Kapitel 13

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Stolz wie Graf Koks, das Best-Of-Album von Queen in voller Lautstärke aufgedreht, fahre ich am Samstag in Negans Corvette zu meinem Treffen mit Tarek.
Er hat tatsächlich seinen Einsatz gehalten: Heute Morgen stand der Wagen vollgetankt vor unserem Haus, ein Umschlag mit dem Schlüssel lag im Briefkasten.
'Nur ein Kratzer', stand in Negans krackeliger Schrift darauf, 'und du bist tot!' 
Es wundert mich nur, dass er nicht 'Hallo' gesagt hat. Aber darüber werde ich mir jetzt bestimmt nicht den Kopf zerbrechen, dafür habe ich viel zu gute Laune. Inbrünstig schmettere ich im Duett mit Freddie Mercury die Bohemian Rhapsody, trommle den Rhythmus auf dem Lenkrad mit.

I see a little silhouetto of a man
Scaramouch, Scaramouch will you do the Fandango
Thunderbolt and lightning, very, very frightening me
Galileo, Galileo, Galileo, Galileo
Galileo, Figaro, magnifico

Das Auto riecht nach ihm. Nach Leder und Aftershave. Ganz leicht nach Zigarette, aber das stört mich nicht. Es ist ein schöner Geruch. So riecht mein Triumph. So riecht ein perfektes Wochenende.
Als ich an einer roten Ampel halte, starrt der Mann am Steuer des Autos neben mir, herüber. Ob er neidisch auf die Corvette ist oder skeptisch, weil ich so schief singe und herum zapple wie eine Verrückte, ist nicht genau zu erkennen. Es könnte mir aber auch nicht egaler sein. Ich grinse ihn breit an.

Das Casetta ist ein kleines italienisches Caffé mit Zitronenbäumchen davor und liegt in einer ruhigen Seitenstraße. Es wirkt wie eine mediterrane Oase in der Stadtwüste.
Ich sehe Tareks dunkelroten Volvo schon von Weitem und lasse die Corvette direkt daneben in die Parklücke schweben. Meinem Freund, der bereits auf dem Parkplatz steht und an einem Vaporizer pafft, klappt die Kinnlade herunter, als ich aussteige.
"Eine C4! Ist das deine?", fragt er fassungslos und geht um den Wagen herum, streicht ehrfürchtig über den blauen Lack, "Hast du den alten Benni etwa endlich ausgemustert? Man, die ist ja top in Schuss."
Er hat gerade nur Augen für das Auto.
Schön, dass er mich so freudig begrüßt.
Ich lehne mich an die Corvette und schaue seinem Treiben eine Weile mit schief gelegtem Kopf zu. Er sieht ein bisschen aus, wie ein Hund, der jeden Moment das Kissen besteigen will.
"Nee. Benni gibt's noch. Ich hab sie nur über's Wochenende. Hab ich im Skat gewonnen."
Tarek reißt die Augen auf.
"Im Skat gewonnen?", wiederholt er ungläubig, "Welcher Trottel würde um so eine Schönheit spielen?"
Sein Tonfall klingt, als hätte ich ihm gerade erzählt, dass ich eine Kirche geschändet habe.
"Mindestestens einen dieser Trottel gibt es schon mal.", erwidere ich zwinkernd, "Hat's nicht unbedingt freiwillig getan. Aber gewonnen ist gewonnen."
Er schüttelt noch immer ungläubig den Kopf, grinst dann aber schief.
"Hach ja, ich erinnere mich wieder, dass du ja ständig Skat spielen wolltest. Um mich abzuziehen."
"Jep.", grinse ich zurück.

"Schön dich zu sehen, easal."
Endlich löst er sich von der Corvette und zieht mich in seine Arme. Easal, das arabische Wort für 'Honig', ist sein Kosename für mich. Das ist einer der besseren. Wenn ich mal wieder den altklugen Moralapostel raushängen lasse, nennt er mich jida- Großmutter.
"Man, bist du breit geworden.", rufe ich verwundert, als ich die harten Muskeln unter seinem Shirt spüre, "Trainierst du?"
"Ich mach jetzt ein wenig Crossfit.", gesteht er ein wenig betreten- wir waren beide stets bekennende Sportmuffel- und streicht sich die Haare aus der Stirn, "Wollen wir?"
Ich nicke und wir machen es uns auf der Terrasse bequem.

Crossfit. Typisch. Tarek ist ein kleiner Hipster, aber er war es irgendwie schon, bevor alle anderen es waren. Er hatte schon immer ein Faible für Nerdbrillen, Facon Haarschnitte (ich glaube, heutzutage nennt man das Sidecut) und Röhrenjeans.
Als ich meinen Kaffee und er seinen Chai Latte mit Sojamilch bestellen, lächelt die Kellnerin ihn schmachtend an und klimpert verführerisch mit den Wimpern. Ja, er sieht wirklich immer besser aus. Seine dunkle, olivfarbene Haut, der gepflegte Viktor-Emanuel-Bart á la Johnny Depp, die stilvollen Tätowierungen, das dichte schwarze Haar, jetzt noch die Muskeln- er kann sich wirklich sehen lassen. Die Frauen liegen ihm bestimmt reihenweise zu Füßen. Ich werde trotzdem immer den schlacksigen Teenager mit der viel zu großen Brille vor mir sehen, wenn ich Tarek anblicke. Den, mit dem ich stundenlang in unserem Garten saß, Mathe gebüffelt und Musik gehört habe. Den, mit dem ich mein erstes Konzert besucht habe. Den, mit dem ich die erste Liebe und den ersten Herzschmerz durchlebt habe. Den, dem ich als zweites (nach Steff) davon erzählt habe, dass Aaron mich geküsst hat.

Wenn morgen die Welt unterginge...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt