10. Weed, Weed, Weed (Oh And Unicorns;))

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~If I lay here If I just lay here would you lie with me and just forget the world~
- Chasing Cars, The Wind and The Wave

Nicht einmal high hätte ich das Gebäude übersehen können. Natürlich weiß ich überhaupt nicht wie es ist high zu sein, denn Gras ist böse, Kinder. Gras ist böse. Trotzdem war das Haus, zu dem mich das Navi führte, so grell bunt, als hätte man es ihn eine riesige Packung Skittles getunkt (Reim nicht beabsichtigt! Fands aber ganz lustig :)). Die Vordertür war mit riesigen fake Süßigkeiten vollgeklebt, sodass ich mich wie bei Hänsel und Gretel fühlte. Ich hätte damit gerechnet, dass die Frau, die mir öffnete, alt und schrullig war und keine Zähne mehr hatte. Doch sie war jung und trug ein rosafarbenes Haarband, dass sich furchtbar mit ihren roten Haaren biss. Immerhin keine Hexe. Doch nach dem ersten Satz, den sie von sich gab, wünschte ich sie wäre bewarzt, schrumplig und zahnlos.

„Allerherzlichstes Willkommen zur integrativen Lerngruppe für Kinder bis zum Vorschulalter." Sie sprach mit einer hohen, näselnden und nervtötenden Stimme. Dabei lächelte sie so irre, dass ich unwillkürlich wieder an Gras denken musste. Da dies aber in einer „integrativen Gruppe für ist mir scheißegal wen" nicht besonders angebracht ist, schob ich diesen Gedanken beiseite.

Als ich den Gruppenraum betrat, musste ich einen Würgereflex unterdrücken. Ich habe prinzipiell nichts gegen eine kinderfreundliche Umgebung, aber diesen Raum hier hätte selbst Rapunzel nicht freiwillig betreten. Das Motto: Rosa. Es zog sich von den Vorhängen, über die Tapete (mit einem bezaubernden, riesigen, ebenfalls rosafarbenen Schloss), bis hin zum Sofa, dass über und über mit (wer hätte es gedacht?) pinken, lila und rosa Kissen bedeckt war. Der ganze Raum sah aus, als sei ein riesiges Einhorn explodiert und habe seine pinken, glitzernden und flauschigen Innereien überall verteilt. Und um nochmal das Thema Einhorn aufzugreifen... SIE WAREN ÜBERALL!!!

Fassungslos starrte ich Lily und Luna an. Auch sie wirkten nicht besonders begeistert. „Und hier müsst ihr jede Woche hin?", fragte ich die beiden mitfühlend und streichelte Lily über den Kopf. Diese nickte einfach nur. Wahrscheinlich wusste sie selbst nicht wieso unsere Eltern ihnen so etwas antaten. Luna jedoch meinte: „Claire ist hier." Sie lief hinüber zu einem Mädchen, das auf dem Schoss eines schief grinsenden, mir nur allzu bekannten Jungen saß. Ich traute meinen Augen nicht, doch er war es wirklich. Neben einem riesigen Plüscheinhorn wirkte er gar nicht mal mehr so riesig.

„Quil?! Was hat dich den in das innere von Tinkerbells Vagina verschlagen?" Er öffnete den Mund, doch ich hob abwehrend die Hand. „Spar dir den Kommentar. Ich bin gerade wegen Zuckerschocks nicht zurechnungsfähig und darf deshalb in einer Kinderkrabbelgruppe das Wort Vagina benutzen." Ich ließ mich neben ihn und das Einhorn auf das Sofa fallen.

„Was machst du denn hier? Sonst gehen deine Eltern doch immer mit den Zwillingen zur Krabbelgruppe?"

„Das ist meine Bestrafung."

„Bestrafung wofür?"

„Dafür, dass ich gestern so lange draußen war." Ich seufzte und lehnte mich gegen das Einhorn. „Echt jetzt?"

„Ja, meine Eltern sind ziemlich schlimm. Sie schicken mich an einen Ort, an dem man mit dem Superlativ von 'Herzlich Willkommen' begrüßt wird. Ich meine allerherzlichstes Willkommen!? Wusstest du überhaupt das, das geht?"

„Ja, wenn man hier das erste mal hinkommt ist es echt ein bisschen als wäre man high oder so." Ich starrte ihn mit großen Augen an. „Ist alles okay?", fragte er mich leicht argwöhnisch. „Nein... ich meine ja mir geht's gut. Aber jetzt mal ernsthaft, genau das war auch mein erster Gedanke." Wir begannen beide zu lachen.        

Als Claire, die immer noch auf Quils Schoss saß, auch noch leise fragte: „Was ist Vagina?", war es um mich geschehen und ich wäre vor Lachen vom Sofa gefallen, wenn Quil mich nicht festgehalten hätte.

„Wie schön, dass ihr alle wieder dabei seid um mit Frohsinn und Spaß zu lernen. An alle Eltern und... andere die mich noch nicht kennen: Mein Name ist Maddy und ich begrüße sie ganz herzlich zur integrativen Lerngruppe für Kinder bis zum Vorschulalter." Die rothaarige Frau hatte sich in die Mitte des Raumes auf ein Kissen gekniet und ich hatte das Gefühl, dass sie bei dem Wort „Andere" ganz besonders mich und Quil anschaute. Ich biss mir krampfhaft auf die Lippe um nicht wieder loszuprusten.

„Heute werden die Kinder lernen mit Farbe abstrakte Kunst hervorzubringen. Selbstverständlich ist es den Eltern und nicht Eltern erlaubt den Kindern zu helfen." Mit diesen Worten holte sie einen riesigen Kasten mit Buntstiften raus.

„Kann sie nicht einfach sagen: Heute schauen wir kleinen Kindern dabei zu, wie sie Buntstifte verschlucken, Papier aufessen und ganz eventuell mit viel Glück dabei zusehen dürfen, wie sie sogar auf dem Papier malen." Quil quitierte meine Bemerkung mit einem Grinsen. „Jetzt mal Spaß beiseite. Was machst du hier eigentlich? Warum bringen Claire's Eltern sie nicht zur integrativen Gruppe für..."

„für Kinder bis zum Vorschulalter? Ihre Eltern haben keine Zeit, deshalb bringe ich sie immer hierher." Ich starrte ihn fassungslos an. Soweit ich wusste ging dieses Spielgruppendings schon ein halbes Jahr. Wie konnte jemand freiwillig das Kind eines Anderen jeden Sonntag hierher bringen?

„Du musst Claire echt gern haben, wenn du sie jede Woche hierherbringst." Quil antwortete nicht. Er hatte sich zu Claire heruntergebeugt und nahm ihr das Blatt aus den Händen, das sie in den Mund zu stecken versuchte (Was hab ich gesagt?). Ich sah mich nach Lily und Luna um, die sich überhaupt nicht für die Buntstifte zu interessieren schienen. Halbherzig versuchte ich sie für abstrakte Kunst zu begeistern. Nach kurzer Zeit hatte ich keinen Bock mehr. Ich suchte mir einen Stift, der noch nicht von irgendeinem Kind angelullert worden war und begann zu kritzeln.

„Was hast du denn geraucht?", fragte Quil, als er meine Zeichnung sah. Ich hatte ein Einhorn gezeichnet. Allmählich begann diese Umgebung wirklich mein Hirn aufzuweichen, also verurteilt mich bitte nicht, Leute. Das Einhorn hatte eine bunte Mähne und einen ziemlich dicken Bauch. Daneben hatte ich „Naschbrettbauch" geschrieben. „Wieso denn?" Ich sah ihn verwirrt an. „Das ist Fluffy, das Einhorn. Es isst, was es will und wird davon fett."

„Ach so, deswegen auch die Tränen, weil es traurig ist, dass es so fett ist."

„Um Gottes Willen, Quil! Denkst du etwa Fluffy ist eine Frau? Es weiß, dass es nicht schlimm ist fett zu sein und die Hälfte kommt eh von seinem flauschigen Haar. Fluffy benutzt nämlich ein Shampoo mit extra Fluffigkeitsfaktor. Es ist traurig, weil es ganz alleine ist und keine Freunde hat, deswegen musst du ihm jetzt einen Freund malen."

Ich hielt ihm das Blatt und den Stift hin. „Wow, du hast echt ziemlich einen an der Waffel", sagte er, nahm das Blatt jedoch entgegen. Er begann zu zeichnen. Während er etwas malte, das einer Kuh mit Gehirntumor ähnelte, murmelte er vor sich hin. „Oh man, wenn Paul das hier sehen würde."

„Äh, was?", fragte ich verwirrt. „Na ja, Paul mag keine Einhörner. Wusstest du das nicht?" Ich schaute ihn empört an: „Wie kann man keine Einhörner mögen?", fragte ich fassungslos.

„Na gut, das hier ist echt ein bisschen viel des Guten und wenn ich nach hause komme, werde ich vermutlich für einige Zeit ein ziemliches Trauma haben, aber jetzt mal ernsthaft. Gar keine Einhörner?!"

„Nope, gar keine Einhörner. Aber abgesehen davon ist er eigentlich ein ganz netter Typ. Okay, er hat manchmal seine Ausraster, aber das kriegt er inzwischen schon viel besser hin."

„Wieso erzählst du mir das?", fragte ich leicht genervt. Das klang beinahe so als wolle er mich mit Paul verkuppeln, oder so. Lachhaft. Vielleicht hatten das ganze Rosa und die Einhörner auch einfach sein Gehirn zersetzt. Genau wie meines. „Ist dir noch nicht aufgefallen, dass er dich mag. Er ist einer meiner besten Freunde, also denk bitte einfach nochmal darüber nach."

I just wanna hate youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt