Tiefe Wunden

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Am darauffolgenden Abend stieg Hime regelrecht zappelig in den Bus ein, der sie immer zur Schule brachte, und setzte sich dort auf einen freien Fensterplatz. Sie fragte sich, wie sie die Schulstunden an diesem Tag überstehen sollte. Sie hatte die vergangene Nacht eine lange Zeit nicht einschlafen können, weil sie an Azusa denken musste. Als sie am Morgen aufgewacht war, hatte sie sich unglaublich darauf gefreut, ihn wiederzusehen.

Ich glaube, so verliebt war ich noch nie in meinem Leben, dachte sie, während sie die vorbeiziehende, in dunkles Blau getauchte Landschaft beobachtete.

Wirklich, wie sollte sie in der Schule noch am Japanisch-und Physikunterricht teilnehmen, wenn sie mit ihren Gedanken die ganze Zeit über woanders war?

Sie wollte nur noch Azusa sehen, ihn umarmen, ihn küssen ... Zeit mit ihm verbringen. Vielleicht konnte sie nach der Schule wieder mit ihm nach Hause gehen? Allein der Gedanke ließ Himes Herz freudig hüpfen, sodass sie kaum noch stillsitzen konnte.

Jede einzelne Sekunde mit ihm kam ihr so unglaublich kostbar vor, aber leider währten diese Augenblicke der Zweisamkeit für ihren Geschmack niemals lang genug. Stets kam irgendetwas dazwischen ... und sei es einfach nur die Zeit, die ungefragt weiterlief, und das Leben selbst, das ab und an wieder ihre Aufmerksamkeit forderte, zum Beispiel, wenn sie, wie an diesem Tag, eine Physikarbeit schreiben musste.

Ich bin wirklich total verknallt, schoss es Hime plötzlich durch den Kopf und sie musste grinsen. Jeder, der ihre Gedanken hätte lesen können, hätte sie vermutlich für vollkommen bescheuert gehalten. Ja, Hormone und Gefühle verwandelten Menschen tatsächlich in sehr merkwürdige Gestalten. Für Außenstehende.

Aber Hime konnte und wollte es nicht leugnen. Sie liebte Azusa eben. Noch nie war das Bedürfnis, einer anderen Person nahe zu sein, so groß gewesen.

Sie seufzte und legte ihre Schläfe an das kühle Fensterglas und drückte ihre Schultasche an sich, auch wenn das nicht besonders bequem war.

Wie verrückt das alles war ... wie viel Zeit war vergangen? Eine Woche? Zwei? Es war so viel geschehen, die Ereignisse hatten sich ja regelrecht überschlagen, im Grunde reichten sie ohne Weiteres für mehrere Monate. Falls die Information, dass es tatsächlich blutsaugende Vampire gab, denn überhaupt jemals wirklich zu verarbeiten war.

Denn allein das war schon ein harter Brocken. Nicht, dass Hime irgendwen für seine wahrscheinlich angeborenen Bedürfnisse verurteilen wollte, aber allein das Wissen um die Möglichkeit, dass es Wesen gab, die vielleicht nach ihrem lebenswichtigen Blut trachteten – und dabei dachte sie nicht an Azusa – war schwer zu verdauen und, wenn man länger darüber nachdachte, durchaus beunruhigend.

Aber hey, dachte Hime sich schließlich und zuckte gedanklich mit den Schultern. Es gibt auch unter uns Menschen genug Verrückte, die irgendwo aus irgendeinem Grund Amok laufen ... dagegen sind Vampire doch schon beinahe harmlos. Und bei diesem Gedankengang beließ sie es schließlich.

Als der Bus an der Haltestelle zum Stehen kam, stieg Hime aus und sah sich suchend um. Azusa hatte ihr versprochen, sie abzuholen, um sie sicher zur Schule zu bringen. Sie alle, also Azusas Brüder und Noriko, hatten ihr eingeschärft, auf keinen Fall alleine zu gehen.

Doch nun war Hime verunsichert. Azusa war noch nicht da, aber zusammen mit ihr waren auch noch zwei Jungen und drei Mädchen ausgestiegen, die sich nun auf den Weg zur Schule machten. Sie würden den Umweg über die asphaltierte Straße nehmen, schätzte Hime. Das bedeutete, sie würde Azusa nicht über den Weg laufen, wenn sie sich ihren Mitschülern anschloss, denn ihm hatte sie nur den Trampelpfad gezeigt.

Andererseits sollte sie sich nur zusammen mit anderen bewegen, um sich vor den Übergriffen der Vampire zu schützen, auch das hatten sie Hime am vergangenen Tag noch mit auf den Weg gegeben wie einem Grundschulkind. Sie sollte auf gar keinen Fall alleine bleiben.

Diabolik Lovers ~ Bloody IncisionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt