Kapitel 9

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Eigentlich bin ich ganz froh, dass das Wochenende vorbei ist und ich mich durch die Arbeit ablenken kann. Nur ist mein Arbeitsplatz auch zugleich der Ort, vor dem ich mich verstecken möchte. Beziehungsweise vor dieser einen bestimmten Person.

Im Anschluss an den Unterricht, findet heute die erste Lehrerkonferenz des Schuljahres statt. Diese regelmäßigen Pflichtübungen sind bei Lehrern ungefähr so beliebt wie Hämorrhoiden. Dies zeigt sich auch an der spärlichen Besetzung der Aula. Ein großer Teil des Kollegiums ist bereits seit Schuljahresbeginn krank, ein weiterer Teil hat es offensichtlich geschafft, sich Termine auf den heutigen Nachmittag zu legen oder mit anderen fadenscheinigen Ausreden davon zu kommen. In Schülermanier haben sich die wenigen anwesenden Lehrer auf die hinteren Platzreihen geflüchtet, um dort in Ruhe zu korrigieren, zu lesen, Kreuzworträtsel zu lösen oder, wie zum Beispiel Mr Kowalski, ein Nickerchen zu halten, während Jones vorne geschäftig am Beamer herumdoktert.

Wie vorbildlich wir doch sind.
Ich lasse meinen Blick durch die Aula schweifen und kann, zu meiner Erleichterung, Negans schwarzen Haarschopf nirgendwo entdecken. War ja klar, dass es Konferenzen als unter seiner Würde erachtet. Aber heute bin ich dankbar für diese Einstellung. Ich gehe ihm, nachdem ich am Freitag so wagemutig den Gipfel der Peinlichkeit erklommen habe, lieber aus dem Weg. Und das bisher sehr erfolgreich.

Ich lasse mich auf einen Stuhl der vorderen, leeren Platzreihen fallen und parke meine Tasche neben mir. Sind ja genug Plätze frei.
Jones hat seinen Kampf mit der Technik gewonnen und wendet sich an sein Lehrerkollegium.
"Liebe Kolleginnen und Kollegen. Das neue Schuljahr steht bevor-"
Kowalski beginnt jetzt leise zu schnarchen. Ms Boettger rammt ihm ihren Ellenbogen in die Seite und widmet sich dann wieder ihren Korrekturen.
"Chrm.", fährt Jones leicht irritiert fort, "Und wir beginnen mit der alljährlichen Vertrauenslehrerwahl. Sollte sich dieses Jahr keiner freiwillig melden, bestimme ich wieder zwei. Also- wer will?"

"Manning, Walker."
Ich reiße meinen Kopf herum und sehe wie Negan durch die Stuhlreihen schlendert, als wäre er keine Sekunde zu spät.
Ms Hollow,  neben mir eine der wenigen Kolleginnen, die noch nicht kurz vor der Rente steht, stellt ihre Tasche beiseite und sieht ihn erwartungsvoll an. Negan schenkt ihr sein charmantes Zahnpastalächeln, was sie augenblicklich erröten lässt, spaziert aber an ihr vorbei.
Mit einer unverschämten Selbstverständlichkeit packt er meine Tasche und fläzt sich auf den Stuhl neben mich. Und zwar so, als bestehe so wenig Platz, dass unsere Ellbogen und Knie aneinander stoßen müssten. Ich rutsche ein Stück von ihm weg.
"Wer hat gesagt, dass ich-"
"Ach komm, du bist doch die ganze Zeit schon geil auf den Job!", gibt er entspannt zurück.
"Aber doch nicht mit dir!", entfährt es mir fast panisch. Ich wollte ihm doch aus dem Weg gehen!
Negan kichert nur leise.

"Oh, okay. Wer ist dafür, dass Ms Manning und Mr Walker dieses Amt dieses Jahr begleiten?", fragt Jones in die Runde. Alle Anwesenden heben die Hand, ohne auch nur von ihren Tätigkeiten aufzusehen.
"Gut. Sehr schön. Das war ja leicht. Höhö. Sie bekommen auch dieses Jahr wieder ein eigenes Büro..."
Negan stupst mich mit seinem Ellbogen an.
"Uiii. Wir bekommen ein gemeinsames Büro! Ist das nicht toll?"
"Grmpf.", mache ich nur. Ich bemerke, wie er mich mustert.
"Mir scheint es, als wäre die Eisprinzessin heute noch unterkühlter, als sonst.", stellt er dann fest. Wieder einmal scheint er sich köstlich zu amüsieren.
"Kannst du diese Sprüche mal lassen?", entgegne ich genervt.
"Was hast du denn? Hast du dir das Ende unseres Ballabends anders vorgestellt?"
"Nein. Alles andere hätte ich nur bereut."
Er wirft mir einen prüfenden Blick zu, lässt das Thema aber zum Glück fallen.
Jones ist bereits zu den Terminankündigungen übergegangen. Ich zücke meinen Kalender und trage die anstehenden Termine sorgfältig ein.

"Machst du dir ernsthaft Notizen?"
"Ja."
Negan starrt mich an, als wäre ich nicht ganz dicht.
"Alles, was der da redet, steht zu gegebener Zeit noch mal irgendwo im Lehrerzimmer.", erinnert er mich und spricht dabei so langsam, damit ich es auch begreife.
"Ich weiß.", erwidere ich kühl, "Ich bin aber gerne informiert. Außerdem ist es unsere Berufspflicht-"
Negans demonstratives Gähnen beendet jäh meinen Vortrag über Lehrerpflichten. Ich kann nur mit dem Kopf schütteln und konzentriere mich wieder auf Jones, der gerade die nächste Powerpointfolie aufgerufen hat und über zukünftige Baumaßnahmen referiert.

Wenn morgen die Welt unterginge...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt