Sechs

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Um 3 Uhr Nachmittags kroch ich aus meinem Bett und stopfte meine getragene Wäsche aus Mallorca in die Waschmaschine. Dann kochte ich mir ein paar Nudeln und und aß sie, während ich im Fernsehen die Nachrichten verfolgte und mit meinen Freunden schrieb. Ella schickte mir auf Whatsapp tausende Bilder von einem Typen, den sie zwei Tage zuvor kenne gelernt hatte. Er sah ziemlich gut aus und ich merkte ihr an, dass es sie schwer erwischt hatte. Als gerade dabei war, das Geschirr in die Spülmaschine zu räumen, blinkte mein Display erneut auf.

So langsam habe ich genug Bilder von diesem Typ, Ella, dachte ich, als ich erkannte, dass ich eine neue Whatsapp-Nachricht bekommen hatte. Doch es war nicht Ellas Name, der auf dem Bildschirm angezeigt wurde. Es war eine unbekannte Nummer. Ich tippte sie an, vergrößerte das Bild und als mir bewusst wurde, wer darauf zu sehen war, schnappte ich nach Luft. Braune Augen schauten mich an. Es war Liam. 

"Hi Lorin, this is my number", schrieb er. "How are you? Are you already back in Germany?"

"I'm fine, thanks", antwortete ich mit pochendem Herzen. "How are you? Yes I arrived this morning. How was your flight? Where did you even go?"

Während ich wartete, schien die Zeit stehen zu bleiben. Eine Minute. Zwei Minuten. Ich trommelte mit meinen Fingern auf die Tischplatte. Fünf Minuten. Ich ging unruhig im Zimmer auf und ab.

Nach 12 Minuten empfing ich schließlich eine Antwort.

Liam: I'm fine too, thanks. I'm in the U.S. right now, we have some concerts there. But we have some gigs in Germany next month :)

Ich malte mir bereits aus, wie One Direction nach Frankfurt kommen würde und ich ihr Konzert besuchen würde. Liam würde statt "Diana" "Lorin" singen und mich auf die Bühne bitten, um mir dort eine rote Rose zu geben und mir zu sagen, wie viel ich ihm bedeutete. Ich würde ihm in die Arme fallen und sagen, dass ich genauso fühlte. Und dann würden wir uns küssen, während die Menge jubelt und..-

Stop! Ich durfte keine romantischen Gefühle für Liam haben. Er war Popstar und ich ein Fan und das war der einzige Grund, warum ich ihn mochte. Sonst nichts. Ich war nur aufgeregt Nachrichten von ihm zu bekommen, weil er berühmt war und nicht, weil ich ihn als Mensch mochte. Ich kannte ihn schließlich kaum! 

Ich: Really? Where do you have those gigs?

Keine zwei Minuten später hatte er mir zurückgeschrieben.

Liam: We have one concert in Berlin, one in Munich and one in Dusseldorf. May I ask where you live?

May I ask. Höflich war er auch noch. 

Düsseldorf war am wenigsten weit von Frankfurt entfernt aber auch um dorthin zu gelangen brauchte man ganze 2 Stunden mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Außerdem hatte ich keine Tickets für das Konzert, ich hatte ja nicht ahnen können, dass meine Liebe zu OneDirection nach zwei Jahren wieder neu entflammen würde. Mit Liebe meinte ich natürlich Fan-Liebe, denn ich hatte ja bereits beschlossen, keine tiefen Gefühle für sie zu empfinden. Es war einfach unklug, sich in einen Star zu verlieben.

Ich: I live in Frankfurt, that's two hours away from Düsseldorf. But I'm afraid I don't have any tickets.

Liam: Hmm.. maybe I can talk to the management and they'll let you come and see us backstage. The lads and I would love to see you again!

Wie erstarrt blickte ich auf mein Handy und las Liams Nachricht Wort für Wort erneut durch. Ich brauchte eine Weile, bis ich wieder klar denken konnte und realisierte, was die kleinen schwarzen Buchstaben bedeuteten.

Ich: That would be great! We could improve your German, it isn't perfect yet.. ;)

Liam: Haha I agree. Anyway, I have to go now our gig is going to start. See you! :)xx

Ich: Yes, see you and have a nice time :)x

Ich legte mein Handy aus der Hand und verdutzt stellte ich fest, dass alles, was ich auf Mallorca erlebt hatte, tatsächich passiert war. Es war zwar zu schön, um wahr zu sein, aber sonderbarer Weise kein Traum.

                                                                                        ***

Es dauerte keine zwei Wochen, bis ich mich wieder an den Uni-Alltag gewöhnt hatte. Da die Prüfungen noch in ferner Zukunft lagen, verbrachte ich meine Zeit außerhalb der Vorlesungen hauptsächlich mit meinen Kommilitonen. Ich streifte mit ihnen durch Bars, oder verabredete mich mit Ella nachmittags im Café. Ella war die einzige Person in meinem Freundeskreis, die ich schon aus meiner Schulzeit kannte und dafür war ich dankbar. Denn zwischen uns hatte sich mit der Zeit eine sehr starke Freundschaft entwickelt, ohne die ich mich oftmals vermutlich einsam und verloren gefühlt hätte. Auch Vanessa und Annika, bekannt als Nessi und Annie, waren sehr enge Freundinnen. Weil meine Familie eineinhalb Stunden Fahrt von mir enfernt wohne, wusste ich es zu schätzen, Menschen um mich zu haben, denen ich vertrauen konnte.

11 Tage nachdem ich von Mallorca zurückgekehrt war verabredeten sich Nessie, Annie, Ella und ich im Café Caloroso. Es war erst vor kurzer Zeit eröffnet wurden und befand sich in der Nähe unserer Apartments, also hatten wir beschlossen, es zu testen. Es war Februar, vereinzelt rieselten Schneeflocken vom Himmel und draußen war es bitterkalt. Umso schöner war es aber, mit seinen Freunden auf gemütlichen Sesseln zu sitzen, seinen Kaffee zu schlürfen und sich ein Stück Bienenstich zu gönnen. Wir befanden, dass wir öfter ins Caloroso kommen konnten, denn es herrschte eine beruhigende Atmosphäre und es war sehr gemütlich. 

"Habt ihr es eigentlich schon das mit Aylin und Tim gehört?", fragte Annie, während sie in ihrem Cappucino rührte. Wollte man neusten Klatsch und Tratsch hören, musste man nur Annie fragen, sie war stets bestens informiert. Ella runzelte besorgt ihre Stirn und auch ich war verwirrt. Aylin und Tim waren schon seit über einem Jahr zusammen und jeder wünschte sich eine Beziehung, wie ihre. "Sie haben sich gestern morgen getrennt. Tim hat es mir vorhin auf Whatsapp geschrieben. Die Armen. Ich glaube, sie sind beide total fertig... Dabei waren sie so ein tolles Paar! Das ist einfach nur zum Losheulen!", sagte sie und erntete ein zustimmendes Nicken von uns. Es tat mir aufrichtig Leid, dass die beiden sich getrennt hatten, aber bei den Wörtern "Whatsapp" und "schreiben" drifteten meine Gedanken zu einem anderen Thema.

Er hatte mir seit jenem Nachmittag nicht mehr geschrieben. Das Konzert war am Freitag in drei Wochen, also in 22 Tagen -ich hatte sogar schon die Fahrtkosten berechnet!- , aber Liam hatte sich noch nicht bei mir gemeldet. Ich nahm an, dass das Leben eines Popstars zu aufregend und ereignisreich war, um an eine deutsche Interviewerin zu denken und mit jedem Tag, der ohne eine Nachricht von Liam verging, glaubte ich weniger an ein erneutes Treffen mit One Direction. 

"Lorin? Hörst du überhaupt zu?" Nessies Stimme unterbrach meine Gedanken.

"Was? 'Tschuldigung, ich war in Gedanken."

"Nicht schlimm, ich hab nur gefragt, ob du denkst, dass Aylin einen Neuen hat. Soso, du warst in Gedanken? An wen denkst du denn?"

Für einen kurzen Augenblick zog ich in Erwägung, ihnen alles zu erzählen. Aber wenn ich das tat, würden sie mich ständig daran erinerrn und One Direction aus meinem Gedächtnis zu verbannen, würde noch schwieriger werden. Außerdem hatte ich nach wie vor das Gefühl, der richtige Zeitpunkt sei noch nicht gekommen.

"An niemanden! Ich hab eben einfach nachgedacht!"

"Irgendwann wirst du es uns erzählen", sagte Annie, "irgendwas stimmt doch nicht mit dir!"

Und damit hatte sie Recht, irgendetwas stimmte nicht mit mir. Ich schaute aus dem Fenster, es fielen noch immer kleine Schneeflocken vom Himmel. Mit einem Mal fiel mir auf, wie perfekt jede einzelne von ihnen war und ich wurde traurig bei dem Gedanken, dass die meisten auf dem Boden schmolzen, ohne, dass jemand erkannte, wie wunderschön sie waren. 

Impossible [Liam Payne]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt