Kapitel 5

112 17 26
                                    

Was für eine Woche!
Das, was in diesen wenigen Tagen alles passiert ist, hätte nicht mal zwischen zwei Buchdeckeln platz. Ich fühle mich so ausgelaugt, als wäre das Schuljahr schon fast wieder rum.
Selten habe ich mich so sehr auf ein Wochenende gefreut, wie jetzt. Der Samstag ist mir entgegengetreten, wie ein lächelnder, alter Freund. Einer, der mich im Arm wiegt, tröstet, beruhigt.
Dabei war der Rest der Woche gar nicht so schlimm. Meine 10. verhält sich nach wie vor mustergültig, Keve und Tyson stechen besonders engagiert hervor. Mit Hingabe beschäftigen sich die Jugendlichen mit 'Romeo und Julia'. Ich kann es immer noch nicht richtig glauben.
Leider befürchte ich, dass dieser Sinneswandel nicht auf meine Persönlichkeit, auf Einsicht oder Reue der Schüler zurückzuführen ist. Das alles ist allein Walkers Verdienst, so ungern ich das zugeben möchte. Obwohl ich ihn mittlerweile mit etwas anderen Augen sehe, weiß ich nicht, was ich von ihm halten soll. Die Schüler sind ihm nicht egal, dieser Zweck heiligt aber, meiner Ansicht nach, nicht unbedingt seine Mittel.
Und das macht das Ganze zu einem bitteren Sieg. Wenn nicht sogar zu einer weiteren Niederlage.

Ich schiebe diese Gedanken von mir und konzentriere mich wieder auf meinen Roman.
Meine bisherige Aktivität heute, bestand darin, mir einen Kaffee zu kochen, mich auf die Couch zu mümmeln und mich durch diesen dicken Schmöker zu wälzen, während Stefanie durch die Wohnung wuselt. Sie hat diese Woche Putzdienst und ich werde mich hüten, auch nur einen Finger krumm zu machen. Steff ist nicht ansatzweise so ordnungsliebend wie ich und ich räume ihr so schon alles hinterher.

Wir kennen uns seit der High School, und ja, sie ist meine beste Freundin.  Wenn nicht sogar mehr, falls es etwas gibt, was darüber hinausgeht.
Steff ist die Einzige, die noch da ist, die immer da war. Mittlerweile kenne ich sie schon so ewig, dass ich das Gefühl habe, sie manchmal besser zu verstehen, als mich selbst.
Wir haben gemeinsam unseren Schulabschluss gemacht, gemeinsam studiert, sind beide Lehrerinnen geworden, beruflich haben sich unsere Wege erst getrennt, als Steff an die Grundschule gegangen ist. Privat hat sich dagegen kaum etwas geändert. Wir leben seit 3 Jahren zusammen, wir sind wie Himmel und Erde und sind schon mehr als einmal gemeinsam durch die Hölle und wieder zurück marschiert.
Manchmal wundert es mich selbst, dass wir uns so gut verstehen, so unterschiedlich wie wir doch sind.

Steff ist voller Lebensfreude und Unbesorgheit, während mir eher die Schwermut inne ist. Ich bin ein Kopf-, sie ein Herzmensch. Sie ist kindlich verspielt, ich komme dagegen zuweilen etwas, nun ja, altbacken daher. Ich bin die Vernünftige, sie ist die Leichtsinnige. Ying und Yang. Oder Ebbe und Flut. Oder Walzer und Tango. Oder Frühling und Winter.

"Du siehst aus, als hättest du vor, gleich den Dancefloor unsicher zu machen- und nicht, als würdest du Wohnung putzen.", kommentiere ich schmunzelnd ihren inadäquaten Kleidungsstil. Sie trägt ein hautenges, gelbes Kleid und ihre glitzernden Ohrringe und Armreifen klappern bei jeder Bewegung.
Stefanie liebt es, sich am Wochenende aufzubrezeln, selbst dann, wenn wir nur das Haus verlassen, um beim Bäcker frische Brötchen zu besorgen.

Das ist auch so ein Lehrerding.
In der Schule gilt es, so wenig Haut wie nur möglich zu zeigen. Jeder Brustansatz, jedes Stückchen nackte Haut, löst bei uns Unbehagen und die Angst aus, dass die (Pre/Post)Pubertierenden davon abgelenkt werden. Es gibt für uns kein schlimmeres Horrorszenario, als dass uns eine Horde Pubertierender hechelnd auf den Ausschnitt stiert.  Lehrer sind asexuelle Wesen. Wer mit diesem ungeschriebenen Gesetz bricht, kann sich sicher sein, dass man sich über ihn im Lehrerzimmer das Maul zerreißt.
Zugleich muss man natürlich auch immer irgendwie seriös und gebildet aussehen- Jogginghosen, ausgewaschen T-shirts et cetera sind dabei, zu meinem Leidwesen, auch tabu.
Meine Garderobe hat sich im Laufe der Zeit meinem Beruf immer mehr angepasst. Ich besitze kaum ein Shirt mit einem nennenswerten Ausschnitt oder ein Kleid, welches nicht mindestens bis zum Knie geht. Keine auffälligen Farben. Keine High Heels. Kaum Schmuck.
Da mein Sozialleben außerhalb meiner WG mit Steff quasi nicht existent ist, brauche ich das auch nicht.

Wenn morgen die Welt unterginge...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt