XI

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Felix' Auftritt hat für kurze Zeit die ausgelassene Stimmung unschön zum erliegen gebracht, doch ein langgezogenes "Shots für alle!", versetzt die Meute wieder in Partylaune. Die Musik wird ohrenbetäubend laut aufgedreht und und ich komme endlich aus meiner Trance zurück ins hier und jetzt. Immer noch steht mir die hübsche Frau in ihrem rosa verwaschenen Kleid gegenüber, ich kann meinen Blick einfach nicht von ihr abwenden. Einerseits würde ich sehr gerne Felix hinterher laufen und von ihm eine Antwort verlangen, andererseits ist es überhaupt nicht mein Recht, ihn danach zu fragen. Ich kenne ihn ja gar nicht und bin sicherlich die letzte Person, der er sein Herz ausschütten würde. Trotzdem hat mich die Szene gerade eben mehr als stutzig gemacht. Abgesehen davon, würde es mir ohnehin nicht gelingen, unauffällig diesen Partyraum zu verlassen. Stattdessen entscheide ich mich dafür, mit dem Mädchen zu sprechen.

"Hey", ist zunächst das einzige, das ich hervor bringe. "Es tut mir so leid! Ich wusste nicht dass er.. und, dass du.. also, dass ihr beiden, du weißt schon. Das ist mir so unangenehm, entschuldige bitte!"

Etwas verwirrt schaut sie mich an, bevor sich ein seichtes Lächeln auf ihr Gesicht schleicht. "Ich bin das gewohnt", erklärt sie mir und drückt sanft meine Schulter. "Vielleicht gehst du besser mal nach Felix schauen, nicht dass er noch etwas dummes anstellt. Er scheint dich ja ganz gern zu mögen." Komischerweise sagt sie das weder vorwurfsvoll, noch verletzt, sondern eher als würde sie mir einen mütterlichen Rat geben. "Na los, geh schon." Ich verstehe die Welt nicht mehr, führen die beiden eine Art offene Beziehung? Oder wie zur Hölle kann Felix Freundin so entspannt bleiben, wenn er kurz davor war mich zu küssen?

Dennoch nicke ich ihr zu und gehe durch die Türe, durch die er verschwunden ist.


Als ich ihn endlich finde, ist schon über eine halbe Stunde vergangen. Ich konnte durch eine Seitentür in die Arena von heute Abend schleichen, wo ich ihn schließlich entdecke, und rechts, etwas vor der Bühne, stehen bleibe.

Er sitzt in der völlig leergeräumten Konzerthalle auf der Bühne und lässt seine Beine baumeln. Sein Kopf ist gebeugt, die Hände verstecken sein hübsches Gesicht. Langsam trete ich immer näher an ihn heran, obwohl ich mir nicht einmal sicher bin, ob ich mich wirklich zu erkennen geben soll. Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich hier nichts zu suchen habe. Trotzdem bewegen sich meine Füße ungefragt auf Felix zu. Jetzt befinde ich mich ganz rechts am Fuße der Bühne und bin kurz davor die Treppe am Rand hoch zu steigen. Er bemerkt mich immer noch nicht.

Während ich auf ihn zugehe, bemerke ich, wie sein Oberkörper bebt, sich unregelmäßig hebt und senkt. Dieses Bild wirbelt alle Gefühle auf, die ich in den wenigen Stunden, die ich bislang mit ihm teilen durfte, entwickelt habe, und ohne nachzudenken gehe ich schnellen Schrittes zu ihm, hocke mich schräg hinter ihn und schlinge meine Arme um seinen Körper. Felix' Haut ist ganz ausgekühlt. Seine Atmung verschnellert sich, weshalb ich ihn noch fester umarme und mein Kinn auf seine Schulter lege. Vorsichtig streiche ich über seinen Arm, versuche ihn zu beruhigen. Jegliche Distanz, die ich vorhin noch versucht habe zu bewahren, hat sich in Luft aufgelöst. Jetzt passt kein Blatt Papier mehr zwischen uns, weder physisch noch psychisch.

So sitzen wir für längere Zeit, vergessen unsere Umgebung und genießen die Nähe des anderen. Alles was ich hören kann, ist Felix' Atem, der sich mittlerweile normalisiert hat und ganz ruhig seinen Takt hält.

Vorsichtig rappelt er sich auf und löst sich aus meiner Umarmung, was ich ihm nachahme. Nun können wir uns endlich ansehen, uns in die Augen blicken. Seine sind rot und angeschwollen, was das Grau seiner Iris intensiver und fast schon türkis aussehen lässt.

"Danke", murmelt Felix und schaut mich an. Dann weicht die Resignation in seinem Blick einer neuen Emotion, die ich nicht so ganz deuten kann. Allerdings soll sie mir nicht lange verborgen bleiben, denn ehe ich mich versehe, liegen Felix' Lippen wieder auf meinen.

Hallo Nacht. [Kraftklub]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt