln hinzu.

„Meine Güte", seufzte Hime als sie begriff, wer da mit einem Mal hinter ihr gestanden hatte, und hob das Buch wieder auf, überprüfte fahrig die dünnen Seiten, doch offenbar hatte ihre neue Lektüre keinen Schaden genommen. „Was machst du denn hier?", wollte sie schließlich verwundert wissen. „Und ... hör' bitte auf, mich Hime-sama zu nennen", fügte sie noch hinzu, verschränkte die Arme vor der Brust. „Das ist echt ... peinlich."

Für einen Moment schien Azusa sich über ihre Worte zu wundern, doch dann nickte er und wieder schlich sich ein knappes Lächeln auf seine Züge. „In Ordnung ... Hime-san."

Einen Augenblick lang sah Hime ihn einfach nur an, dann atmete sie tief durch. Okay, ich glaube, da ist echt alles verloren, dachte sie müde. Aber es ist schon ein bisschen besser. „Also ... was machst du hier? Bist du vorhin nicht schon gegangen?", wollte sie nun freundlich wissen.

Diabolik Lovers ~ Bloody IncisionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt