38.
Milchige Augen verfolgten die beiden Mädchen. Unauffällig streifte er durch die Schülermassen. Presste ein paar Schulbücher als Tarnung fest an seine Brust. Das zweier Team immer im Blick. Hinter einem Pult von Schülern versteckte er sich. Schlug wahllos eines der Bücher auf. Physikalische Gesetze. Spitze die Ohren.
Die eisblonden Haare der Prinzessin stachen nicht weniger als das feuerrote Haar der kleinen Namara aus der Menge. Leise, die Köpfe zusammen gesteckt, unterhielten sie sich.
„Wir brauchen die Liste aller Erdwesen!", Zara unterstrich ihre Worte mit einer energischen Handbewegung und sah Alainn auffordernd an. Die Rothaarige gähnte. Unter ihren Augen hatte die vergangene Nacht dunkle Spuren hinterlassen. Sie klammerte sich an ihren Kaffeebecher und versuchte nicht darüber nachzudenken, wie viele vor ihm bereits in ihrem Magen gelandet waren. Genauso wie sie versuchte, andere Erinnerungen aus ihrem Gedächtnis zu tilgen. Ein Versuch, der in einer schlaflosen Nacht voller onyxschwarzer Augen geendet hatte. Alainn hatte versucht über andere- über wichtige Dinge nachzudenken: Boudicca, die Politik, Zara und ihre Mutter. Doch am Ende waren ihre Gedanken immer wieder zu zwei onyxschwarzen Augen und dem Gefühl von zwei Lippen auf den ihrigen zurückgekehrt. Dem Gefühl in Flammen zu stehen, innerlich zu vibrieren und zu pulsieren. Unwillkürlich war sie Minuten lang mit dem Finger über ihre Lippen gefahren. Immer und immer wieder.
„Hörst du mit überhaupt zu?!", Zara wippte ungeduldig mit ihren Schuh, während sie Alainn mit hochgezogener Augenbraue betrachtete. Alainn zuckte gelangweilt mit den Schultern und bedeutete Zara mit einem Nicken, dass sie ihr nun zuhören würde. Zara seufzte.
„Also, noch mal für dich: Wir brauchen eine Liste mit allen weiblichen Erdwesen. Als nächstes wird Boudicca eine von ihnen töten und wenn wir die Liste haben, dann...?", Zara sah Alainn an, als rede sie mit einem Kleinkind, dem sie Metaphysik beibringen wollte.
„Dann können wir vielleicht einen weiteren Mord verhindern, schon klar..! Und wie zum Teufel willst du an diese Liste kommen?" Alainn unterdrückte ein Gähnen und drehte den Kopf. Sie wusste nicht, warum sie sich bewegt hatte, ob es ein Reflex, ein neugieriger Check-up ihrer Umgebung, oder ob es ihre Instinkte gewesen waren, die wussten, dass er den Gang auf sie zu kam. Sie zuckte zusammen, als sich ihre Blicke trafen. Onyxschwarz traf moosgrün. Ihr Herzschlag setzte aus. Ihr Mund wurde trocken. Ihr Magen verkrampfte sich vor Sehnsucht. Ihr begann zu pochen und das Feuer in ihr wallte auf und brachte ihren Körper zum vibrieren.
„Na, wir fragen einfach deine Freunde!", Zaras Atem berührte leicht Alainns Ohrmuschel. Alainn zuckte zusammen. Die Augenbrauen wütend verzogen, als wolle sie Zara raten, sich nicht noch einmal an sie heran zu schleichen.
„Welche Freunde?", gab Alainn trocken zurück. Sie drehte den Kopf und diesmal starrte sie in zwei milchig rote Augen. Schnell wurden sie gesenkt und in ein Buch gesteckt. Misstrauisch taxierte Alainn ihn. Er hatte schwarze, wild abstehende Haare, trug dunkle Gothic Klamotten und war mehrfach gepierct. Das Mädchen konnte sein pochendes Herz hören. Seine Angst riechen.
„ALAINN!", Zara stemmte die Hände in die Hüften. Ihre Augen schossen wütende Blitze auf Alainn. Die, verdrehte ihre Augen und wandte sich der Prinzessin zu. Erst zwei Stunden nachdem Alainn ihren Weg ins Bett gefunden hatte, hatte Zara vor ihrer Tür gestanden. Ein riesiger Papierstapel in ihrer Hand. Einige der Akten waren Zusammenfassungen, der Situation, andere enthielten Beschreibungen über die Hierarchie der magischen Gesellschaft, Regelbücher und Gesetzte, die Zara Alainn zwang zu lesen.
„Willst du mit mir dein Referat üben oder was?", hatte Alainn im halb Schlaf gewitzelt,als Zara ihr die Karteikarten präsentierte, die sie für das Treffen mit den Jungen verfasst hatte. Aber Zara, schon hell wach, hatte ihren bissigen Kommentar ignoriert und sich daran gemacht mit ihr die Mordermittlung durch zu sprechen. Zara wies Alainn auf die verschiedenen Elemente hin, die den einzelnen Opfern zugeordnet waren. Die Vertraulichkeit mit der Zara mit ihr sprach, machte sie skeptisch. Gleichzeitig fragte sich Alainn, ob Zara am Ende nicht genauso isoliert aufgewachsen war, wie sie. Natürlich war sie als die Prinzessin, ständig im Kontakt mit irgendwelchen Wesen, aber sie war auch Gegenstand von Intrigen. Wem hatte sie jemals vertrauen können? Sie war es gewohnt zu befehlen, aber wenn man jeden als Untergebenen ansah, wie konnte man sich eine Freundschaft entwickeln?
Suchend wanderten ihre grünen Augen durch den Gang, bis sie ihn fanden. Sein menschliches Gesicht flimmerte, als er aufsah und erschrocken zurückzuckte, als er sah, dass ihre moosgrünen Augen ihn erneut fixierten. Mit den tiefen Schatten unter den glänzenden Augen wirkte Alainns Gesicht scharfkantig. Der Blick, den sie ihm zuwarf, war geprägt von einer unberechenbaren Wildheit. Und dann sah er sie lächeln. Das Weiß ihrer Zähne blitze im kalten Oberlicht der Schule. Seine Nackenhaare stellten sich auf. Ihre Lippen waren rot wie Blut. Sie leckte sich mit der Zunge über die Lippen, bedeckte sie mit einem im Licht spiegelnden, Schimmer. Angstschauer liefen über seinen Körper. Für einen einzigen, kurzen Moment verlor er die Fassung: Das Eisskelett trat aus seiner menschlichen Fassade hervor. Die Korrigan lächelte eine Spur breiter. Er floh. Er hatte den animalischen Raubtierduft erfasst. Dieser herbe, pikante Geruch mit einem metallischen Aroma, war der Grund, warum seine Nackenhaare in die Höhe sprossen und Millionen Schauer über seine Haut wanderten. Allein der Geruch ließ alle Synapsen in seinem Gehirn schrillen und dem angeborenen Fluchtinstinkt aktivieren.
„Alainn!", Zara schüttelte sie.
„JA, doch!", knurrte sie, „dein Plan gefällt mir nicht. Wir ziehen die Jungen zu tief in unsere Angelegenheit!", sie machte sich von Zara los und stemmte ihre Hände in die Hüfte.
„Wir bringen sie in Gefahr und sie sind vollkommen untrainiert. Sie können sich ja nicht mal gegen die Inquisition wehren!", Alainn machte eine dramatische Pause, atmete geräuschvoll aus, „Wir beschützen Wesen und bringen sie nicht in Gefahr! Also, vergiss es. Kommt gar nicht in die Tüte!"
Entschlossen sah Alainn Zara an. Eigentlich wollte sie Zara von Kiran fernhalten. Die Fragen im Rathaus kamen ihr in den Sinn und das Gefühl, als habe sie etwas verbrochen machte sich in ihr breit. Hatte sie etwas Falsches getan? War die „Sache" mit Kiran falsch? Was war, wenn sie ihn in Gefahr brachte? Was würde mit ihr geschehen, wenn irgendjemand herausfand, was sie für ihn empfand? Und dann war da noch Freyas Drohung und das Gesetz. „Einer Korrigan ist es nicht gestattet eine Liebesbeziehung mit einem männlichen Wesen einzugehen". Ihre Mutter war aus der Gemeinschaft geflogen, als sie sich in ihren Vater verliebte. Aber was das „rausfliegen" wirklich das Schlechteste?
Zaras Lachen brachte sie wieder ins Hier und Jetzt. Sie warf ihren Kopf in den Nacken und lachte. Dann sah sie Alainn an. Mit gerunzelter Stirn und einem undefinierbaren Funkeln in den Augen: „Bei all deinen Fähigkeiten und deiner Intelligenz müsstest du doch wissen, wie eine Monarchie funktioniert!" Alainn wurde blass. Zara hingegen lächelte lieblich und legte Alainn eine Hand auf den Arm. Eine vertrauliche Geste. Eine manipulative Geste: „Aber ganz im Ernst, Alainn. Ich bin die Prinzessin und ich entscheide. Beziehungsweise...", sie runzelte die Stirn und wirkte verstimmt, „meine Mutter! Und meine Mutter will die Eingliederung der Bewohner schnell vom Tisch haben! Und damit ist die Sache entschieden!"
Alainn sah Zara an, „Die Eingliederung der Stadt in die magische Gesellschaft ist ihr wichtiger, als Boudicca aufzuhalten?", Zara presse die Lippen aufeinander. Zorn stand in ihren Augen: „Ein Kampf ,nachdem anderen!"
***
Er folgte ihnen mit gebührenden Abstand. Schlich sich zwischen den Schülern hindurch und benutze sie als Schutzschilder. Die zwei Mädchen winkten die Jungen heran. Sich vorsichtig umblickend öffneten sie ein Klassenzimmer. Zara war als Erste im Raum. Ihr folgten Lincoln, Chris und Alec. Kiran und die rothaarige Hexe starrten sich eine Weile an. Kirans Hand strich über ihren Handrücken. Sie zuckte zurück, lächelte kurz und marschierte erhobenen Hauptes in den Raum.
Er lächelte. Sie würden ihn für diese Beobachtung sicher belohnen. Sie mussten einfach. Er hatte ihre Schwachstelle gefunden.
****
Officium ist wieder da. und auch ich:D
Ich habe das Buch jetzt komplett umgeschrieben- für die, die sich vielleicht wundern und keine Ahnung haben, worum es die folgenden Absätze ging: Der Grundgedanke der Geschichte ist geblieben, aber einige Dinge haben sich geändert.
Ich hoffe, ich habe sie zum Guten geändert und würde mich natürlich über Rückmeldungen freuen, die mir in dieser Hinsicht ein Feedback geben können. Und falls du neu bist und die alte Version nicht kennst, freue ich mich natürlich so oder so über ein Kommentar oder eine Meinung!
Ich wünsche euch ein schönes Wochenende
Sorcca
DU LIEST GERADE
Officium #Wattys2016
TerrorAlainn, das Mädchen mit dem Feuerhaar, wünscht sich eigentlich nichts sehnlicher, als ihre heilige Pflicht als Hüterin der Fabelwesen zu erfüllen. Als ihre Mutter auf die glorreiche Idee kommt, sie in die winzige Stadt Wolfsbach zu verschleppen, koc...