Ich war eine Außenseiterin, eine Verfluchte. Ein Kind der Nacht, eine Tochter der Dämonen der Finsternis. Niemand wollte etwas mit mir zu tun haben. Zu meinem 12. Geburtstag tobte erneut ein Unwetter, welches dem zum Zeitpunkt meiner Geburt ähnelte. Diesmal starb wieder eine Person, meine Mutter. Auf die gleiche nicht nachvollziehbare Art und Weise wie damals mein Vater. Meine Mutter begann, fast zum gleichen Zeitpunkt als damals mein Vater umgekippt war, zu bluten und keiner konnte ihr helfen. Sie verblutete einfach vor den Augen der anderen.
Der Tod von beiden Elternteilen wurde mir angelastet. Viele im Dorf meinten, dass irgendetwas doch mit der Kleinen nicht stimmte, wenn ihre beiden kerngesunden Eltern auf so mysteriöse Weise ums Leben kamen.
Noch in derselben Nacht wurde ich aus meinem Elternhaus und in den Wald hinein getrieben. Ich wurde aus dem Dorf verbannt, damit nicht noch mehr Menschen wegen mir sterben müssen. Die Dorfbewohner hatten schon vor dem nächsten größeren Unwetter Angst, das vielleicht einen von ihnen holen würde.
Verängstigt lief ich durch den Wald. Eulen flogen über meinen Kopf hinweg und schuhten unheimlich. Im Unterholz tummelten sich Mäuse und anderes Getier. Blätter raschelten unter den Bäumen und Äste knackten unter den Beinen der Waldbewohner. Zu so später Stunde traute sich kein Mensch mehr in den Wald. Nur ich war noch draußen.
Plötzlich verstummte jedes Geräusch. In der Ferne erklang ein Donnern. Blitzschnell huschten die Tiere des Waldes in den nächstbesten Unterschlupf. Das Schließen von Fensterläden erklang bis in den dichten Wald hinein. Währenddessen rollte der Donner auf den Wald zu. Binnen kurzer Zeit kam noch das Peitschen von Hagelkörnern hinzu. So schnell ich konnte, lief ich durch den Wald, auf der Suche nach einem passenden Unterschlupf für meinen kleinen, zierlichen Körper. Alle paar Schritte rutschte ich auf den glitschigen Untergrund oder flog über vereinzelnde Wurzeln. Ich konnte aufgrund der Dunkelheit nicht einmal die Hand vor meinen Augen sehen.
Nach fast fünf Minuten erreichte ich eine Lichtung, welche vom Mond erhellt wurde. Ein Wasserfall fiel rauschend rechts von ihr in einen großen See herab. Hinter dem fallenden Wasser entdeckte ich eine riesige Höhle. Schnell kletterte ich über die Steine und Felsbrocken und rutschte über die glitschigen Felsen in die Höhle hinab. Als ich wieder festen Boden berührte, entfesselte das Unwetter seine Kraft. Regen und Hagelkörner trommelten auf die Oberfläche des Sees, so dass Wasser in die Höhle schwappte und ich mich zurückziehen musste. Gleichzeitig tobte das Wetter auch über dem Dorf und zerstörte dieses binnen kurzem. Keine Mauer stand mehr, kein Lebewesen rührte sich mehr. Das Dorf war bis auf seine Grundfesten zerstört und ausgestorben.
Nur ich hatte neben den Tieren des Waldes überlebt. Die Höhle hinter dem Wasserfall hatte mir ausreichend Schutz gewährt. Als das Wetter vorübergezogen war, atmete ich erleichtert auf und folgte den Weg zurück zum Dorf. Dort fand ich nur noch die Trümmer der Häuser und vereinzelnde Leichen. Nur mein Elternhaus hatte wie durch ein Wunder keinen Schaden genommen. Rund um das Gemäuer war eine fast zehn Zentimeter hohe Hagelschicht, doch das Haus war unversehrt. Kein Fenster war in die Brüche gegangen, kein Kratzer war auf der Tür zu finden, keine Risse befanden sich in der Mauer oder am Dach. Neben dem Haus klagen Baumriesen entwurzelt und das ganze Dorf in der Nähe machte einen trostlosen Eindruck.
Nun gab es nur noch mich, ein verbanntes Mädchen. Ein Kind der Nacht, welches die abergläubischen Dorfbewohner als Tochter der Finsternis bezeichnet hatten. Die Verbannung schien mir das Leben gerettet zu haben. Doch nun war ich auf mich alleine gestellt. Keiner würde mir mehr helfen können.
Langsam wandte ich mich wieder um und betrat erneut den Wald, um zur Lichtung zurückzukehren. Dort richtete ich mir einen Unterschlupf aus Geäst und Blättern. In der Nähe fand ich noch Waldbeeren und Wasser befand zu in Unmengen im See. Während meiner Kindheit hatte ich nie den Wald betreten wollen. Dieser erschien mir unheimlich und beängstigend. Jetzt betete ich mich in der Höhle hinter dem Wasserfall zur Ruhe und schlief in der Stille des Waldes ein. Mein Leben sollte nun hier stattfinden, im Wald, bei den Tieren.
Tagtäglich ging ich auf Nahrungssuche und lernte sogar Fallen zu stellen. Mit der Zeit lief ich mit den Rehen um die Wette und spielte mit den Hasen auf der Lichtung. Von den Füchsen lernte ich das Jagen und von den Vögeln, lernte ich die Wetterverhältnisse vorauszusehen. Langsam wuchs ich aus meinen Sachen heraus und verarbeitete Hirschleder, welches ich vorher über dem Feuer trocknete, zu neuen Kleidungsstücken.
Trotzdem wagte ich mich nicht zu den anderen Dörfern. Von Zeit zu Zeit kam eine Personengruppe vorbei und schaute das „Spuckdorf", wie sie es nannten, an. Von meinem Versteck hörte ich, wie sie über mich herzogen. Einige verfluchten mich, andere beschimpften mich und der Rest hatte vor mir Angst, obwohl sie alle mich nicht kannten. Ich hatte auch schon von den alten Legenden gehört und hoffte, dass sie mich nicht für einen Dämon der Nacht hielten. Doch ich konnte mir keine Gewissheit verschaffen. Ich wollte das Risiko nicht eingehen und mich ihnen stellen. Stattdessen verzog ich mich wieder in den Wald und lebte mit meinen tierischen Freunden. Sie halfen mir bei meiner Nahrungssuche und nahmen mir es nicht übel, wenn ich von Zeit zu Zeit einen von ihnen tötete. Als Gegenleistung verarztete ich ihre Wunden, so gut es mit den wenigen Hilfsmitteln im Wald ging. So lebten wir gemeinsam und zufrieden.
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Die Waldfee
FantasyEin Mädchen wird geboren, was die Dämonen der Nacht bekämpfen soll. Stattdessen wird es als Tochter der Finsternis bezeichnet und verdammt. Schafft sie es sich zu behaupten und ihre wahre Bestimmung anzutreten oder verliert sie sich in den wirren de...