41.
Die Königin war eine schöne Frau. Mit strengen, aristokratischen Zügen, einem vollen Mund, der entstellt wurde, durch die Kraft, mit der sie beiden Lippen aufeinanderpresste. Eine gerade, weiße Linie blieb von den Lippen übrig. Die kobaltblauen Augen fühlten sich wie vom Himmel zustoßende Habichte an. Scharf und mit Krallen bespickt, die einem jeder Zeit die Augen auskratzen konnten. Eine Gänsehaut bildete sich auf Alainns Armen. Sie schluckte schwer und rutschte unruhig auf der hölzernen Bank herum, die im Zuschauerraum aufgestellt worden war. Alainn fragte sich, wo die Königin so schnell einen Gerichtssaal hergezaubert hatte. Aber hier saß sie.
Auf einem erhöhten Platz, vor ihr eine massive breite und hohe Tafel. Neben ihr am Richtertisch saßen einige Berater- Korrigans. Sie blieben während der Verhandlung stumm, zischten und verliehen den Worten der Königin mit obszönen Gesten Nachdruck. Sie hatten nichts zu sagen, dass hatte Alainn schnell gemerkt. Und die Wut über diese Farce, diesen Gerichtsprozess, diese Spielerei, einer mächtigen Frau, die den Kopf ihrer Mutter wollte, war kaum bezähmbar.
In Ketten, ohne Anwalt, ohne Verteidiger, stand Caenna Namara in der Mitte des Raumes, aufgespießt von den Blicken des Richtertisches und den Zuschauerbänken, die gefüllt mit Korrigans und den Soldaten der Königin waren. Stolz und mit erhobenen Kopf hatte Caenna sich in den Saal bringen lassen. Blieb geduldig stehen, hob den Kopf und sah Morgraine offen an. Sie zeigte keine Angst, kein Zurückschrecken. Die Königin sah sie an. Fletschte die Zähne und ihre Augen betrachteten sie scharf. Caenna hielt den Blick, das Kinn erhoben. Stolz und unbeugsam und nicht Willens sich der Königin zu unterwerfen. Erst später erkannte Alainn, dass es nicht Brauch war, dass die Angeklagte ihren Ankläger mit solch einer Geringschätzung ansah. Caenna hätte sich Verbeugen müssen und die ersten Worte hätten ein Gnadengesuch verlauten lassen sollen. Doch ihre Mutter tat nichts dergleichen.
Sie stand da. Den Rücken durchgestreckt, den Blick geradeaus und ohne Scheu. Minuten verstrichen, in denen der Saal in spannungsvoller Stille lag. Alle warteten. Warteten auf die demutvollen Worte, auf das Gnadengesuch. Morgraine kochte. Ihre Augen sprühten Funken und ihre Finger bohrten sich in den Holztisch, während sie versuchte diese Frau vor sich zu zwingen, sich zu verbeugen. Sich unterzuordnen. Diese Frau. Caenna Namara. Die Frau, die niemals Respekt gezeigt hatte. Die immer gegen sie gearbeitet hatte. Die Frau, die ihre Macht untermauerte, sowie sie die Gelegenheit bekam.
Canna grinste. Schien ihre Gedanken zu erraten. Ein Murmeln ging durch den Saal. Und dann knurrte Caenna. Der Laut hallte durch den Raum, wurde von den Steinwänden zurückgeworfen und hallte durch den Saal. Es war Hohn. Hohn und Spott. Morgraine hob den Kopf, um das Wispern und Flüstern zu stoppen und verlor das Blickduell. Ihre kobaltblauen Augen wanderten durch die Zuschauerreihen und blieben an einem Mädchen hängen. Ihre roten Haare hingen ihr lang und seidig bis zur Taille und ihre grünen Augen funkelten sie genauso herausfordernd und respektlos wie die ihrer Mutter an. Ihre grünen Augen verzogen sich zu Schlitzen und dann hob sie die Mundwinkel und schenkten der Königin ein herablassendes Lächeln. Namara. Ihre Augen wanderten wieder zu Caenna und dann wieder zu ihrer Tochter. Wie war ihr Name? Je mehr sie die Kleine betrachtete, desto klarer wurde es Morgraine. Sie war der Grund, warum Caenna die Zelte abgebrochen hatte. Damals vor 18 Jahren.
„Caenna Eloane Namara, man klagt euch des Hochverrats an. Des Diebstahls eines heiligen Relikts-"
Caennas Lachen hallte durch den Saal, wurde von den Steinwänden zurückgeworfen. Ein gruseliger Laut, der Alainn eine Gänsehaut verursachte. Sie drehte den Kopf und sah Freya an. Ihre Tante starrte ihre Schwester an und in ihrem Gesicht stand die nackte Angst. Alainns Magen zog sich zusammen und so sehr sie die Königin mit ihrem Hof, den Speichelleckern und Drückebergern und Regeln und Gesetzten, Vorschriften verabscheute, sie hatte die Macht ihre Mutter zu verurteilen.
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Officium #Wattys2016
TerrorAlainn, das Mädchen mit dem Feuerhaar, wünscht sich eigentlich nichts sehnlicher, als ihre heilige Pflicht als Hüterin der Fabelwesen zu erfüllen. Als ihre Mutter auf die glorreiche Idee kommt, sie in die winzige Stadt Wolfsbach zu verschleppen, koc...