Kapitel 3

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Negan Walker.
Den ganzen Tag schwirrt mir sein Name und sein höhnisches Grinsen durch den Kopf, begleitet von Empörung, Wut und Fassungslosigkeit. An einer Martin Luther King Schule dürfte so ein Ekel keinen Monat unterrichten. Und hier lässt man ihn schalten und walten, wie er lustig ist. Dieser Mann scheint sich über sämtliche Regeln des Anstandes hinwegzusetzen- und es interessiert keinen. Immer mehr ziehe ich es in Betracht, tatsächlich zu Jones zu gehen. Obwohl ich das eigentlich nicht will, Kollegen anschwärzen ist nicht die feine Art. Außerdem bin ich erst seit zwei Tagen hier und mein Unterricht gestaltet sich auch nicht gerade so, dass ich mir etwas drauf einbilden könnte- aber einfach ignorieren kann ich die ganze Sache auch nicht.

Meine letzte Unterrichtsstunde verläuft vergleichsmäßig gut. Ein kleiner Hoffnungsschimmer in meiner bisher eher dunkelgrauen Boushall-Erfahrung.
Nachdem alle Schüler sich hinaus gedrängelt haben, verlasse ich sogar mit einem leisen Pfeifen auf den Lippen den Raum- und wäre beinahe in eine kleine Schülergruppe geprallt, die sich auf den Gang zusammengefunden hat.
Schnell erkenne ich, was los ist. Ein schlacksiger Junge mit fieser Akne sitzt auf dem Flur und schluchzt herzzerreißend. Die anderen stehen unschlüssig um ihn herum, manche reden beruhigend auf ihn ein. Ich schiebe mich an den Schaulustigen vorbei und gehe vor dem Jungen in die Hocke.

"Was hast du denn?", frage ich sanft.
"Walker! Dieses Arschloch!", bricht es aus dem Jungen heraus.
'Wo er recht hat', denke ich bitter. Was hat dieser Typ jetzt schon wieder verzapft?
"Soweit ich weiß, ist Mr. Walker ein Lehrer, und ich möchte nicht, dass Kollegen von dir beleidigt werden."
Der Junge schaut zu mir auf und in seinem Blick spiegelt sich die Verletzlichkeit, die Wut so klar und deutlich wider, dass mein Zorn auf Walker sofort in luftige Höhen schnellt.
"Aber das ist er!", brüllt er, "Er ist ein Riesenarsch! Er ist fies und..."
"Jetzt verrate mir doch erstmal deinen Namen und dann sag mir, was passiert ist. Und ihr-", sage ich an die umstehenden Schüler gewandt, "Geht jetzt."
Artig traben sie davon. Wenn's brenzlig wird, sind auch Teenager froh, wenn sie die Verantwortung den Erwachsenen überlassen können.

"Also?", frage ich den Jungen.
"Louis. Mein Name. Und Walker...er hat mich schon immer auf den Kieker.", knurrt er, "Letztens hat er gefragt, ob meine Mutter von einer Raufasertapete gefickt wurde und ich dabei rausgekommen bin. Und heute..."
Seine Stimme bricht.
Erst jetzt merke ich, dass ich die Hände zu Fäusten geballt habe. Mein Fass der Geduld ist gerade massiv am Überlaufen.
"Heute hat er mich vor allen anderen runtergemacht. Stundenlang. Er hat sich danach entschuldigt, aber..."
Ich seufze und streiche Louis sanft über den Handrücken.
"Lass dir von dem nichts erzählen. Du bist gut so, wie du bist und er hat nicht das Recht, dich zu beleidigen und zu demütigen. Ich kann verstehen, dass du wütend und verletzt bist. Louis, ich kann dir nicht wirklich helfen, es sei denn, wir gehen gemeinsam zu Mr. Jones und..."
"Vergessen Sie's. Wenn die den rausschmeißen, bin ich dran."
"Wie meinst du das?"
"Die meisten hier vergöttern ihn."

Das ist ein völlig neuer Aspekt, der mir noch gar nicht in den Sinn kam. Aber klar, wenn Walker auf den Schwachen herumhackt, steigert das sein Ansehen bei den Starken. Für pupertierende Testosteronbolzen ist einer wie Walker ein Held. Einer, zu dem sie aufsehen.

"Es geht hier nicht um's Rausschmeißen, aber darum, dass sich etwas ändert.", starte ich einen weiteren Versuch.
Louis schüttelt niedergeschlagen den Kopf.
"Es wird sich nie was ändern.", er wischt sich die Tränen von den Wangen und nimmt dankbar das Taschentuch, welches ich ihm hinhalte, "Danke, Ms. Sie...Sie sind irgendwie anders, als die anderen hier. Aber ich werde nichts gegen Walker sagen."
Er steht auf und geht.
Der arme Kerl.
Mein Entschluss steht fest: Ich werde alles daran setzen, dass Mr. Fucking Walker, eine ordentliche Abreibung bekommt.

Jones Büro ist wahrscheinlich der einzige Raum in der Boushall, der noch halbwegs gut in Schuss ist und fast einladend aussieht.
Ich sitze steif in einem der gemütlichen Ohrensessel und warte ungeduldig darauf, dass Jones fertig wird, etwas in seinen Computer zu tippen. Mehr und mehr beschleicht mich das Gefühl, dass er sich damit extra Zeit lässt. Tippt der ernsthaft nur mit einem Finger?

Wenn morgen die Welt unterginge...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt