Kapitel 21

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Rrrrrr.
Was zur Hölle...?
Rrrrrr.
Rrrrrr.
Rrrrrrrrrrrrr.

Stöhnend schlage ich nach meinem Handy, aber das penetrante Vibrieren will einfach nicht verstummen.
Mühselig öffne ich ein Auge, um auf das blickende Display zu blicken. Es ist gerade mal halb Sechs.
Und Negan ruft an.
"Ja?", grunze ich in den Lautsprecher und lasse mich wieder auf mein Kissen zurückfallen, meine Augen fallen fast automatisch wieder zu.
"Hab ich dich geweckt?", fragt er belustigt und klingt dabei putzmunter.
"Hmhm. Ist spät geworden, gestern. Obwohl Steff und ein paar Gläser Wein mir geholfen haben."
Ein paar Gläser Wein. Haha. Mein Schädel fühlt sich drei Nummern zu groß an und hinter meinen Schläfen pocht es unangenehm.
"Wie kommt man auch auf die saublöde Idee, Geschenke zu basteln? Das habe ich schon im Kindergarten nicht mehr gemacht."
"Ja ja, Negan", brumme ich, "Ich weiß, dass du zu cool für diese Welt bist."

Basteln gehört ganz und gar nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Aber was soll ich machen, mein Dad mag keine gekauften Geschenke. Ich habe in den letzten Jahren nichts unversucht gelassen: Kunst, Reisen, Gutscheine, praktische Sachen...
Die Kaffeemaschine, die ich ihm vor fünf Jahren geschenkt habe, hat er noch nicht einmal ausgepackt, er benutzt immer noch seine uralte French Press. Die Reisen hat er weiterverschenkt, die Gutscheine fristen in irgendeiner Schublade ihr in Vergessenheit geratenes Dasein. Also bin ich zum Altbewährten zurückgekehrt, denn als Kind habe ich ihm zum Geburtstag immer ein Bild gemalt oder eine Geschichte geschrieben oder irgendetwas gebastelt.
Nur bin ich heutzutage leider viel unkreativer. Die Vogeluhr war Stefanies Idee, die, scheinbar aufgrund ihres angeborenens Grundschullehrer-Gens, überschäumt vor Kreativität und wenn sie Scheren und Bastelkleber sieht, nicht mehr zu bremsen ist. Ihr Zimmer gleicht der kunterbunten Welt von "Alice im Wunderland".
Gut für mich, denn dank ihrer Hilfe muss ich heute nicht mit leeren Händen zu meinem Dad fahren.

"Weiß ich doch.", tönt Negans Lachen aus dem Hörer, im Hintergrund zwitschert ein Vogel, also steht er wohl in seinem Garten und qualmt, "Ich will gleich losfahren und...ja...wollte nochmal 'Tschüs' sagen."
Ich kann ihn direkt vor mir sehen, wie er an seiner Corvette lehnt, das Telefon in der einen und einen dieser elenden Glimmstängel in der anderen Hand.
Trotz meiner Katerstimmung stiehlt sich ein Lächeln auf meine Lippen, in meinem Bauch beginnt es zu Rumoren, als würde etwas nervös darin herumflattern. Und gleichzeitig versetzt mir der Gedanke, ihn erst in einer anderthalben Woche wiederzusehen einen kleinen Stich. Der Wunsch, mit ihm mitzufahren, keimt unvermittelt in mir auf. Plötzlich interessiert mich, wie seine Eltern wohl sind, wie sie miteinander umgehen, wie sie auf mich reagieren würden...

"Bist du noch da? Oder bist du wieder eingepennt?"
"Ich bin noch da.", sage ich schnell, "Ich habe nur gerade darüber nachgedacht, wie es wohl...", ich verstumme und schlucke, "Ach, nicht so wichtig."
Ich beiße mir auf die Unterlippe und verfluche mich innerlich dafür, dass mich doch noch der Mut verlassen hat. Es ist sowieso viel zu früh, seine Familie kennenzulernen, rede ich mir ein, offiziell sind wir ja nicht mal ein Paar.
"So gerne ich wissen würde, was in deinem hübschen Kopf herumschwirrt - ich muss jetzt wirklich los. Viel Spaß beim Geburtstag feiern - wo geht ihr eigentlich Essen?"
"Ich denke mal, wie immer in 'Ruth's Diner'."
"Haha. Das klingt genauso bescheuert, wie Vögeluhren.", erwidert er trocken, "Ich freu mich schon darauf, deinen Dad mal kennenzulernen."
Das wäre der Moment. Los, Hazel, sag, dass er dich mitnehmen soll!

"Freu dich nicht zu früh.", entgegne ich stattdessen lahm.
Er lacht leise, ich höre, wie er einen tiefen Atemzug nimmt und kurz danach das Knirschen von Kies, als er die Zigarette austritt.
"Mach's gut, Hazel. Mach dir schöne Ferien und stell dich darauf ein, dass ich danach fetter bin. Da werden auch die paar Spiele mit meinem alten Baseball-Team nichts dran ändern."
Ich seufze. Die Gelegenheit ist ungenutzt verstrichen und ich muss mich wohl damit abfinden, ihn eine Weile nicht zu sehen.
Ist ja auch nicht so schlimm.
Gott, das ist überhaupt nicht schlimm!
"Dir auch viel Spaß.", seufze ich erneut ins Telefon,"Ich freu mich auf Mittwoch."
"Ich mich auch. Dann gehöre ich ganz dir, versprochen."

Wenn morgen die Welt unterginge...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt