Als wir uns hingesetzt haben schaut er sich noch einmal kurz um, dann beginnt er zu erzählen: „Ich bin Fynn. Ich schätze, du hast in den vergangenen Wochen schon ein paar besondere Dinge bemerkt." Ich nicke, stelle mich jedoch nicht vor, da er meinen Namen vermutlich schon weiß. „Wieso musstest du mich denn so erschrecken? Hätte doch auch einfach ein Brief kommen können." „Geht schon, aber wir sind ja keine Zauberer, außerdem ist es doch viel einfallsreicher gewesen." „Haben wir denn auch einen tollen kreativen Namen?" Fynn antwortet sofort: „Klar, MMBF." Ich schaue ihn perplex an, ob er dies ernst meint. „Das heißt: Mensch mit besonderen Fähigkeiten", jetzt grinst er und ich komme mir langsam komplett auf den Arm genommen vor.
„OK also jetzt mal Ernst", beginnt er und ich denke mir nur meinen Teil dazu. „Wir heißen Feranyo, eigentlich fast normale Menschen, nur mit Flügeln und je nach Situation, bestimmten Fähigkeiten. Du musst jedoch erst lernen, wie du mit so etwas umzugehen hast und wie du diese Besonderheiten einsetzen kannst. Deshalb gibt es in den Sommerferien ein Camp für Neulinge. Zwei Wochen sind Pflicht." Meine gemeinsamen Pläne mit Samira zerplatzen und zudem bin ich immer noch ein wenig sauer, wegen der besonderen Art mit mir ein Gespräch anzufangen. Deshalb frage ich aufmüpfig: „Was wäre, wenn ich jetzt 'Nein ich habe keine Zeit und Lust' sagen würde?"
Für Außenstehende könnte ich hier etwas unhöflich und trotzig wirken, doch an dieser Stelle bekommt man vielleicht ein falsches Bild von mir. Normalerweise bin ich immer sehr neutral und gegenüber anderen immer ausgeglichen und höflich, aber an diesem Tag lag es vermutlich an dem Schreck.
Fynn schmunzelt kurz, was mich noch ein wenig weiter anstachelt, dann antwortet er: „Ich denke, dann würdest du einen nicht allzu netten Brief aus dem Feranium erhalten. Bis zu dem Camp redest du mit niemanden über dich, auch nicht mit deinen Eltern. Sie haben bereits eine Kurzinfo erhalten, es ist für euch also nur 'das Camp'. Deine Freunde sollen bis dorthin auch nichts erfahren. Ach ja, und lass die Flügel erst mal besser dort wo sie sind. Noch Fragen?"
Mein ganzer Kopf schwirrt voller Fragen, doch es sind zu viele. „Fast vergessen. Der Flug in das Camp wird bezahlt. Alles dort ist kostenlos inklusive Verpflegung. Du kannst die Zeit verlängern bis auf fünf Wochen. Länger geht nicht, da deine Sommerferien erst so spät beginnen. Weitere Informationen werden dir zu gesendet." „Per Post, Eule oder Fee?" „Per Fledermaus." Ich stutze, da es eigentlich nur eine rhetorische Frage war. Fynn liest meinen Blick: „Falls dies deine nächste Frage sein sollte: Nein, wir sind keine Vampire, aber es kommt trotzdem eine Fledermaus. Die sind knuffig."
Er blickt auf sein Armband, worauf nun eine Uhrzeit erscheint, dann meint er: „Ich muss leider weiter." „Noch ein Mädchen entführen?", diesmal grinse ich jedoch bei meiner Frage. Trotz dem langen Versuch ihn zu hassen gelingt es mir nicht. „Ja klar. Ich stehe auf kleine, schreiende, ängstliche Mädchen. Sag aber nichts meiner Frau, sonst könnte es sein, dass mein Zimmer für die nächsten Tage unter Wasser steht." Aus der letzten Bemerkungen werde ich nicht schlau, denke jedoch nicht weiter darüber nach, sondern trinke meinen Tee aus. Fynn bezahlt noch, dann gehen wir getrennte Wege.
Als ich daheim ankomme herrscht eine gewisse Anspannung, da alle sich bemühen nicht über mich und meine Besonderheiten zu reden. Jedoch bin ich mir nicht sicher, ob meine Eltern ebenfalls erst heute informiert wurden, oder ob sie es schon eine Weile wissen. Eins ist jedoch klar, sie wissen genau, dass ich es seit heute weiß. „Geht es dir gut?", fragt meine Mutter mich und streicht mir durch meine Haare. „Ja alles gut. Praktisch, dass wir dieses Jahr schon in den Pfingstferien unseren Urlaub gemacht haben." Meine Eltern schauen sich kurz an, dann meint mein Vater: „Ja, es ist doch besser, wenn man die Sommerferien frei hat, um sie mit Gleichaltrigen zu verbringen." Auf Deutsch gesagt, Sie wissen schon VIEL länger, dass ich eine Feranyo bin und er will eigentlich anstatt gleichaltrig, gleichgesinnt sagen.
An diesen Abend lag ich noch lange wach. Die Einschlafbeschäftigung der Tage zuvor, das Licht zu erzeugen, sollte ich nicht mehr ausführen. Ein Klackern riss mich aus meinen Gedanken. Kurz überlegte ich, was solch ein Geräusch wohl erzeugen konnte, dann war ich auf einmal wieder hellwach und sprang wie von der Tarantel gestochen auf.
Ich schiebe den Vorhang beiseite und meine Vermutung bestätigt sich: eine kleine Fledermaus liegt auf meinem Fensterbrett. Als ich sehe wie unbeholfen sie dort sitzt plagt mich ein schlechtes Gewissen. Ich hätte das Fenster offenlassen sollen. Vor meinem Fenster ist ja kein Platz, wo sie sich hätte hinhängen können. Behutsam nehme ich sie in meine Hände und lasse sie sich an meiner Schreibtischlampe hinhängen. An ihrem Fuß hängt ein sehr kleines Röllchen. Ich nehme es ab, rolle das Papier auf und falte es noch ein paarmal auseinander. Korrigiere: die Papiere. Es handelt sich um zwei etwa DIN A5 große Blätter, hauchdünn. Auf dem ersten Blatt ist ein Brief, wie sehr sie sich freuen, mich bei den Feranyern willkommen zu heißen. Auf dem anderen ist ein Schreiben wegen dem Camp und eine Liste, was ich benötige.
Für das Camp sind keine Kosten aufzubringen. Sie werden pünktlich um 8 Uhr am ersten Samstag der Ferien von einem unserer Arbeiter abgeholt und zum Flugzeug begleitet. Mitzubringen sind:
· Nicht mehr als zwei Shirts (für die Freizeit)
· Genügend Hosen für jedes Wetter
· Geeignete Schuhe
· Ausweis und Papiere für die Reise
· Bei Bedarf: Geld für zusätzliche Ausgaben
Alle anderen Dinge werden vom Feranium gestellt und somit nicht benötigt.
Wir freuen uns auf Sie
Ich lese mir die Briefe dreimal durch, dann falle ich wieder müde in mein Bett.

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Feranyo
Fantasía„Ich schätze, du hast in den vergangenen Wochen schon ein paar besondere Dinge bemerkt." Ich nicke. „Wieso musstest du mich denn so erschrecken? Hätte doch auch einfach ein Brief kommen können." „Geht schon, aber wir sind ja keine Zauberer, auße...