Neue Energie

896 95 10
                                    


Mein Blick war die ganze Zeit starr auf den Tower vor mir gerichtet. Ich wusste nicht mehr, wie lange ich dort auf dem klapprigen Stuhl saß, an dem klapprigen Tisch auf der Terrasse eines kleinen Coffee Shops direkt unterhalb des Stark Towers. Ich konnte nicht nach Hause gehen, meine Eltern dachten ich würde in der Universität sitzen und eine Prüfung schreiben. Ich konnte nicht zu Tony, denn er wusste nicht wer ich war. Wenn ich so darüber nachdachte, konnte ich eigentlich nirgendwo hin. Und genau aus dieser Überlegung heraus saß ich schon seit sehr, sehr langer Zeit an dem Tisch des Coffee Shops und starrte vor mich hin. Ich hatte mittlerweile zwei Kakao bestellt, mit dem Kleingeld welches ich in meiner Tasche gefunden hatte, damit man mich nicht wegschicken würde. Denn um ehrlich zu sein wusste ich dann gar nicht mehr weiter. Mein einziger Plan war es hier zu sitzen und darauf zu warten, dass mir die Lösung wie von Zauberhand aus dem Himmel fallen würde.
Und ich wartete schon lange.
Doch noch hatte sich nichts gezeigt.
Kein Zeichen.
Keine Lösung.
Ich stöhnte auf und nippte an meiner zweiten Tasse. Ich trank so langsam, dass das süße Getränk mittlerweile kalt geworden war. Ich lehnte mich vor und zuckte wimmernd zusammen. Der Schmerz an meinem Bein zuckte wieder hoch. Tony hatte gute Arbeit geleistet mich zu verarzten, ich würde wieder werden. Er hatte mir zwar empfohlen zu einem Arzt zu gehen doch den Teufel würde ich tun! Ich würde es schon überleben, ich hatte schon schlimmeres in der Vergangenheit durchleiden müssen... oder Zukunft? Ich stöhnte verzweifelt auf und schloss meine Augen. Die gesamte Situation brach über mich zusammen. Ich steckte in der Vergangenheit fest, musste irgendwie die Welt retten und dann irgendwie wieder zurück in meine Zeit finden. Ich biss mir auf die Unterlippe als mir ein Gedanke kam. Und was, wenn ich einfach in dieser Zeit bleibe? Was erwartete mich schon in der Welt, in der ich zurückkehren wollte? Die Avengers waren tot. Loki war tot! Wahrscheinlich wurde die Welt bereits von Dunkelelfen überrannt und es gab niemanden, der diesen Untergang verhindern könnte. Vielleicht war meine Familie auch schon tot. Ich schluckte. Vielleicht gab es nichts mehr zu was ich zurückkehren konnte. Wieso fand ich mich dann nicht einfach mit meinem Schicksal ab und blieb in einer Vergangenheit, in der meine Freunde noch lebten und die Welt in Frieden existierte? Ich spielte mit den Gedanken und starrte zum Tower hoch. Ich könnte mich als Praktikantin bei Stark Enterprises melden. So hatte es doch damals alles angefangen. Das hir würde ein Neuanfang werden. All die Fehler die ich getan hatte... all das Leid was geschehen war konnte wieder ungeschehen gemacht werden!
„Miss?"
Ich schreckte aus meinen Gedanken auf. Anscheinend hatte mich jemand der vor dem Tisch stand mehrfach angesprochen, ohne dass ich reagiert hatte. Ich räusperte mich und unterdrückte ein Wimmern, da durch die schnelle Bewegung die Wunde an meinem Bein zu Pochen begann.
„Ja, es tut mir leid ich..." Ich stockte mitten im Satz. Eigentlich hatte ich gedacht dass der Kellner wieder aufgetaucht war um mir zu sagen, dass ich ohne eine weitere Bestellung nicht ewig hier sitzen bleiben könnte, doch ich hatte mich geirrt. Denn vor meinem ich stand kein Kellner.
Dort stand Steve Rogers.
Steve musterte mich mit einem höflichen Lächeln. „Ich wollte Sie nicht erschrecken, Miss, es tut mir Leid."
Mein Mund fiel auf, doch ich schaffte es rechtzeitig ihn wieder zu schließen, bevor es in irgendeiner Weise seltsam werden könnte.
Als Steve bemerkte, dass ich nichts dazu zu sagen hatte räusperte er sich und lächelte weiter. „Ich wollte Sie nur fragen, ob Sie mir erlauben würden mich zu Ihnen zu setzen? Das Café ist voll und Sie sitzen an dem leersten Tisch des Lokals. Ich möchte allerdings nicht aufdringlich sein, wenn Sie lieber alleine sein wollen würde ich es voll und ganz verstehen."
„Nein!", rief ich etwas zu schnell. Steve blinzelte überrascht auf und nun war ich es, die sich räuspern musste. „Nein ich... ich war nur in Gedanken verloren es tut mir sehr leid. Bitte setzen Sie sich!" Hastig zog ich meine Tasse näher zu mir und räumte meine Tasche von dem leeren Platz mir gegenüber weg, sodass er sich setzen konnte, was er sogleich mit einem dankbaren Lächeln im Gesicht auch tat. Und ich konnte nichts weiter tun als ihn anzustarren. Mir jeden seiner Züge zu merken, sein Gesicht einzuprägen und das Lächeln, welches er mir schenkte. Es war dasselbe Phänomen wie bei Tony zuvor. Ein Freund, den ich habe sterben sehen saß mir gegenüber und ich wusste nicht, wie ich die aufkochenden Gefühle unterdrücken konnte. Erleichterung, Verzweiflung und innige Freude durchströmten mich. Doch ich wusste auch, dass Steve mich nicht erkannte. Wie sollte er auch, immerhin hatte er mich noch nie in seinem Leben gesehen. Also versuchte ich mich so unauffällig wie möglich zu verhalten und ihn nicht zu lange an einem Stück anzustarren.
„Sie haben den Tower angestarrt als ich zu Ihnen ging", merkte Steve an, während er mich ansah.
Ich nickte langsam. „Ja." Mehr konnte ich nicht sagen.
„Arbeiten Sie für Stark?" Er griff nach der Karte.
Ich war seine Praktikantin. Wir wurden beste Freunde, ich lernte dich kennen, wir haben uns geküsst... mehrfach. Wir wurden Freunde, wir haben zusammen gekämpft und du bist in meinen Armen gestorben und ich konnte es nicht verhindern.
„Nein", erwähnte ich bloß. „Es ist nur ein sehr... schönes Gebäude."
Steve nickte und sah an dem Bauwerk empor. „Da haben Sie Recht. Ich kenne Stark nicht aber ich habe viel über ihn gelesen. Er hat in den letzten Jahren viel Gutes getan."
„Er ist ein Held", flüsterte ich leise, mehr zu mir als zu ihm.
Steve sah mich an und lachte leise. „Sie sind also ein Fan von Iron Man?"
Ich sah überrascht zu ihm und bemerkte jetzt erst, wie mein letzter Kommentar für ihn geklungen haben musste. Ich schüttelte schnell meinen Kopf. „Nein ich...", ich holte tief Luft, „Er... hat vielen Menschen geholfen, das ist alles was ich damit sagen wollte."
Steve lachte auf. „Sie müssen sich nicht rechtfertigen, viele Frauen interessieren sich für ihn. Er scheint eine Gabe dafür zu haben."
Ich errötete etwas. „Nun ja ich... bin nicht so eine Frau." Die Vorstellung Tony und ich könnten etwas miteinander haben war völlig absurd! Er war für mich so etwas wie ein Vater! Aber das konnte Steve nicht wissen. Zumindest dieser Steve nicht.
Er musterte mich einen Moment, bevor er sich wieder der Karte widmete. „Kommen Sie oft hierher?"
„Eigentlich bin ich das erste Mal hier.", antwortete ich wahrheitsgetreu. Diesen Coffee Shop gab es in meiner Zeit nicht mehr.
„Ich habe Sie auch noch nie hier gesehen." Er hob seinen Blick und sah mich erneut an. „Mein Name ist Steve."
Ich war kurz drauf und dran gewesen zu sagen ‚Ich weiß' doch ich konnte mich in letzter Sekunde noch davon abhalten. Stattdessen brachte ich ein trauriges Lächeln heraus und reichte ihm meine Hand. „Sam."
„Ein schöner Name. Eine Abkürzung?"
Ich nickte. „Für Samantha."
„Beides sehr schön."
„Und Steve ist auch ein schöner Name." Wenn ich in dieser Welt bleiben wollen würde, musste ich anfangen zu begreifen, dass die Menschen die ich einst geliebt habe hier Fremde waren.
„Und was... tun Sie beruflich Sam?"
Ich sah ihn an und versuchte den Kloß in meinem Hals runterzuschlucken. „ich... ich studiere. Und... und Sie können mich duzen."
Steve lächelte. „Das gleiche kann ich nur zurückgeben." Er zupfte einmal nervös an seinem Shirt und lächelte dann wieder. „Ich... erm... kann ich dich etwas fragen?"
Sofort nickte ich. „Natürlich! Alles!"
„Würdest du mit mir ausgehen?"
Sofort bemerkte ich, wie ein Schauder meinen Rücken hinaufkrabbelte. Hatte ich mich grade verhört? Oder hatte mich Steve tatsächlich nach einem Date gefragt?
„Was?", gab ich kleinlaut zurück.
Steve schluckte und lächelte. „Ich... ich bin schlecht in solchen Sachen. Ich bin kein Tony Stark und ich habe keine Ahnung wie man heutzutage eine hübsche Frau anspricht! Oder überhaupt irgendwann!"
Oh Gott natürlich! Es machte alles Sinn! Bevor Steve Bucky wiedergefunden hatte, hatte er eine gewisse Schwäche für mich gehabt. Warum sollte es in der Vergangenheit anders sein? Er hatte mich schon damals gemocht! Oder... in der Zukunft...
Ich konnte noch immer nicht antworten oder reagieren. Diese Situation war so absurd, so surreal dass ich nicht wusste was ich sagen sollte.
Steve wartete darauf, dass ich etwas erwiderte, doch als nichts kam räusperte er sich. „Es... es tut mir leid ich... ich finde dich sehr hübsch und würde dich gerne näher kennenlernen. Ich könnte dich zu einem Abendessen einladen. Oder einen Kaffee. Wobei wir sitzen grade in einem Coffee Shop, vielleicht wäre das Abendessen sinnvoller..." Er starrte mich wieder erwartungsvoll an. Seine blauen Augen musterten mich voller Nervosität und Hoffnung. Und für einen Moment vergaß ich die Welt um mich herum. Ich vergaß meine Sorgen und meine Probleme. Ich vergaß, dass ich in der Vergangenheit feststeckte. In diesem Moment ging es nur um mich un ihn. Ich war nicht das, was er wollte, doch das wusste er noch nicht. Und er war nicht das was ich wollte. Doch wie sollte ich es ihm sagen? Ich hatte meinen Freund grade erst wiedergefunden, ich wollte ihm nicht vor den Kopf stoßen.
Und da sagte ich das einzige, was mir in dieser Situation logisch erschien.
„Es tut mir sehr leid, Steve, doch ich habe einen Freund."
Und dieser kleine Satz hatte eine enorme Wirkung. Innerhalb weniger Sekunden spielten sich tausende Bilder in meinem Kopf ab. Erinnerungen, wie Loki mich das erste Mal geküsst hat, wie er mich im Arm hält. Erinnerungen, wie wir das erste Mal miteinander geschlafen haben, wie er mir das Leben rettete, wie er mir sagte, dass er mich liebt. Das letzte Bild erschien länger in meinem Kopf. Es brannte sich vor meinem inneren Augen ein und wollte nicht wieder weggehen.
Loki auf dem Boden, die Augen geschlossen, seine Kleidung voller Blut. Die Haut die immer blasser wird und meine Hände an seinen Wangen, die versuchten um sein bereits abgelaufenes Leben zu verhandeln. Und während ich dieses Bild vor meinen Augen sah spürte ich, wie eine Träne meine Wange hinunterrollte. Hatte ich um Loki geweint? Hatte ich bisher die Gelegenheit dafür gehabt um um den Mann zu weinen, den ich geliebt und verloren hatte. Mein Körper erbebte doch ich hielt ihn zurück und strich mir hastig die Träne fort.
Steve starrte mich entsetzt an. „Habe ich etwas Falsches getan?"

Bei seinen Worten lachte ich leise und weitere Tränen liefen mir die Wangen hinab. „Nein! Es... es ist kompliziert!"
„Ich habe noch niemals eine Frau beim ersten Treffen zum Weinen gebracht", gab Steve kleinlaut zu, setzte sich neben mich und sah mich unsicher an. „Darf ich dich trösten?"
Noch bevor er die Frage beendet hatte lehnte ich mich an seine Schulte und ließ es zu, dass ich anfing leise zu Schluchzen. Ich spürte, wie sich nach anfänglicher Unsicherheit seine Arme um mich legte und seine Hand sanft meinen Rücken auf und nieder strich. Ich weinte um Loki. Ich weinte um Tony und um Steve. Ich weinte um all meine Freunde in der Zukunft denen ich nicht helfen habe können. Ich weinte, weil ich verzweifelt war und nicht wusste, was ich tun sollte. Ich weinte, weil ich machtlos war gegen di Lage, in der ich mich selber gebracht hatte. Wäre ich doch nur einfach an Lokis Seite gestorben. Dann hätte ich vielleicht meinen Frieden finden können. Denn bisher war diese Welt für mich die reinste Folter.
Es dauerte ein paar Minuten, bis ich meine Schluchzer wieder unter Kontrolle hatte und ich mich langsam aber sicher wieder beruhigte. Nach noch ein paar Momenten löste ich mich aus Steves Umarmung und sah ihn peinlich berührt an und strich meine Tränen fort. Bei meinem Steve wäre es mir egal gewesen, dass ich geweint hätte. Doch das hier war nicht mein Steve. „Es tut mir leid", hauchte ich deswegen leise.

Steve schüttelte eilig seinen Kopf. „Was immer es war, weshalb du geweint hast, es schien mir, dass es endlich mal rausmusste. Ich weiß, ich bin nur jemand der sich vor einer viertel Stunde an deinem Tisch gesetzt hat, aber d kannst mir glauben dass es mir nichts ausmacht. Ich helfe gerne." Er lächelte mich aufmunternd an. „Ich weiß nicht, was dich so traurig macht aber ich kann dir sagen, was auch immer es ist, es wird besser werden. Es wird sich alles ergeben, da bin ich mir sicher."
Ich lachte leise und wischte mir mit einer Servierte über meine Augen. „Was macht dich da so sicher?"
Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe viel erlebt."
Ich lachte erneut. „Keine sehr zuverlässige Antwort", gab ich zu bedenken.
Steve lächelte mich an. „Ich weiß. Eine bessere Lebensweisheit kann ich dir leider nicht bieten."
Ich lachte wieder auf und spürte, wie mein Kopf langsam klarer wurde und meine Brust leichter. Manchmal half es sich zu öffnen sogar in den Ausweglosesten Situationen. Und jemand, der dir ein offenes Ohr schenkt. Ich nahm tief Luft und sah ihn an. „Darf ich dir meine Nummer geben?"
Steve blinzelte überrascht. „Ich dachte, du hast einen Freund?"
„Ich meine nicht, dass ich di meine Nummer geben will damit wir beide ausgehen. Ich möchte... gerne mit dir in Kontakt bleiben... vielleicht Freundschaft schließen. Ich habe nicht sehr viele Freunde. Und nachdem ich dein Shirt vollgeheult habe denke ich, könnte das der Beginn einer tollen Freundschaft werden."
Steve musterte mich einen Moment, dann strahlte er. „Das würde mich sehr freuen."
Er holte ein Klapphandy hervor und starrte darauf, dann reichte er es mir. Ich war drauf und dran meine alte Nummer von der Glasscherbe einzutragen, doch dann erinnerte ich mich, dass ich nicht in meiner Zeit lebte sondern in 2012. Also zog ich auch mein klappriges Handy hervor, suchte schnell die Nummer und tippte sie in Steves Telefon ein. Dann reichte ich es ihm wieder und lächelte. „Du hast mir wirklich sehr geholfen. Danke."
„Immer wieder gerne, auch wenn ich nichts weiter getan habe als das, was jeder tun würde."
Ich lächelte. Das war der Steve den ich kannte. Er sah immer nur das positive in den Menschen. „Nein Steve," gab ich traurig wieder, „nicht jeder hätte das getan."
Und dann sah ich ihn.
Wie er an dem Coffee Shop vorbeiging, mit einem Aktenkoffer in der Hand, auf dem Stark Tower zusteuernd.
Ich blinzelte ein paar Mal. Phil Coulson blieb an der roten Ampel stehen und starrte wie ein Bankkaufmann der Wallstreet auf seine Armbanduhr. Nur mit dem Unterschied, dass er eine Sonnenbrille an einem bewölkten Tag trug. Und Security Ohrstöpseln in den Ohren. Und einen Anstecker an seinem Anzug, dessen Symbol ich selbst aus der Ferne erkennen konnte.
SHIELD.
Ich richtete mich grade im Sitz auf und beobachtete, wie er über die Straße ging und zum Tower hochblickte und kurz stehenblieb. Er holte sein Handy heraus und redete kurz mit jemanden, bevor er weiterging.
Ich wusste nicht, weshalb ich das tat, was ich als nächstes tat.
Neue Energie durchflutete meinen Körper und ich wusste einfach, dass das meine einzige Chance war in dieser Welt mitzumischen.
Doch was ich vorhatte war riskant.

Sehr riskant sogar.
Doch wann waren es meine Taten jemals nicht?
Ich sprang auf und sah schnell zu Steve, der von meiner plötzlichen Bewegung sehr überrascht war. „Sam?"
„Steve, ich kann dir nicht genug danken dafür, dass du mich getröstet hast. Ruf mich bitte bald an, ok? Aber ich muss nun los, ich habe was Wichtiges vergessen!"
Steve wollte noch etwas sagen, doch da war ich schon losgesprintet, dem Mann im Anzug und der Sonnenbrille hinterher. 

Das Beste kommt zu Anfang (The Avengers...und ich 5)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt