Kapitel 5

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Snape starrte in den Spiegel. Es war Donnerstagmorgen und an dem Waschbecken festhaltend, blickte er sich verkrampft im Spiegel an.

In zehn Minuten müsste er nach oben gehen, den Klassenraum aufschließen und die 7. Klasse unterrichten. Er müsste in Amelias Augen schauen, ihre Anwesenheit ertragen und sich permanent zusammen reißen.

In der zweiten Unterrichtsstunde hatte er eigentlich geplant, die Praxis seiner Schüler auf die Probe zu stellen und dachte da an einen Irrwicht. Damit würde er vermutlich die meisten Schüler überraschen – normalerweise war das Stoff der dritten Klasse. Aber mit seinen eigenen Ängsten klar zu kommen, bedarf einiges an Mut und Übung und zudem wollte er den Stand seiner Schüler feststellen. Wer heute nicht mit einem Irrwicht zu Recht kommen würde, könnte direkt seinen Unterricht verlassen.

Jedoch machte er sich Sorgen. Die Gestalt seines Irrwichts war jahrelang Lilys Leiche gewesen. Schon lange hatte er es nicht mehr mit einem Irrwicht zu tun gehabt und sich vor der Klasse bloß stellen, was das Letzte was er tun wollte.

Natürlich würde das Bild nur Sekunden erscheinen, dann würde er den Irrwicht in ein sprechendes Buch verwandeln und ein Gedicht von Goethe aufsagen lassen, mit einer piepsigen Heliumstimme.

Snape überlegte. Wie konnte er sonst die Praxis an seinen Schülern üben? Die Aufsätze die die meisten Schüler ihm abgegeben hatten, waren sehr gut gewesen. Die Gedanken vieler waren sehr reif und tiefgründig – er mochte es, wenn man Dinge in Frage stellte.

Amelias Aufsatz hatte er noch kein Mal angerührt. Seit er sie gestern Abend auf seinem Korridor getroffen hatte, lagen seine Bemühungen darin, sie schnellstens zu vergessen und versuchen zu schlafen, was ihm leider schlecht gelungen war.

Die ganze Nacht war er wach gelegen und das sah man deutlich an seinen Rändern unter den Augen.

Seufzend wendete er sich von seinem Spiegelbild ab.

Er müsste sich etwas anders überlegen. Deshalb würde er heute wieder Theorie mit seinen Schülern durchführen.

Müde und erschöpft, ging Snape aus seinen Wohnräumen und bog nach einer Weile in den Korridor ab, wo sich das Klassenzimmer befand. Davor standen schon fast alle Schüler, inklusive Amelia, die etwas abseits mit Mister Stebbins über irgendetwas lachte. Missmutig beobachtete er die beiden im Gehen und schloss den Raum auf. Ohne sie weiter zu beachten, rauschte er hinein und seine Schüler strömten nach und nach in den Unterricht.

Er konzentrierte sich auf die verschiedenen Pergamentrollen, die auf dem Tisch lagen und entschied sich kurzerhand, den Stoff auf die Reflektion der verschiedenen Aufsätze zu beziehen. So könnte er zumindest die Aktivität seiner Schüler beurteilen.

„Schließen Sie die Tür, Mister Stebbins!", bellte Snape den verschüchterten Jungen an und dieser schloss hastig die Tür hinter sich.

Als alle ihren Platz eingenommen hatten, beobachteten sie gespannt und ehrfürchtig ihren Lehrer, der mit verschränkten Fingern lässig an seinem Pult lehnte.

„Die Damen, die Herren.", schnarrte er sarkastisch und nickte. „Beginnen wir mit dem Unterricht. Heute werden wir Ihre Aufsätze reflektieren, die bedauerlicher Weise noch nicht mal ansatzweise das Niveau erreichen, dass ich von ihnen erwarte."

Die Schüler stöhnten leise und heimsten sich einen bösen Blick von ihrem Professor ein. Snape übertrieb lieber etwas – wenn er Schüler lobte, dann würden sie faul werden und faule Schüler konnte er auf den Tod nicht ausstehen.

„Wieso – und ich betone – wieso, ist es ratsam, Menschen zu foltern, damit sie sich verändern?", ratterte er und blickte mit zusammengekniffenen Augen in die Menge.

Liebe kennt keine Grenzen | AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt