Am Rande der Verzweiflung

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America:
Ich gehe das rote Podest hinunter und schiebe mich durch die Menschenmenge in die hinterste Ecke gegenüber von dem Podest, um die Verlobungsfeier stillschweigend über mich ergehen zu lassen. Immer wieder legen mir Leute kurz ihre Hand auf die Schulter und schauen mich mit einem mitleidigen Blick an, doch ich ignoriere sie. In der Ecke werde ich sicher vor den Blicken und Fragen der Gäste und Reporter sein, doch auf halber Strecke treffe ich auf Celeste, welche mich an meinem Oberarm packt, mich aus dem Thronsaal schiebt und mit mir in den nächstbesten Waschraum verschwindet.
Kaum hat sie die Tür hintern uns geschlossen, sprudelt sich schon mit ihren Fragen los. „Was ist passiert?! Warum hat Maxon Kriss genommen und nicht dich?! Wir alle dachten doch, du würdest gewinnen! Dass du Maxon heiratest und Prinzessin und später Königin wirst!", fragt Celeste aufgeregt, doch ich sacke endgültig zusammen und fange an zu weinen. Jetzt wo wir alleine sind, kann ich meinen Tränen endlich freien Lauf lassen. Ich kann nicht mehr! Warum musste mir das passieren? „Hey! Was ist den passiert?", fragt sie jetzt mitfühlender. Sie hockt sich zu mir auf den Boden und nimmt mich in den Arm. „Gestern Abend... Maxon war bei mir... und dann Aspen... Maxon hat das alles falsch verstanden!" Ich stottere mehr als alles andere und ich bezweifle, dass Celeste es überhaupt verstanden hat, aber das ist mir egal. Ich will so schnell wie möglichst nach Hause und mich unter der Bettdecke verkriechen, um das alles hier zu vergessen. Ich will mich nie wieder an all das hier zurückerinnern. „America du musst deutlicher sprechen. Ich verstehe dich kaum und wer ist Aspen?" Celeste redet ruhig und schaut mich sorgenvoll an. „Ich...Aspen ist ...", doch ich bekomme keinen ganzen Satz zusammen und schon gar nicht das, was gestern Abend passiert ist. Es ist noch zu frisch, die Wunde zu tief, um darüber reden zu können. Noch fühlt sich alles wie ein schlechter Traum an und wenn ich es laut spreche, wird es endgültig wahr, unumkehrbar. „Ich will nach Hause!" Jammere ich, doch Celeste widerspricht mir. „Das geht nicht America. Unser Flug geht erst in einer Stunde und außerdem müssen wir jeder noch ein Interview geben. Sie wollen jedes ehemaliges Elitemitglied fragen, wie die Zeit im Palast war und ob sie finden, dass Maxon die richtige Entscheidung getroffen hat. Anschließend ist noch die Verlobungsfeier. So leid es mir auch tut, aber du kannst noch nicht nach Hause." Ihre Augen schauen mich mit so viel Mitgefühl und Mitleid an, dass erneut die Tränen hervorkommen. Ich schluchzte verzweifelt und vergrabe mein Gesicht in den Händen. Celeste umarmt mich fest und streicht mir über den Rücken.
Na toll, jetzt soll ich auch noch ein Interview geben! Die Welt meint es wirklich nicht gut mit mir. Ich bin dafür bei Weitem nicht in der Verfassung. Meine Augen sind rot und geschwollen und mein Kleid ist voll mit Tränentropfen, die Wasserränder auf dem Stoff hinterlassen haben. Außerdem kriege ich kaum einen Satz raus, also schaffe ich ganz bestimmt kein ganzes Interview über die Zeit im Palast, über Maxon und seine Entscheidung. Maxon... Ich werde ihn wahrscheinlich nach seiner Hochzeit mit Kriss nie wiedersehen. Wahrscheinlich ist es so sogar besser. Auch wenn mich Kriss gebeten hat sie ab und zu im Palast mal besuchen zu kommen, werde ich dies ganz bestimmt nicht tun. Zu groß wäre der Schmerz Maxon immer mit Kriss an seiner Seite zu sehen. Ein Platz, der eigentlich meiner sein sollte. Es würde mir jedes Mal ein Stich im Herzen versetzen und die Wunde neu aufreißen, wobei ich mir nicht mal sicher bin, ob diese überhaupt jemals heilen kann.
„America." Celeste legt ihre Hand unter mein Kinn und hebt es an. „Du schaffst das. Du bist eine der stärksten Person, die ich kenne. Mach dich frisch und spritz dir etwas kaltes Wasser ins Gesicht, das verringert die Rötung und die Schwellung ein wenig, damit du auch vorzeigbar bist für das Interview", rät Celeste mir und holt mich so aus meiner Selbstverzweiflung zurück. Ich befolge ihren Rat und gehe zum Spiegel, wische mir die Tränen von den Wangen und spritze mir solange kaltes Wasser ins Gesicht bis es wieder einigermaßen normal aussieht und ich mich interviewen lassen kann. „Okay. Ich bin bereit", lüge ich. "Dann komm", meint Celeste. Sie hakt sich bei mir unter und zusammen gehen wir wieder in den Thronsaal zurück. „Halt dich einfach an mich, du musst wohl beim Interview gleich gut aufpassen, was du sagst. " „Wie meinst du das? ", frage ich. "Du bist Zweite geworden. Du bist die, die am weitesten gekommen ist und dann am tiefsten gefallen ist. Maxon hätte dich fast gewählt. Du warst die Favoritin des Volkes. Viele waren sich sicher, dass du gewinnen würdest. Alle werden wissen wollen, wie du mit der Situation umgehst und versuchen herauszufinden, warum er dich nicht gewählt, sondern Kriss", erklärt Celeste mir und sie hat recht. Natürlich hat sie recht. Ich war am Ende so nah dran zu gewinnen und die Favoritin des Volkes und habe trotzdem nicht gewonnen. Ich muss mir gut überlegen, was ich sage. Meine Gedanken überschlagen sich, auf der Suche nach logischen und sinnvollen Antworten. Antworten, die die Presse zufriedenstellen werden, aber nicht zu detailreich sind.

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