Pretium*aktualisiert

679 82 56
                                    


35.

Er war groß und dunkelhaarig. Als er lachte, verschwamm sein Gesicht und wurde zu einer unscharfen Linse. Dennoch hörte sie sein Lachen. Ein warmes Geräusch, dass aus seinem Bauch kam und seinen Körper in Wallung brachte. Große, geschwungene Hände legten sich, um Caennas Gesicht. Sie lächelte ihn verliebt an und strich über den gewölbten Bauch. Sein Kuss war voller Zärtlichkeit. Sein Daumen strich leicht wie ein Schmetterlingsflügel über die butterzarte Wange.

„Ich liebe dich!", wisperte er ihr mit tiefer, mit Samt belegter Stimme zu.

„Versprich mir, das du zurück kommst!", Caennas Atem berührte das Gesicht des Mannes.

„Immer!", antwortete er ihr voller Überzeugung, „Ich gehe für euch. Für eine bessere Welt. Eine sichere Welt, in der wir eine Familie sein können!". Ihr Lächeln verstärkte sich und das Grün ihrer Augen glänzte wie eine Weihnachtskugel. Einen sehnsüchtigen Blick später, verschwand er, bis auf die Zähne bewaffnet, in der Tür. Sowie die Tür sich schloss, wurde er zu einem Bär. Mächtig und groß. Ein wahrer Berserker. In den tiefen des Waldes schlug er Klauen und Zähnen in schwarz, behangenen Männer, deren Kreuze sich im fahlen Licht des Tages spiegelte. Plötzlich fiel die Gestalt des Bären in sich zusammen. Das Kreuz auf seiner Brust glänzte und zeichnete ihn als Jäger der Inquisition aus. Er schrie und zeigte auf die fliehenden Gestalten vor sich. Die Gruppe Templer lief ihnen nach. Bis sie die Wesen umstellten. Sie zwangen die Männer auf die Knie. Der Mann, offensichtlich der Anführer der Templer, zog sein Schwert. Klirrend sprang es aus der Scheide. Er sprach ein Gebet. Dann trat er auf die knieenden Kreaturen zu, ignorierte das Weinen und Flehen der Frauen und Kinder. Mit dem Aufprall der abgetrennten Köpfe, zerbrach das Bild, wie ein Glas auf einem Fußboden in Tausend Scherben.

Keuchend fiel Alainn auf den Boden. Ihre Hände waren aufgeschürft von den scharfen Steinkanten der Pflastersteine. Sie sah sich um. Sie war in der toten Stadt. Alainn rappelte sich auf. Klopfte sich mit den blutigen Händen den Staub von den Hosen. Wie war sie hier her gekommen? Sie richtete sich auf. Stöhnend sackte sie zusammen. Ihr Kopf dröhnte, als habe man ihr etwas übergezogen. Alainn hielt sich an der Steinmauer fest. Mörtel stach in das empfindliche Fleisch unter dem Nagel. Ihr Magen fuhr Achterbahn. Sie atmete die kalte Luft ein, ignorierte das stechende Gefühl in Hals und Lunge, jedes Mal, wenn sie einatmete. Sie hob die rechte Hand, und besah sich das Brandmal. Seine Melodie war wie das Rauschen von Blut in ihren Ohren. Sie war Victor gefolgt. Antworten und Gewissheit hatte sie gewollt. Und dann war alles verschwommen. Ihre Sicht zusammen mit ihrem Gleichgewichtssinn. Alainn machte sich nicht vor, dass die Bilder Erinnerungen waren. Es waren ihre Träume, produziert durch Stress und die Verwirrtheit, die sich ihrer bemächtigte. Kein Wunder, dachte sie, sind die Auswirkungen der Magie schlimmer denn je. Mit zwei Seelen, wobei eine menschlich ist, wie sollte sie jemals die Balance finden. Ihre menschliche Seele war das genaue Gegenteil zu ihrer magischen Hälfte. Schwarz und Weiß, gefangen in ihrer Brust und nie einverstanden mit dem, was die andere Seite machte. Und jetzt hatte sie auch noch durch den Anfall Victor verloren. Sie wollte gerade frustriert aufschreien, als sie es hörte. Das Schleifen. Leise folgte es lauten Schritten. Verwirrt presste Alainn sich an die Mauer, die zwischen ihr und dem Geräusch stand.

„Vielleicht hat Alainn doch die andere Abbiegung genommen?", gedämpft drang die zweifelnde Stimme Lincoln durch den Beton. Alainn seufzte. Wieso ließen sie sie nicht in Ruhe?

„Die beiden Gassen führen auf den alten Marktplatz. Wir finden sie so oder so."

Das war Kiran. Alainns Herz setzte aus, um dann in ein Rasen zu verfallen. Marktplatz. Angst kochte in Alainn und die Melodie ihres Brandmales nahm einen warnenden Tonfall an. Der runde Platz, an dem sie gestern die Inquisitoren ermordet hatte. Victor wusste, wo sie die Templer ermordet hatte. Zara und ihr Gefolge hatten sich im Rathaus eingerichtet. Der Platz war also leer. Frei für ihre Feinde. Wieder hörte sie das schleifende Geräusch. Sie hatten sie längst entdeckt.

Officium #Wattys2016Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt