Kapitel 12

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Die Tür zu meinem Apartment ist noch nicht einmal richtig zu, als Negan über mich herfällt. Er zieht mich an sich, seine Lippen pressen sich auf meine, seine Hände graben sich in meine Haare. Für einen Moment schaltet sich mein Hirn auf Standby und ich bin gefangen in seinem Kuss. Es ist eine angenehme Gefangenschaft, eine die nach Whiskey, Zigaretten und Sieg schmeckt.
Es kostet mich einiges an Überwindung, meine Hände gegen seine Brust zu stemmen und die Lippen von seinen zu lösen.
"Warte.", presse ich zwischen seinen Küssen hervor, "Ich muss unbedingt duschen. Seit wir in dieser Wohnung waren, bilde ich mir ein, dass mein ganzer Körper kribbelt."
Er nickt widerwillig, lässt schließlich von mir ab. In seinen Augen lodert es. Wieder habe ich das Gefühl, dass mich allein sein Blick in Brand setzt.
"Ich will dich nicht abhalten. Wo kann man hier rauchen?", suchend sieht er sich um und schwankt dabei leicht hin und her.
"Nirgendwo.", entgegne ich mit verschränkten Armen.
"Ach? Hier?", ungerührt zieht er sich eine Kippe aus der Schachtel und lässt sein Feuerzeug aufflackern.
"Du fliegst gleich raus.", drohe ich, "Mach das Ding aus und komm mit."
Ich packe ihn am Handgelenk und ziehe ihn in mein Zimmer.
Das gute an unserem Apartment ist, dass Steffs Zimmer durch Wohnzimmer und Küche von meinem getrennt ist. Sie dürfte uns nicht gehört haben. Hoffe ich.

"Mach's dir gemütlich.", instruiere ich ihn, "Und wenn du unbedingt die Luft verpesten musst, tu's auf dem Balkon."
Er schwankt durch mein Zimmer in Richtung Balkon und sieht sich dabei interessiert um.
"Ui, die heiligen Hallen der Hazel Manning.", sagt er grinsend und breitet die Arme aus, was ihn kurz ins Schleudern bringt, "Ich hatte es mir weniger...cool vorgestellt."
"Wie meinst du das?", frage ich mit hochgezogenen Brauen, während ich sichereitshalber alles noch einmal abscanne, bevor er etwas Peinliches entdeckt. Schnell schicke ich ein stummes Dankesgebet an meinen Ordnungsfimmel.
Nichts Verfängliches in Sicht.
"Naja...ich habe eher Spitzendeckchen und Katzenbilder erwartet. Vielleicht noch ein wenig Strickwolle und..."
Ich rolle mit den Augen und werfe ihm einen vernichtenden Blick zu.
"Haha, sehr witzig."
Ich sollte vielleicht nicht erwähnen, dass ich tatsächlich ab und an stricke.  Was ist schon dabei? Das ist mittlerweile wieder im Trend!
"Das war kein Witz."
Er blinzelt mich an wie ein unschuldiges Lämmchen. Wie schmeichelhaft. Er hält mich also für eine schrullige Katzenlady.
Ich schnaube verächtlich und drehe mich auf dem Absatz um.
"- Sei bloß still", zische ich ihm über die Schulter zu, "Und wecke Steff nicht auf. Sie ist ein Zombie, wenn sie nicht ihre acht Stunden schläft. Bin gleich wieder da."

Ich steige unter die Dusche, seife mich von oben bis unten ein, schließe die Augen und lasse einfach das Wassser über mich hinweg rauschen.
Wie gut sich das anfühlt. Heißes Wasser und der Pfirsichgeruch meines Shampoos. Langsam spüle ich den, wenn auch vielleicht nur vor Ekel eingebildeten, Dreck von meinem Körper. Während meine Glieder zunehmend entspannen, laufen meine Gedanken auf Hochtouren.

Was für ein Tag!
Kann man an einem einzigen Tag so eine Menge Gefühle durchleben? Ist es möglich, dass man auf der einen Seite mit größtem Leid konfrontiert wird und auf der anderen Seite vor lauter Übermut tanzen möchte? Dass man resigniert und triumphiert zugleich? Dass man am Morgen noch denkt, dass alles ein Fehler war und jetzt sitzt genau dieser Fehler in meinem Zimmer. Betrunken. Und offensichtlich mehr als nur in Flirtstimmung.
Und wieder denke ich: Was macht dieser Mann nur mit mir? Wie kann ich mich plötzlich auf solche Dinge einlassen? Dass, was wir heute getan haben, kann uns nicht nur unseren Job kosten. Und trotzdem...es fühlt sich richtig an. Ich denke, wir haben Mareks Familie wirklich irgendwie geholfen- vielleicht sogar mehr, als wir es auf herkömmlichen Weg hätten  tun können. Es ist falsch und richtig zugleich. Und ich habe nicht ansatzweise ein schlechtes Gewissen.

Ich werde abrupt aus meinen Gedanken gerissen, als jemand die Dusche öffnet.
Steff und ich schließen nie ab. Aber es ist auch nicht Steff, die mit einer unglaublichen Selbstverständlichkeit und dazu noch splitterfasernackt zu mir in die Dusche steigt.
Ich gebe einen spitzen Schrei von mir, schlinge meine Arme schützend um meinen Körper und drehe mich schnell um. Nicht besonders erwachsen, aber ich hatte schon immer ein sehr ausgeprägtes Schamgefühl und ein Problem mit Nacktheit.
Negan scheint das nicht sonderlich zu stören.
"Ich hab beschlossen, dass ich auch noch duschen sollte.", meint er leichthin und ich höre das Schmunzeln in seiner Stimme, "Und ich wollte nicht mehr von eurem Wasser verschwenden, als nötig."
Ich merke, wie er direkt hinter mich tritt, um an mir vorbei nach dem Duschbad zu greifen. Er berührt mich nicht und trotzdem jagen Blitze durch meinen Körper. Stocksteif und vor Erregung bebend stehe ich da und warte darauf, dass etwas passiert.
Es passiert nichts.

Als ich einen Blick über die Schulter werfe, sehe ich dass er sich seelenruhig einseift. Er fängt meinen Blick auf und grinst breit.
"Sex in der Dusche wird meiner Meinung nach vollkommen überbewertet.", erklärt er mir im übertrieben sachlichen Tonfall, "Mal davon abgesehen, dass ich in meinem momentanen Zustand eh nicht so standfest bin, ist es viel zu glitschig. Ich hab keine Lust, mit nem Ständer auf die Schnauze zu fliegen."
Vollkommen überrumpelt von seinem 'Sex in der Dusche-Vortrag' drehe ich mich wieder um, die Arme noch immer vor den prekären Stellen.
"W-wer hat gesagt, dass ich...", stammle ich peinlich berührt. Natürlich habe ich damit gerechnet, dass wie es sofort, hier, tun würden. Wer würde das in so einer Situation auch nicht denken? Jetzt komme ich mir deswegen lüstern und dumm vor.

"Ach, Hazel", sagt er leise, "Tu doch nicht so, als wärst du die eiserne Jungfrau."
Seine Stimme wird noch ein wenig leiser und rauer, als er direkt hinter mich tritt.
"- Wir wissen doch beide, dass das nicht stimmt."
Seine Hände gleiten von meinen Schultern abwärts. Dann spüre ich seine Lippen an meinem Hals, genau die Stelle, in die er mich gestern gebissen hat. Von dort aus breitet sich augenblicklich ein vibrierendes Prickeln über meinen ganzen Körper aus. Ich erzittere, ein leises Seufzen entweicht meinen Lippen Alles steht unter Strom, ich bin unfähig, mich zu bewegen.
Seine Hände haben meine Handgelenke erreicht, lösen meine Arme sanft aus ihrer Umklammerung. Da ich sie jetzt nicht mehr bedecke, umgreifen seine Finger meine Büste, umspielen die empfindlichen Brustwarzen. Ich lehne mich an ihn und lasse die Liebkosungen mit geschlossenen Augen über mich ergehen. Mein Verstand hat sich ohnehin längst wieder verabschiedet, wahrscheinlich verschwindet er gerade mit einem Hauch Pfirsichduft im Abfluss.

Vorsichtig dreht er mich um. Ich öffne blinzelnd die Augen, unterdrücke den albernen Impuls, sofort wieder meine Arme um meinen Körper zu schlingen.
Ich stehe vor ihm, vollkommen nackt, nur von dem Regen der Dusche und dem Wasserdampf umgeben. Er streicht meine Haare über die Schultern und betrachtet mich dann einfach nur. Die Erregung, die mein nackter Körper bei ihm auslöst, ist mittlerweile nicht mehr zu übersehen. Die, die er bei mir hervorruft, auch nicht.
"Negan...", setze ich an, keine Ahnung, was sich ihm eigentlich sagen will. Die  Worte bleiben mir im Halse stecken.
"Du musst dich nicht verstecken. Du bist schön.", sagt er schlicht. Er klingt gar nicht mehr so betrunken.
"Du auch.", krächze ich.
Oh, wie tiefsinnig, Hazel. Du auch. Also echt.
Ein Lächeln zieht über sein Gesicht.
"Findest du?"
Ich bekomme nur ein Nicken zustande. Er kneift die Augen zusammen, für einen Moment sieht es so aus, als läge ihm etwas auf der Zunge, wovon er nicht weiß, wie er es aussprechen soll. Dann schüttelt er leicht den Kopf und zieht mich erneut an sich.

Dieses Mal ist es ein sanfter Kuss. Einer, der zunächst damit beginnt, dass man sich tief in die Augen blickt. In diesem Moment entsteht ein Band, ein Bann. Eine Verbindung. Man lässt den anderen für einen Augenblick in die eigene Seele blicken, zeigt sich von der verwundbarsten, verletzlichsten Seite. Bei Negan habe ich das Gefühl, in einen Sturm zu blicken. Er scheint in ihm zu toben und ich weiß nicht woher er kommt. Er macht alles andere unscharf. Und trotzdem reißt er mich mit.
Unsere Blicke wandern zu unseren Lippen. Meine zittern. Um seinen spielt wie immer ein leichtes Lächeln und zugleich etwas Ernstes. Ich weiß, wie sie sich anfühlen und könnte es trotzdem gerade nicht beschreiben. Es gibt Dinge, für die reichen Worte nicht aus.

Mit noch nassen Haaren und bereits ineinander verschlungenen Leibern fallen wir in mein Bett.
Es ist heute ganz anders, als gestern. Gestern, das war Trieb und pure Lust. Es hatte nicht viel mit Gefühlen zu tun.
Heute verbindet uns etwas und das macht alles noch viel aufregender, noch intensiver, obwohl ich das vor ein paar Minuten noch nicht für möglich gehalten hätte. Ich hätte nicht gedacht, dass man das, was ich gestern erlebt habe, noch steigern kann. Aber man kann.

Ich weiß nicht, was schöner ist: Das Gefühl der absoluten Befriedigung, welche in sanften Wogen durch jede Faser des eigenen Körpers strömt oder aber, im Arm eines anderen Menschens einzuschlafen. Den Atem des anderen auf der Haut zu spüren. Von seiner Wärme und seinem Geruch umgeben zu sein. Seinen gleichmäßiger werdenden Atemzügen zu lauschen. Seine Hände zu spüren, die sanfte Linien malend, langsam über die noch vom Sex erhitzte Haut streichen. Sich geborgen und sicher zu fühlen.
"Steff wünscht, dass ihr der Kaffee morgen in Boxershorts serviert wird.", murmle ich, bereits im Halbschlaf. Ich spüre förmlich, wie sich das Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitet. Er küsst mich sanft auf den Hinterkopf.
"Wird erledigt."

Wenn morgen die Welt unterginge...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt