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Nachdem mich meine WG weder aufheitern, noch mir Hoffnung machen konnte, arbeite ich nun endlich ein paar der verpassten Vorlesungen der letzten Tage nach. Im Normalfall würde ich einen großen Bogen um meine Pflichten machen, doch im Moment bin ich dankbar für jede Ablenkung, die ich finden kann - und wenn das zur Abwechslung meinem Studium zu Gute kommt, ist das definitiv kein schlechter Deal.

Allerdings kann ich mich nicht wirklich lange konzentrieren, viel zu oft spukt Felix durch meinen Kopf und lässt mich spüren, wie enttäuscht und leer ich bin. Vielleicht waren meine Vorstellungen nicht völlig naiv, schließlich hatte ich mir keine Blitzhochzeit erwartet, aber anscheinend dennoch zu hoch gegriffen. Obwohl ich einen letzten Kuss nicht allzu utopisch gefunden hätte, genauso wie, worauf ich eigentlich spekuliert hatte, irgendeine Möglichkeit, mit Felix in Kontakt zu bleiben. Aber dieser Wunsch wurde offensichtlich nicht von ihm geteilt. Wieso bin ich auch bloß ein so gefühlsduseliger Mensch?!

Aufgrund dieser schrecklich kurzen Aufmerksamkeitsspanne, finde ich mich also nach nur wenigen Minuten auf Instagram wieder. Und natürlich ist mein Feed - wie hätte es auch anders sein sollen - überschwemmt von Kraftklub Referenzen. Überall tummeln sich Fotos von den Jungs, der Arena, oder Freunden von mir, die ebenfalls das Konzert besucht haben.

Seufzend scrolle ich durch die Beiträge, like hier und da das ein oder andere Bild und versuche, nicht aus der Fassung zu geraten. Als ich mir schließlich die Story des offiziellen Kraftklub Accounts ansehe, spüre ich dennoch, wie die Eifersucht in mir brodelt. Die Band ist schon wieder beim nächsten Soundcheck in der nächsten Stadt für die nächsten Fans, während ich hier sitze und dem Frontmann hinterher heule. In mir steckt so viel Neid und Missgunst, eigentlich müsste ich grünes Feuer spucken.

Und es ärgert mich ungemein, dass ich mich so kindisch verhalte, es ärgert mich, dass ich mich ärgere. Ich hätte doch von Anfang an wissen müssen, worauf ich mich da eigentlich einlasse.

Nämlich auf gar nichts.

Es gab nichts, worauf ich mich hätte einlassen müssen, keine Konsequenzen, die im Kleingedruckten standen, keine AGBs, denen ich habe zustimmen müssen, es war lediglich ein schöner Abend mit einem schönen Mann, den ich nicht vergessen kann. Und darum verhalte ich mich jetzt kindisch und egoistisch.

Genervt von mir selbst rolle ich mit den Augen und öffne meine Bildergalerie, um mich noch ein bisschen mehr zu quälen, denn heute scheine ich besonders masochistisch gestimmt zu sein.

Schon seit gestern Abend möchte ich unbedingt ein Foto von Felix und mir auf Instagram hochladen, denn auch wenn ich die beleidigte Leberwurst spiele, bin ich doch unglaublich glücklich ein Bild mit ihm ergattert zu haben. Und ganz ehrlich, wer reibt anderen sein Glück nicht gerne unter die Nase?

So sehr ich auch versucht bin das versehentlich entstandene Kussbild zu nehmen, siegt dennoch letzten Endes mein Verstand, weshalb ich mich für einen Schnappschuss entscheide, auf dem Felix mich im Arm hält und lachend ansieht, während ich schmunzelnd auf den Boden schaue und eine Haarsträhne aus dem Gesicht streiche. Mir gefällt, dass man, wenn man es weiß, schon hier die Chemie zwischen uns erkennen kann. Vorausgesetzt es hat überhaupt zwischen uns gefunkt.

Wenig später lade ich es inklusive Verlinkungen hoch und widme mich wieder meinem Unikram, so richtig bei der Sache bin ich allerdings nicht.

Ich würde es zwar gerne leugnen, doch natürlich habe ich insgeheim die Hoffnung, Felix könnte das Foto sehen und mich so kontaktieren, aber ich gebe mir große Mühe, meine Erwartungen so niedrig wie möglich zu halten. Ob mir das gelingt, ist eine andere Frage.

Der Rest des Tages vergeht schnell. Lenny kommt wie versprochen nach Feierabend mit Döner im Gepäck vorbei und hört sich die Kurzfassung meiner gestrigen Nacht an, allerdings erzähle ich ihm nicht alles. Einzelheiten, wie die Knutscherei in meinem Bett lasse ich dann doch lieber weg, denn das mit Lenny zu teilen wäre irgendwie zu intim. Generell behaupte ich ihm gegenüber, Felix und ich seien direkt nach der Bar getrennte Wege gegangen, aber warum ich das sage weiß ich nicht.

Und Gott sei Dank scheint mein bester Freund seine gute Laune wiedergefunden zu haben und so verbringen wir unsere Zeit damit, die tausendsten Wiederholungen von How I Met Your Mother zu schauen und blödes Zeug zu kommentieren. Blöd nur, dass diese Idylle zwischen uns ein Trugschluss war und sich sehr schnell änderte.

Mittlerweile liege ich wieder alleine in meinem Bett und drehe das schwarze Leder-Portemonnaie, das er vergessen hat, in meiner Hand. Ich erinnere mich an die Situation mit Lenny, er wollte gerade seine Schuhe anziehen und gehen.

"Sag mal, was ist das hier eigentlich für ein Geldbeutel? Falls es dein neuer ist, wie bist du auf die Idee gekommen, einen für Männer zu kaufen? Ist das jetzt der letzte Schrei?", erkundigt sich mein Kumpel. Ich habe keine Ahnung wovon er spricht.

"Hä? Was meinst du denn?"

"Na der Geldbeutel hier", erklärt er mit hochgezogenen Augenbrauen und hebt das Lederstück vom Boden auf. Es lag direkt neben meinem mit Klamotten überquellenden Stuhl auf dem Teppich. "Warst du gestern so besoffen, dass du's nicht mehr geschafft hast deinen Kram ordentlich abzulegen?"

Völlig perplex strecke ich meine Hand nach dem Portemonnaie aus und betrachte das abgewetzte Leder. "Fuck. Wie soll ich ihm das je wieder geben."

"Du sprichst in Rätseln."

Um nicht noch mehr Unmut zu stiften rücke ich letztendlich also doch mit der Wahrheit heraus und erzähle Lenny von Felix Band- und Übernachtungsproblem, sowie unserer Lösung für letzteres. Immer wieder beteuere ich, dass da sowieso nichts lief und versuche mich aus irgendeinem, mir unbekannten, Grund um Kopf und Kragen zu reden. Doch Lenny ist enttäuscht und gereizt und verschwindet mit einem Augenrollen aus meiner Wohnung.

Nun macht sich das schlechte Gewissen in mir breit, denn irgendwie verstehe ich ihn, schließlich habe ich ihn zunächst belogen. Aber er muss auch nachvollziehen, dass ich darüber einfach noch nicht sprechen will.

So oder so, jetzt habe ich hier also Felix Geldbeutel. Mit seinem Personalausweis, Führerschein, EC-Karte und einem Ausweis von Landstreicher Booking. Alles drin. Und der arme Kerl weiß wahrscheinlich nicht einmal, wie er mich kontaktieren soll, falls er sich überhaupt sicher ist, dass er seinen Geldbeutel bei mir und in keiner Bar verloren hat.

Natürlich weiß ich, dass ich den Geldbeutel einfach bei der Polizei als Fundobjekt abgeben sollte, aber diesen Gedanken verwerfe ich ganz schnell. Hatte ich nicht auf genau solch ein Zeichen gewartet? Auf eine Chance Felix wiederzusehen, einen triftigen Grund ihm zu schreiben?

Voller Euphorie öffne ich also wieder meine heiß geliebte App und tippe auf Felix Instagram Profil.

Immer wieder verfasse ich einen neuen Text, einen der sich nicht ganz so dämlich anhört wie der davor, bloß um ihn direkt wieder zu löschen. Dieses Spiel zieht sich so lange bis ich kurz davor bin mein Handy durch den Raum zu schmeißen. Genervt stöhne ich auf und klicke stattdessen auf mein Foto mit ihm. 129 Likes.

Ist leider kurz und ziemlich unspektakulär, aber ich wollte wenigstens irgendein Lebenszeichen von mir geben. Ich hoffe, ich schaff es bald etwas mehr zu schreiben und euch spannendere Kapitel zu geben:) aber hetzen mag ich auch nicht, das tut der Story nicht gut.

Schülern und Studenten wünsche ich schöne Ferien, für die fleißigen Arbeitenden hoffe ich auf baldigen Urlaub!

Ich küsse eure Augen;)

Hallo Nacht. [Kraftklub]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt