Z E H N

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Wie war es damals?

Als ich noch gesund war und meine Welt noch gerade stand, bevor ich die Diagnose bekam- nicht dass sie was verändert hätte, sie war nur eine wissenschaftliche, medizinische Erklärung für mein nicht normales Verhalten.

Ich weiß es nicht mehr.

Meine jetzige Realität ist eine andere als ich nur schüchtern war.

Jetzt ist der Weg zur Haustür eine Gipfelerklimmung mit rasendem Herzen, wenn ich mir die Schuhe zubinde. Lautes Ausatmen, wenn ich dann die Tür hinter mich zuziehe. Rasende Gedanken wenn ich laufe, gehe, in den Zug steige, die Hände zu Fäusten geballt und versuche mich auf die Musik zu konzentrieren die aus meinen Kopfhörern tönt.

Das erste Mal in einen neuen Laden zu gehen, sei es ein Bäcker oder Supermarkt, die Angst was falsches zu sagen zu fragen, zu rechnen, zu schnell zu langsam zu alles nur nicht. Was eigentlich?

Gespräche werden aufgeschrieben bevor sie geführt werden, unbekannte Wege tausendmal über Street View und Karten auswendig gelernt, dreißig Ersatzbusse und Züge herausgesucht falls ich den geplanten verpassen sollte. Die Notfalltasche in jedem Rucksack damit ich alles habe, wenn ich etwas vergessen haben sollte.

E-Mails und Nachrichten überprüfe ich bis mir die Augen schmerzen. Vielleicht wird es falsch aufgefasst was ich schreibe, falsch verstanden.

Doch all das sind äußere Dinge. Das, was ich am meisten fürchte sind.

M E N S C H E N

Ich denke nicht dass alle mich töten wollen oder meinen Nebenmann abstechen, nein. Es ist das Gefühl, das mir entgegenschlägt wenn ich einen vollen Raum betrete, die Blicke die mich mustern. Menschen können lügen, ihre Versprechen brechen und jemand ganz anders sein als sie zuerst vorgaben. Ich fühle mich schnell bedrängt, eingeengt, gefangen, bedroht und deswegen meide ich Konzerte, Festivals, Kinos, Bekleidungsgeschäfte, Restaurants, überfüllte Züge, Busse, Straßenbahnen, Clubs, Bars, öffentliche Plätze, Kaufhäuser, Weihnachtsmärkte.

Und trotzdem bin ich ab und zu an diesen Orten. Und jedes Mal wird der Berg etwas kleiner und ich fühle mich ein bisschen normaler. Es geht nicht darum, dass es so wird wie vorher. Es geht darum damit umgehen und Leben zu können. Und ich denke, ich schlage mich ganz gut.

A N G S TWo Geschichten leben. Entdecke jetzt