V I E R Z E H N

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Der Flügelschlag eines Schmetterlings kann einen Tornado entfachen. So die Theorie. Übertragen auf menschliche Gespräche wird diese jedoch zur Realität. Einfache Sätze können ein Wortgefecht entfachen, dass durchtränkt von Anschuldigungen und hasserfüllten Geschrei ist.

Und ehe ich mich versah, war ich in dieser Situation und verfluchte den Moment, in dem ich »Nein« gesagt hatte. Ich hätte wissen müssen, dass dieses Wort nicht toleriert wird, vor allem aus meinem Mund nicht.
Doch ich hatte es einmal mit Recht machen wollen- einmal und schon rissen alle Wunden wieder auf. »Du bist so undankbar und egoistisch« »Du bringst nie etwas zu Ende«, durchtrennten die mühsam angefertigten Nähte und durchbrechen den Damm, den ich mir errichtet hatte.

Ich bekomme keine Luft mehr, aus meinem Mund kommt ein Wimmern, Tränen nehmen mir die Sicht und ich zittere am ganzen Körper, während die verletzenden Worte wie ein Echo in meinem Kopf widerhallen und immer lauter werden, bis ich die Hände auf meine Ohren presse um sie nicht mehr hören zu müssen.

Langsam sinke ich auf den Boden, ziehe die Knie an die Brust, umschlinge meine angewinkelten Beine mit den Armen und schaukle vor und zurück. Vor und zurück. Vor und zurück.
Mein Wimmern bricht nicht ab, meine Lunge brennt vom unregelmäßigen Atmen und ich will dass es aufhört.
Ich könnte eine Notfalltablette nehmen. Doch ich will nicht hierbleiben. Ich muss weg. Hier raus. Mein Wecker sagt, ich habe zehn Minuten. Zehn Minuten, bis der nächste Zug kommt.

Ich rapple mich auf, stopfe wie in Trance alle Gegenstände, die in Reichweite sind in einen Rucksack. Bücher, Mäppchen, Teddybär, Block, Unterwäsche, Zahnbürste, T-Shirts, Ladekabel, Geldbeutel.
Mein Zimmer ist nun ein einziges Chaos, genau wie meine Gedanken und Gefühle.

Ein letzter Blick und ich stürme die Treppe nach unten, halte inne, als ich meinen Namen höre. Ich drehe mich um.
»Du läufst immer vor deinen Problemen weg. Sei erwachsen und blicke diesen ins Gesicht. Du kannst nicht immer abhauen.«

Ich bin noch nie abgehauen, und daran bin ich zerbrochen. Da ich immer nur auf andere geschaut habe und nicht auf mich. Diesmal passe ich auf mich auf. Ich renne nicht weg. Ich fliehe vor der Gefahr, die droht, mich zurückzuwerfen, in eine Grube, die ich glaubte, zugeschüttet zu haben. Doch Gräber sind leicht ausgehoben.

Ich schüttele den Kopf, ziehe meine Schuhe an und binde eine Jacke um die Hüfte, denn der Abend ist kalt. Ich drehe mich nicht um, als ich aus der Tür trete und diese hinter mir schließe. Mit schnellen Schritten gehe ich, laufe ich und fange an zu rennen. Der Rucksack liegt schwer auf meinen Schultern, doch das ist mir gleich.

Abstand ist das, was ich brauche. Und je weiter ich laufe, desto besser kann ich atmen. Endlich, denke ich.

A N G S TWo Geschichten leben. Entdecke jetzt