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Was ich bei meinem spontanen, ach so tollen Plan nicht mit eingerechnet hatte waren die vielen Menschen, die während der Happy Hour auf der Straße und auf den Bürgersteigen herumrannten. Die meisten von ihnen trugen graue oder schwarze Anzüge, wahrscheinlich Geschäftsleute, die allesamt super beschäftigt auf ihre teuren Armbanduhren starrten um einen wichtigen Termin nicht zu verpassen oder einfach nur intelligent zu wirken. Und genau diese Geschäftsleute waren das Problem. Kaum war ich auf die andere Straßenseite, wo ich Agent Coulson erblickt hatte, gerannt, schon verschmolz der SHIELD Agent in der Masse der Anzugträger. Und da ich nicht besonders groß war konnte ich auf nicht über die ganzen Menschen hinwegsehen. Ich ballte meine Fäuste. Verdammt! Ich blickte mich um. Ich konnte jetzt doch nicht einfach aufgeben! Wenn ich diese Chance verpassen würde, würde ich mit großer Wahrscheinlichkeit in dieser Welt feststecken und konnte nichts tun. Also schob ich mich vor, gegen den Strom der Menschen und zog einige genervte Blicke auf mich, als ich einige der Anzugträger anrempelte. Doch das war mir egal. Ich hatte nur ein Ziel vor den Augen: Agent Coulson!
Schnellen Schrittes marschierte ich weiter und versuchte ihn wieder aus der Menschenmasse herauszufinden. Und grade als ich dachte, ich hätte die markante Sonnenbrille wieder entdeckt rannte mich ein grauer Anzug um. Ich keuchte und landete auf den Gehweg, genauso wie der Geschäftsmann.
„Können Sie denn nicht aufpassen?", blaffte mich der hochgewachsene, dunkelhaarige Mann verärgert an. Ich blinzelte. Normalerweise hätte mich diese Ignoranz und Unhöflichkeit auf 180 gebracht, doch ich blieb ruhig und lächelte zuckersüß.
„Verzeihen Sie, ich habe Sie wohl nicht bemerkt."
„Das habe ich mitbekommen!", schnauzte mich der Kerl wieder an. Ich verkniff mir einen abwertenden Kommentar, richtete mich auf und hielt dem Typen hilfreich meine Hand hin. Dieser beäugte mich skeptisch und genervt doch ergriff schließlich meine Hand. Mir kam es so vor, als würde er sich beim Aufrichten absichtlich schwerer antun, als es sein musste, nur um mich zu provozieren, doch ich blieb ruhig. Als er endlich aufgestanden war schenkte ich ihm noch einmal eines meiner liebevollsten Lächeln. „Es tut mir wahnsinnig leid, Mister. Ich habe nicht hingesehen, wo ich langgelaufen bin! Es war absolut mein Fehler!"
Der Mann musterte mich noch einen Moment, dann seufzte er und richtete seine Krawatte. „Nun ja, es ist ja nichts passiert. Aber passen Sie in Zukunft gefälligst auf!"
„Selbstverständlich!" Ich legte eine Hand auf meine Brust. „Großes Ehrenwort." Und mit diesen Worten verschwand ich in der Menschenmasse. Ich war keine zehn Schritte gegangen, da hörte ich den Mann hinter mir fluchen. Ein kleines, diabolisches Grinsen formte sich auf meinen Lippen während ich den schwarzen Aktenkoffer, den ich dem Geschäftsmann abgenommen hatte, fest in meiner Hand hielt und wieder nach dem SHIELD Agent Ausschau hielt.
Und ich musste auch nicht mehr lange suchen. Wie ich vermutet hatte, war das Ziel von Coulson der Stark Tower. Zwischen den Menschen hinweg konnte ich seine Gestalt deutlich wahrnehmen, wie er grade die letzte Straße zum Haupteingang des großen, imposanten Gebäudes überschritt. Ich fluchte leise. Wenn der Agent in den Tower marschieren würde, wäre es zu spät! Ich musste ihn definitiv vorher abfangen! Doch wie? Ich beschleunigte meine Schritte während ich intensiv nachdachte.
Und dann blinzelte ich einmal und verstärkte meinen Griff um den gestohlenen Aktenkoffer. Wenn es schon einmal funktioniert hatte, warum sollte es dann kein weiteres Mal gehen? Entschlossen rannte ich einen kleinen Bogen um den Platz vor dem Tower, damit ich dem Agent nun entgegenging. Mit jedem Schritt kamen wir uns näher. Aus den Augenwinkeln heraus konnte ich sehen, wie er auf seine Uhr sah und dann etwas in seinen Ohrstecker murmelte. Er war mit der SHIELD Zentrale verbunden, so wie alle Agents. Ich biss mir auf die Unterlippe und versuchte meinen Blick auf einen Fernern Punkt hinter ihm zu richten. Ich musste vermeiden, dass er mich direkt bemerkte. Doch ich hatte Glück, denn Coulson hatte nur Augen für den Tower und seine Mission. Er blieb vor dem Gebäude stehen und warf einen letzten Blick empor. Das war meine Chance!
Ich marschierte weiter auf ihn zu, ignorierte den Schmerz in meinem Bein und blickte starr geradeaus. Und dann geschah es: Scheinbar unabsichtlich rempelte ich den SHIELD Agent an. Ich tat so, als würde ich das Gleichgewicht verlieren und ließ mich absichtlich auf den Betonboden fallen. Ich stöhnte auf. Durch den leichten Fall hatte ich mein Bein in eine ungünstige Position gebracht und ein heißer Schmerz stach mir meinen Oberschenkel empor. Das war gut. So würde es tatsächlich danach aussehen, als hätte ich mich verletzt. Coulson war bei dem Zusammenstoß nicht wie der Geschäftsmann hingefallen. Er stand noch immer über mir und musterte mich erschrocken. Allerdings hatte er, genauso wie ich, seinen Aktenkoffer fallen lassen.
„Miss?" Er hockte sich zu mir und berührte meinen Arm. „Geht es Ihnen gut?"
Ich zischte einmal schmerzhaft auf und sah zu ihm. Er sah genauso aus, wie ich ihn in Erinnerung gehabt hatte. Kurze Haare, ein ernstes Gesicht, welches von Sorgenfalten durchzogen war, die verspiegelte Sonnenbrille, das Pokerface... jedoch bröckelte seine kalte Facade einen Augenblick lang, während er mich besorgt betrachtete.
„Ja...", murmelte ich leise, „Ja mir geht es gut... Au..." Ich versuchte mich aufzurichten. Der Schmerz in meinem Bein gab langsam nach, doch jede Bewegung fühlte sich dennoch an, als würde mir wieder jemand mit einem Dolch hineinstechen. Coulson bemerkte, dass ich Probleme dabei hatte aufzustehen und griff mir unter die Arme. Dafür war ich ihm dankbar.
„Sind Sie sicher, dass alles in Ordnung ist? Es tut mir sehr leid, ich bin einfach stehen geblieben."
Ich schüttelte meinen Kopf und sah ihn beruhigend an. „Es ist wirklich alles gut, es tut MIR leid. Ich habe auch nicht aufgepasst." Ich bückte mich und nahm meinen Aktenkoffer wieder in die Hand. „Ich habe es einfach eilig, da habe ich Sie nicht bemerkt."
Coulson hob seinen Koffer ebenfalls auf und lächelte beruhigend. „Machen Sie sich keinen Vorwurf."
Ich atmete erleichtert auf. „Danke, Sir. Haben Sie einen schönen Tag und lassen Sie sich nicht noch einmal anrempeln!" Ich lachte leise. Auch Coulson schmunzelte, was er sehr selten tat. „Ich wünsche Ihnen auch einen schönen Tag." Und mit diesen Worten verschwand er ins Innere des Towers. Ich sah ihm nicht mehr nach sondern sah zu, dass ich mich so schnell wie möglich aus dem Staub machte. Denn sobald Coulson den Koffer öffnen würde und bemerkte, dass drinnen bloß langweilige Geschäftsunterlagen vorzufinden waren, würde er wahrscheinlich sehr sauer sein. Ich grinste etwas und verstärkte meinen Griff um SHIELDs Aktenkoffer. Endlich würde ich ein wenig mehr Licht in die Lage dieser Zeitlinie bringen.
Mit einem dumpfen Aufprall ließ ich den schweren Aktenkoffer auf den Tisch des kleinen Arbeitsraumes der New Yorker Universität fallen. Da ich mit dem Ding nicht nach Hause gehen konnte und sonst keinen sicheren Unterschlupf kannte hatte ich beschlossen, dass die einfachste Lösung die Universität war, in der ich in dieser Welt eingeschrieben war. Auf dem ersten Blick hatte ich bloß staunen können. Der Campus war gewaltig und wunderschön. Natürlich hatte ich schon einiges über das Studentenleben an der Uni gehört, war aber bisher niemals selbst da gewesen. Einen Moment lang hatte ich bloß auf dem Rasen gestanden, dem Treiben zugesehen und mir vorgestellt wie es wohl sein würde ein normales Leben als Studentin zu führen. Es musste einfach nur wundervoll sein! Doch ich war keine einfache Studentin. Nicht mehr. Schon seit langer Zeit nicht mehr. Also hatte ich mich in einen der vielen Einzelarbeitsräume verkrochen, in denen die jungen Erwachsenen für Prüfungen und Tests lernen konnten. Was ich natürlich nicht vorhatte.

Das Beste kommt zu Anfang (The Avengers...und ich 5)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt