Ein fremdes Siegel

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Das Donnern von Trompeten riss Merewyn aus dem Schlaf.
Wie gelähmt von Müdigkeit hob sie ihrem Kopf.
Das kühle, graue Licht der Dämmerung brach schimmernd durch die Vorhänge und gab dem hölzernen Regalen einen hellen Glanz. Warte was?! Hölzerne Regale? In ihrem Gemach waren doch gar keine…
Mit einem Schlag war Merewyn klar, wo sie war. Vorsichtig, um das Bett vom Knarren abzuhalten, rollte sie sich herum.
Da lag er, friedlich schlafend wie ein Kind. Sein goldenes Haar glänzte weich im schimmernden Morgenlicht, sein muskulöser Arm lag auf der Decke. Ein warmes Gefühl stieg in ihr auf, vermischt mit einer Wehmut, die ihr Herz zerriss wie der Gesang der Möwen.
Er war so schön , dachte sie. Liebevoll wollte sie eine Hand ausstrecken und seine Wange berühren, doch eine laute Stimme ließ sie inne halten.
„Wenn ihr sie nicht gleich findet, drehe ich euch die Hälse um!“ Moragar. Sie konnte beinahe sehen, wie er vor der bedauernswerten Wache stand und scheinbar zu seiner doppelten Größe anschwoll, während Naurwen hinter ihm die Augen verdrehte.
Merewyn glitt leise aus dem Bett und hob ihre verstreuten Kleider auf, lächelnd an die Erinnerung der letzten Nacht. Behutsam schlüpfte sie in das samtene, königsblaue Kleid und schnürte, so gut es ihr alleine möglich war, das Mieder zu. Weich strich der Stoff über ihre Haut.
Sie hielt inne und blickte auf ihren schlafenden Gefährten. Die Dornen der Gewissheit schienen ihr Herz zu ersticken.
Leise schritt sie zu ihm und ließ sich auf die Knie sinken.
„Legolas…“, murmelte sie, wissend, dass er sie nicht hören musste, „versteh mich. Ich muss gehen.“
Würde man das mit ihnen herausfinden, würde es den Krieg erneut anfachen. Moragar würde das als Grund für einen Krieg reichen. Ihrem Vater würde es allemal reichen. Vielleicht müssten Elben sterben für das, was sie fühlte. Man würde sie mit Verachtung straffen, vermutlich sogar töten. Die Gesetze der Moreldar waren das betreffend recht klar.
„Ich würde so viel geben, Legolas.“ Vorsichtig, bemüht, ihn nicht aufzuwecken, hauchte sie einen Kuss auf seine warme Wange.
Eine neue Welle des Kummers schwappte über sie, und Salz schien ihre Lungen zu fühlen. Ihre Augen brannten und ihr ganzer Körper schien von glühenden Zangen des Schmerzes und der Angst gepeinigt zu sein. Wie ungerecht war es von den Valar, ihr die wahre Liebe zu zeigen und sie dann in die Hände eines Mannes wie Morhervest zug eben?
Sie stand auf und zwang sich nicht zurückzuschauen. Mit leisen Schritten verließ sie das Zimmer.

„Wo ist Merewyn? Wir reiten bei Sonnenaufgang los!“
Moragar, in Wahrheit mehr besorgt als wütend, blickte sich um. Die Reiter nahmen so langsam ihre Plätze ein und sogar der König kam schon die Treppen herunter. Ungeduldig blickte er um sich.
Die ganze letzte Nacht war sie verschwunden gewesen. Morhervest hatte mehr als einmal nach ihr gefragt. Vater war außer sich vor Wut gewesen, wäre es doch ihre Pflicht als Königstochter, mit ihrem zukünftigen Gemahl und den anderen hohen Gästen bei den Feierlichkeiten zur „friedlichen“ Übereinkunft des Rates anwesend zu sein. Vermutlich würde sie heute ein Donnerwetter erleben.
„Moragar?“ Der Elbenprinz wandte sich um. Seine Gemahlin war ebenso um die Ecke gebogen. Moragar spürte wider Willen ein Lächeln auf sein Gesicht. Allein schon ihr Anblick könnte jede Katastrophe zum Heilserlebnis werden lassen.
„Habt ihr sie schon gefunden?“ Ihre schönen, goldenen Augen sahen besorgt zu ihm.
Moragar schüttelte den Kopf: „Wenigstens ist Vater ihre noch währende Abwesenheit nicht aufgefallen.“
Naurwen nickte: „Zum Glück. Ah sieh mal“, sie nickte zu den Treppen, „da ist sie.“
Und wirklich, seine kleine Schwester eilte die Treppen herunter. Ihr Haar hatte sie einfach zu einem geflochtenen Zopf gebändigt und das, soweit er wusste, blaue Kleid von gestern hatte sie gegen ein schlichtes, braunes Reitkostüm eingetauscht.
Wo war sie den so lange geblieben? Wütend winkte er sie zu sich. Naurwen, die offenbar seine Gedanken lesen konnte, flüsterte besänftigend:
„Sei nicht so! So spät ist sie auch nicht dran und schließlich hat sie nichts Böses getan.“
Seine kleine Schwester blieb einige Schritte vor ihm stehen.
„Was willst du?“, fragte sie. Ihre sonst melodische Stimme kratzte ein wenig. Vermutlich hatte sie zu wenig geschlafen.
Er foppte: „Dir auch einen guten Morgen, liebe Schwester.“
Sie verdrehte die Augen. War wohl echt nicht ihr Tag.
„Ich wollte nur wissen, wo du so lange gewesen bist.“
Die kleine Elbin antwortete müde: „Ich habe verschlafen.“
„Was der Umstände wegen wahrlich verzeihbar ist.“ Naurwen hatte sich mit einem warmen Ton in das Gespräch eingemischt. Etwas in ihrem Ton machte Moragar stutzig. Sie klang besorgt. Moragar sah ihren Blick Merewyn folgen, die sich schweigend zu ihrem Pferd aufgemacht hatte. Er hob die Augenbrauen, sgate jedoch nichts und stieg auf sein Pferd.

Golden strahlten die Wälder.
Hier und da lag Asche, verborgen zwischen Gestrüpp und Ästen. Ein nasser Wind strich durch hohe Bäume und ließ in kurz schaudern. Da und da erblickte er andere Elben, die leise durch die Wälder strichen und ihnen höchstens kurz zunickten.
Er erinnerte sich an einen strahlenden Sommertag, der Tag, an dem er zuerst hier gewesen war. Seine Mannen und er hatten in der Nähe Orks bekämpft und waren erschöpft zu den Dorfbewohnern gekommen. Sie hatten sie aufgenommen und für sie gesorgt.
Wie schön die Rosen, nach denen das Dorf benannt worden war, geblüht hatten! Die Elben waren in den Wäldern gewesen, der eine hatte den Boden bestellt, andere hatten Wasser geholt. Das Gras hatte in der Sonne geleuchtet. Gesänge, einfach und doch wundervoll, hatten durch die Luft geklungen, Gesänge, die ihn das erste Mal danach sehnen ließen, nicht ein Prinz aus hohem Haus zu sein, sondern ein einfacher Elb, der das Glück in der Arbeit und der Natur fand. Ein Leben in der Einfachheit.
Doch er konnte sich nicht an viel erinnern. Denn diese Erinnerung war von ihr eingenommen. Wie er sie das erste Mal gesehen hatten, mit ihrem wild gelockten Haar, den leuchtend grünen Augen. Allein schon die Erinnerung schien sein Inneres zu quetschen und die Luft aus allem zu nehmen.

„Hier ist es, Herr.“ Der rotblonde Elb warf ihm noch einen letzten Blick aus trauerumwölkten Augen zu, verneigte sich und glitt lautlos zurück in das Unterholz.
Crabanion sah starr auf den Boden.
Ein strahlendes Lichtung leuchtete um ihn, durch die sich ein starker Fluss schlängelte. Ein schillernder Regenbogen hing über den Wasser. Und doch hatte er nur Augen für den aufgeworfenen Erdhaufen am Rand der Lichtung. Ein Grab.
Rosen lagen auf dem Erdhügel, wie auf den andereren in der Nähe. Das war also geblieben von der Frau, die sein Herz in der Nacht mit Sehnsucht quälte. Knochen und Asche, allein der Schmerz.
Sie hatte ihn allein gelassen, sie war ihm genommen worden.
Er fiel auf die Knie, innerlich betend, dass niemand seine Pein sehen möge. Mit den Kopf in den Händen versuchte er, Herr der Flammen zu werden. Herr dieses unendlichen Wunsches, die Zeit zurückdrehen zu können, Herr dieser einfachen und doch unendlichen Frage: Warum? Warum hatten die Valar sie nicht beschützt, nicht ein einziges Mal die Hände über das gehalten, was seinem Herzen nahe war. Glawariel, wo bist du? ,
Er strich über die Erde, die sie bedeckte, widerstand dem quälenden Drang, die Hände in die Erde zu graben um sie ihrem Schoß zu entreißen, um ihr schönes Gesicht noch einmal sehen zu können.
Doch er widerstand.
Plötzlich konnte er diesen Anblick nicht einen Augenblick länger ertragen. Wie von Teufeln gejagen sprang er auf und schoss zurück in den Wald. Weg von ihrem gemeinsamen Ort, fort von dem Ort, so ihr Lachen noch durch die Bäume zu hallen schien. Fort von ihrem duftendem Haar und ihrem warmen Körper in seinem Arm, mit den Gras als ihr Bett.
Plötzlich blieb sein Fuß an einem Stein hängen. Wie ein Getreidesack fiel er zu Boden, durch seinen Fuß schoss ein scharfer Schmerz. Knurrend richtete er sich wieder auf.
„Majestät?“
Crabanion drehte sich, imme noch seinen Fuß reibend, um. Der rotblonde Elb, der ihm das Grab seiner Liebsten gezeigt hatte, kam von einer der Eichen hervor.
Scham kroch in ihm hoch. Hoffentlich hatte dieser nicht gesehen, wie er erst wie gehetztes Wild durch den Wald gerannt war und dann gestolpert,  war. Gestolpert. Vermutlich war er einer seit Thingols Zeiten kein Elb mehr gestolpert.
„Ja?“, knurrte er.
„Was werdet Ihr nun tun?“ Crabanion runzelte verwirrt die Stirn. Was interessierte es diesen Bengel, was der Prinz nun tat? Der rotblonde Elb lehnte abwartend a einer Buche.
Auf einmal wurde Crabanion klar, was der andere von ihm wollte. Er hätte sich mit der Hand gegen den Kopf klaschten können. Er war Glawariels Bruder! Es gab nur eines was er wollen könnte. Etwas, was er selbst auch begehrte. Crabanion ballte die Hand zur Faust. Rache! Wer immer seiner Liebsten das angetan hatte, würde mit Blut bezahlen!
Der junge Elb mit dem Namen Celethion, so weit de Prinz sich erinnern konnte, schien in seinem Gesicht lesen zu können.
Er forderte ruhig: „Was auch immer ihr tun werden um ihr Gerechtigkeit zu schenken, ich werde meinen Teil dazu beitragen!“ Der junge Mann hatte ihm das Kinn entgegengestreckt und stand aufrecht vor ihm.
„Waren es wirklich die Moreldar?“
Celethion seufzte: „Woher sollen wir es wissen? Selbst wenn sie Fahnen getragen hätten, woher soll ein Bauer wissen, wer sie sind?“
Crabanion malmte mit den Kiefern. Wie soll er herausfinden, wer die Mörder seiner Liebsten war?
„Aber…“, der junge Mann zog etwas aus seinem Mantel hervor, „wir fanden dies.“
Crabanion nahm das Etwas entgegen. Es sah aus wie ein Pergament, kalt und glatt.
Die Schrift war dunkel und schräg. Worte, die für ihn keinen Sinn ergaben.
Es stand:
Rideah i irelga e ladneuqahtouD i rab ein eawg, hcnah wet hcaineh e aliug, iu eam. ,
„Was heißt das?“ Crabanion blickte zu ihm auf.
„Das weiß ich nicht. Aber sieh mal, was hinten ist.“
Crabanion drehte das Blatt um. Hinten war ein heulender Wolf, in dessen Kehle ein silberener Dolch steckte.
Das Siegel der Moreldar.

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