17. In His Arms

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~But now we're sleepin' near the edge holding something we don't need~
- Let It Go, James Bay

Als ich meine Augen wieder öffnete, sah ich alles um mich herum nur verschwommen. Ich musste mit dem Kopf auf dem Boden aufgeschlagen sein, denn er schmerzte höllisch. Ein dumpfes Stechen als würde mir jemand immer und immer wieder mit einem Hammer gegen die Schläfe schlagen. Blinzelnd versuchte ich mich aufzurichten, doch es gelang mir nicht. Was war gerade passiert. War ich überfahren worden? War ich überhaupt noch am leben? Meine Ellenbogen waren aufgeschrammt und blutig, also ging ich mal davon aus, dass ich lebte. Oder blutete man immer noch weiter, wenn man tot war?
Meine Ohren, die bis eben noch vehement den Dienst verweigert hatten, meldeten sich nun und ich hörte dumpf eine Autotür zuschlagen. Aber da war noch etwas anderes. Etwas, das ich erst gar nicht bemerkt hatte, obwohl seine Pfote auf meinem Oberschenkel lag.
Ein riesiger Wolf lag dort vor dem Auto und winselte leise vor sich hin. Das Auto hatte ihn an der Seite und an der Schulter erwischt und ich glaube ich hab in meinem Leben noch nie soviel Blut gesehen. Meine Augen glitten zum Gesicht des Tiers. Es hatte braune Augen und ich war mir sicher darin Paul zu erkennen. Er hatte also die Wahrheit gesagt, der Idiot.
Ich wollte zu ihm in berühren und gleichzeitig anschreien warum er mein Leben für wichtiger hielt als sein eigenes. Doch als ich mich bewegte wurde der Schmerz in meinem Kopf unerträglich und dann wurde wieder alles Dunkel.

Meine Träume waren wirr und wanden sich alle um einen großen weißen Wolf, der versuchte mich zu beißen, doch ich schaffte es jedes Mal in letzter Sekunde ihm zu entkommen.

Als ich aufwachte, waren meine Kopfschmerzen größtenteils verschwunden, doch meine Glieder fühlten sich merkwürdig stumpf an. So als ob ich mich eine Weile nicht bewegt hätte.
Aus den Augenwinkeln schaute ich mich um und sah einen grün gestrichenen Raum. Über meinem Bett hing eine Art Schlaufe, die so aussah als könne man sich ausgezeichnet an ihr hochziehen. Ich ging davon aus, dass ich mich in einem Krankenhaus befand und der Tropf neben meinem Bett schien diese Theorie zu bestätigen.
Außerhalb meines Blickfelds raschelte etwas und ich drehte ruckartig den Kopf in die Richtung aus der das Geräusch kam. Doch das war ein Fehler, denn auf einen Schlag waren die Kopfschmerzen wieder da. Ich stöhnte leise und fasste mir unwillkürlich an die Schläfe.
„Gott sei Dank, du bist endlich wach. Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht. Vor ein Auto laufen, das ist mal wieder typisch."
„Was?", fragte ich und sah perplex in die besorgten, dunklen Augen meiner Mutter.
„Als Jacob uns angerufen hat, sind wir natürlich sofort losgefahren. Aber es war ja auch schon spät gestern Abend. Sie haben Alkohol in deinem Blut festgestellt. Hast du viel getrunken? Bist du deshalb vors Auto gelaufen?"
„Was? Nein!"
„Schatz, wenn du über irgendwas reden willst, bin ich immer für dich da. Das weißt du. Ich war auch mal jung. Hab ich dir von dem Mal erzählt, als ich wegen deines Dads Liebeskummer hatte und anschließend mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus gelandet bin? Witzige Geschichte, da war ich ungefähr..." Doch ich würde wohl vorerst nicht erfahren wie die Geschichte weiterging, denn in genau dem Moment öffnete mein Bruder die Tür und kam mit zwei große Tassen Kaffee in der Hand herein. Eine davon gab eine davon Mum in die Hand und die andere behielt er.

„Du bist wach", stellte er fest und setzte sich in den anderen freien Stuhl. Dann begann er lautstark seinen Kaffee zu schlürfen.
„Könnte mir bitte jemand erklären, was zum Teufel hier eigentlich los ist? Und Luke, bitte trink leiser. Du klingst wie ein... ein..." Die Kopfschmerzen verhinderten leider, dass mir ein passender Vergleich einfiel.
„Ist schon gut Schwesterchen, wir haben alle mal unsere schwachen Momente."
Er strich mir über die Haare und ich schlug seine Hand weg. Um uns davon abzuhalten, dass wir anfingen uns zu streiten, erzählte Mum, was eigentlich passiert.
Sie sagte, ich sei von einem Auto angefahren worden. Daran erinnerte ich mich noch, doch einen Wolf erwähnte sie nicht. Sie sagte dort, wo sie mich fanden, sei überall Blut gewesen, doch es hatte nicht von mir gestammt. Um halb eins hatten sie einen Anruf erhalten und jemand hatte ihnen erklärt, was passiert sei. Daraufhin entschieden sie, dass Dad zu Hause blieb und auf die Zwillinge aufpasste, während sie und Luke ins Krankenhaus führen. Man hatte ihnen mitgeteilt, dass ich eine Gehirnerschütterung und einen angebrochenen Unterarm hatte, mir aber sonst nichts passiert sei. Dies grenzte beinahe an ein Wunder angesichts des Totalschadens, den das Auto von sich getragen hatte. Es schien ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, dass ich noch lebte. Doch hier lag ich, in einem weißen Bett im Krankenhaus, am Leben und wusste ganz genau, wem ich das zu verdanken hatte. Und auf einmal kam mir der Gedanke, dass ich mit ihm reden musste. Doch war er überhaupt noch am Leben. Mum hatte nichts von der Leiche eines riesigen Wolfes am Unfallort gesagt. Doch da war Blut gewesen. Auf einmal wurde mir schlecht und ich musste die Augen schließen um mich nicht zu übergeben.
Er war ohne zu zögern vor das Auto gelaufen, um mich zu beschützen. Einfach so und ich konnte mich vielleicht nicht einmal mehr bei ihm bedanken.
Eine Schwester kam herein, sah dass ich wach war und holte eine Ärztin. Diese sah sich meinen Arm an und ich bekam einen Gips, anstelle des provisorischen Verbands, den ich vorher getragen hatte. Sie sagte auch, dass ich noch ein paar Tage zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben müsse, da man warten müsse bis mein Gehirn abgeschwollen war, um festzustellen, ob ich bleibende Schäden erlitten hatte.
Irgendwann im Laufe des Vormittags gingen Mum und Luke nach Hause. Doch Mum versprach mir, dass Dad später noch vorbeikommen würde. Als die Schwester nun das zweite Mal hereinkam um Besuch anzukündigen, erwartete ich dementsprechend, dass es mein Vater war. Doch ganz bestimmt rechnete ich nicht damit Paul zu sehen. Unsicher stand er in der Tür und wirkte irgendwie verloren. Ich starrte ihn, nicht ganz sicher ob ich lachen, weinen oder ihn erwürgen sollte.
Dann stand ich ganz langsam und behutsam auf. Meine Beine zitterten leicht unter der überraschend schweren Last meines Körpers. Zögernd kam er auf mich zu, bis wir direkt voreinander standen. Ich schaute hoch in seine braunen Augen und auf einmal wurde mir bewusst, wie furchtbar ich eigentlich aussehen musste. Meine Haare waren nicht gekämmt, ich war ungeschminkt (obwohl das bei mir keine Seltenheit war) und ich war mir nicht ganz sicher inwiefern sich meine Verletzungen über mein Gesicht erstreckten. Doch Paul schien das nicht besonders zu stören. Er streckte eine Hand aus, wie um mich zu berühren, ließ sie dann aber sofort wieder sinken. Was als nächstes geschah werde ich zu meiner eigenen psychischen Gesundheit den Schmerzmitteln zuschieben. Denn auf einmal schossen mir  Tränen in die Augen und ich schlang meine Arme um seinen Hals. Warum fing ich eigentlich in letzter Zeit immer an zu heulen? Vorsichtig strich er mir über den Rücken.
„Ich dachte du wärst tot", schluchzte ich in seine Schulter. Dann schlug ich im gegen den Oberarm.
„Du Idiot."
Er lachte leise, antwortete jedoch nicht. Irgendwie landeten wir beide schließlich auf meinem Bett. Ich lag halb auf ihm, während er seine Arme um meine Hüfte geschlungen hatte. Mit dem Daumen malte er Kreise auf meinen unteren Rücken. Keiner von uns beiden traute sich irgendetwas zu sagen. Schließlich brach ich das Schweigen.

„Warum bist du eigentlich nicht verletzt?", fragte ich leise.

Er schien kurz zu überlegen bevor er antwortete.

„Du weißt noch, was ich dir erzählt habe, bevor... bevor dich das Auto angefahren hat, oder?"

Ich nickte stumm.

„Und du glaubst mir jetzt?"

Wieder nickte ich.

Er seufzte leise. „Werwölfe heilen viel schneller, als normale Menschen. Ich weiß nicht woran das liegt, aber das ist irgendwie so."

„Wow, sehr präzise, Sherlock", lachte ich in seine Brust.

I just wanna hate youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt