Scherben

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Es dämmerte. Das rot goldene Licht der aufgehenden Morgensonne durchzog den hellgrauen Himmel und die ersten Vögel zwitscherten dem erwachenden Tag entgegen. Ein sanfter Windstoß ließ die Blätter erzittern. Die ersten Strahlen der Sonne malten Spiele aus Licht auf die Blattkronen, deren Schatten auf den blumigen Wiesen tanzten. Die ersten Tiere wagten sich aus ihren Höhlen.
Doch plötzlich wurden donnernde Hufe laut. Ein Pferd preschte durch den erwachenden Wald; Vögel schreckten auf, als die Hufe tobend das Unterholz durchbrachen. Ein vermummter Elb trieb mit unglaublichem Geschick das Pferd durch Büsche, Bäume und Wurzeln. Keinen Gedanken verschwendete er an die Schönheit um ihn herum.
Duathagun fluchte, als ihm die sanfte Windbrise die Kapuze vom Kopf wehte. „Ach was soll‘s“, er war fast da. Er drosselte sein Tempo, wusste er doch, dass das Pferd in derselben Geschwindigkeit wieder zurück nach Bruchtal laufen können musste. Er sprang ab, packte das Pferd am Zaumzeug und führte es über Wurzeln und Büsche auf eine Lichtung.
Ein Bild der Zerstörung zeichnete sich vor seinen Füßen ab. Zertretene Blumen, Blut und Orkleichen reihten sich aneinander, der Gestank des Todes und der süßliche Gestank der Verwesung lag in der Luft. Kein Tier war an auch nur in der Nähe.
Der Berater Thranduils erschrak jedoch nicht, gehörte er doch zu jenen, die diesen Ort so zurückgelassen hatten. Er war schon vor einigen Tagen vor dem Kampf einmal hier gewesen. Damals hatte es hier geblüht; saftiges grünes Gras hatte in der Sonne geleuchtet und Schmetterlinge waren im langen Gras gelandet. „Waren war das richtige Wort“, dachte er zynisch. Alles, was hier geblüht hatte, war im gestrigen Kampf zertreten worden. Getrocknetes Blut färbte einen Großteil des Kampfplatzes und überall lagen Pfeile und abgebrochene Schwerter, deren Klingen in den ersten Sonnenstrahlen glänzten.
Duathagun ließ die Zügel des Pferdes los und sein grün funkelnder Blick schweifte hinüber zu dem dichten Gebüsch. Er war nicht allein.
Ein wissendes, kaltes Lächeln trat auf seine Lippen. Er rief mit spottender und zugleich wütender Stimme: „Grischnagh, komm heraus! Wie ein feiges Kind versteckst du dich von mir?“
Und tatsächlich, die dunklen Büsche teilten sich und ein Dutzend Orks trat hervor. An der Spitze des jämmerlich daher kriechenden Trupps humpelte die angesprochene Kreatur. In den hässlichen, roten Augen lag Angst. Er lispelte: „Herr…Herr…“
Doch der dunkelhaarige Elb kannte kein Mitleid. Mit von Spott getränkter Stimme fragte er: „Nicht einmal einen einzigen Elben könnt ihr aus dieser elendigen Welt beseitigen? Nicht mal einen Halbelben? “ Der Ork krächzte: „Herr verzeiht…“
Duathagun hob herablassend eine wohlgeformte Augenbraue. Zu blöd, dass er diese abstoßenden Wesen noch brauchte. Er seufzte übertrieben und befahl: „Schildere mir eurer Vorgehen!“ Der Ork, welcher sehr wohl um sein knappes Entkommen wusste, setzte erleichtert an: „Wie ihr befahlt griffen ich und meine Horde den Sohn Elronds bei seiner Rückkehr aus dem Menschenreich Anor an. Er wehrte sich mit der Stärke seiner widerlichen Rasse“, der Ork machte ein kurze Pause, „doch schon bald hatten wir ihn in unseren Händen. Ihr sagtet, er hätte wichtige Information zur Lage der Dunedain, gegen die der Fürst Krieg führt, Herr.“ Duathagun nickte. Oh ja, schon lange führte der Fürst von Angmar gegen dieses Volk Krieg. Der dunkle Herrscher war kalt, grausam und gnadenlos, aber eine Eigenschaft hatte er, die ihn über alle Maßen auszeichnete. Der Hexenkönig, so wie ihn die ‚Freien Völker‘ nannten; Er wusste, wer ein nützlicher Gefolgsmann war und stellte Intelligenz über bedingungslose Treue. Diese eine Denkweise des Nazgul hatte ihn soweit gebracht.
Die Stimme der verachtenswerten Kreatur vor ihm brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. Das Wesen beteuerte: „Herr, wir taten, was wir konnten, doch der Sohn Elronds schwor, nichts zu wissen.“ Duathagun verdrehte die Augen. Bei Eru, und da waren die Orks so stolz auf ihre ‚Überredungskünste‘? Er fragte ungeduldig: „Ist das dein Ernst? Ihr habt keine einzige Information für den Herrn?“ Der Ork duckte sich: „Nein…nein haben wir nicht, Herr. Aber wir…wir fanden das.“
Grischnagh zog einen schmutzigen Brief mit zerkratztem Siegel aus einer seiner Taschen, bei welchen Duathagun gar nicht genauer wissen wollte, was sonst darin war. Angeekelt von dem stinkenden Stück Papier nahm er das Blatt aus den entstellten Klauen. Er brach das rissige Siegel, dessen Zugehörigkeit man ohnehin nicht mehr erkannte, und las.
Von Zeile zu Zeile verbreiterte sich das triumphieren Grinsen auf dem schönen Gesicht.

Die ersten Sonnenstrahlen, welche durch das Fenster des Krankensaals in Bruchtals fielen, weckten Legolas. Er hörte das Zwitschern der Vögel und fühlte das warme Licht der Sonne. Ein schöner Tag schien angebrochen zu sein. Der Prinz der Waldelben blinzelte müde und richtete sich seufzend in dem Holzsessel auf. Sie waren nicht wirklich unbequem, aber auf ihnen zu schlafen war nicht gerade die Beste seiner Ideen gewesen. Er wollte sich gerade vom Sessel erheben, als er ein lautes Klirren hörte. Instinktiv ruckte sein Kopf in die Richtung des Geräusches.
Jene Elbin, die gestern das Leben seines Freundes gerettet hatte, kniete am Boden. Die hellen, zierlichen Hände klaubten Scherben vom Boden auf. Sie hatte wohl einer der unzählbar vielen Phiolen fallen lassen, die das Regal an der gegenüberliegenden Wand schmückten. Das lange Gewand floss gleich Seide an ihrem schlanken Körper hinab, die Kurven und die vollen Brüste ließ es herrlich erkennen.
Bemüht, sie nicht allzu sehr anzustarren, eilte er mit leisen Schritten zu ihr. „Herrin, soll ich Euch helfen?“ Die dunkelhaarige Elbin zuckte merklich zusammen. Offenbar hatte sie ihn nicht kommen hören. Sie hob ihren Kopf: „Guten Morgen, mein Herr. Nein, nicht nötig.“ Doch Legolas ignorierte ihren Einwand, kniete sich zu ihr hinunter und sammelte mit ihr die Scherben auf. Leise und ohne wirklich miteinander zu reden, taten sie ihre Arbeit, als sich schließlich ihre Hände zufällig berührten. Legolas‘ Kopf blickte hoch und seine Augen trafen in die wunderschönen Augen der Elbin. Irgendetwas in ihnen berührte ihn.
Spontan ließ er die Scherben liegen, lehnte sich nach hinten und fragte die junge Frau: „Wie ist eure Name, Herrin?“ Das Elbenmädchen schlug die Augen nieder, was Legolas Aufmerksamkeit noch mehr auf sie zog. Dann sprach sie: „Merewyn, mein Herr. Den Euren glaube ich zu kennen.“ Legolas grinste: „Ihr seid eine Tochter des König Duatharan, wenn ich mich nicht irre.“ Die Elbin setzte sich nun auch auf und strich das lange Haar nach hinten: „Ja, mein Herr, das bin ich.“ Legolas lächelte: „Nennt mich einfach nur Legolas. Mein ganzer Titel wäre schon ein vollständiger Satz und ist wahrhaftig anstrengend.“ Ein leises Lachen erhellte den Raum. Legolas konnte sich nicht erinnern, jemals etwas Schöneres gehört zu haben.
Fasziniert sah er die junge Frau vor sich an, die nun antwortete: „Ich habe keine Titel, aber wenn das so ist, ist es wohl besser so.“ Legolas wunderte dies. Als Königstochter hatte sie keine Titel im Ausmaß eines Absatzes? Merewyn musste wohl seinen verwirrten Gesichtsausdruck bemerkt haben, denn sie erklärte: „Frauen meines Volkes haben keine Titel.“ Mit wieder ernsterem Gesicht räumte sie die letzten Scherben weg. Dann drehte sie sich um und schenkte im  ein göttlich schönes Lächeln und fragte vorsichtig: „Helft ihr mir mit den Verbänden?“ „Natürlich“
Die Sonnenstrahlen des Morgens ließen das dunkle Haar der jungen Elbin glänzen wie Seide. Legolas bewunderte, wie anmutig sie sich selbst nach einer schlaflosen Nacht bewegte, elegant wie eine Tänzerin unter den Sternen. Wunderschön…
Legolas schüttelte den Kopf. Die lange Nacht hatte ihr scheinbar nicht geschadet, ihm aber ganz sicher, wenn er jetzt des Morgens da saß und im Anblick der Haare einer jungen Elbin versinken konnte. Nicht einmal bei den Besäufnissen im Düsterwald war ihm derartiges passiert…
Plötzlich hörte er ein keuchendes Husten. Er schoss aus seinen Gedanken und eilte zum Bett seines Freundes. Elladans Augen waren geöffnet und Merewyn hielt gerade ein Trinkgefäß an die trockenen Lippen. „Holt mehr Wasser, schnell.“ Legolas wollte aufspringen, als Elladan leise flüsterte: „Legolas, warte!“
Er fuhr herum und lehnte sich zu seinem Freund, der mit kratziger Stimme flüsterte: „Du musst mir meinem Vater reden. Der…der König der Dunedain gab mir einen Brief mit allem nötigem Wissen für den Krieg gegen Angmar. Legolas…der Brief … er ist weg!“

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