Der Brief

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Mein geliebter Sohn Harry,

Ich weiß nicht, ob das hier jemals funktionieren wird. Viel eher bezweifele ich es. Es heißt, Zauberer und Hexen könnten noch genau einen Brief an Freunde oder Familie schreiben, sobald sie gestorben sind. Natürlich bezweifele ich dessen Funktionieren, doch sollte es das tatsächlich, so wird dies wohl einer der wenigen Dinge sein, die dir unsere Existenz beweisen. Alles andere dürfte zerstört sein.
Unglücklicherweise war ein Großteil jener Briefe, Fotos und Tagebücher, welche wir für dich angelegt hatten in deinem Zimmer. Es tut mir leid, mein Schatz.
Du würdest viel über dich und auch über uns erfahren.

Harry, wir werden es dir wohl niemals persölich von Angesicht zu Angesicht sagen können:
Ich und dein Vater lieben dich so sehr! Und wir werden es immer tun. Du warst es, der unsere kleine Familie vollendet hast. Gemeinsam war unsere Zeit begrenzt und doch hatten wir unsere eigene, kleine Unendlichkeit. Eine kleine, perfekte Unendlichkeit, an welche wir uns immer erinnern können und sie für immer in unseren Herzen tragen.
Traurigkeit überkommt mich immer wieder, wenn mir bewusst wird: Mein Sohn wird sich an nichts erinnern können. Aber leider ist es normal, du warst einfach zu jung, um dich zu erinnern.

Innigst hoffe ich, du kannst uns verzeihen. Wir werden nicht da sein, wenn etwas besonderes in deinem Leben passiert.
Zwar können wir dich von hier aus beobachten, aber es ist nicht das selbe. Es tut mir so, so leid. Jedes andere Kind wächst mit seinen Eltern auf. Gute magische Eltern würden ihren Kindern helfen, ihre magischen Kräfte zu erkunden. Ich hasse jene Tatsache, dass wir es nie tun werden so sehr. Natürlich konnte ich mir denken wie sehr es schmerzen würde und trotzallem ist es unglaublich. Aber ich werde damit klar kommen. Ich muss mich eben immer wieder daran erinnern glücklich zu sein. Immerhin habe ich einen Sohn, selbst wenn ich ihn nie persönlich sehe.

Zu erklären, wie wir gestorben sind ist schwer. Ich weiß nicht, wann du jenen Brief  lesen wirst. Wahrscheinlich kurz vor deiner Zeit in Hogwarts. Ich hoffe, du wirst in der Lage sein es zu verstehen.
Früher herrschte ein böser Zauberer namens Lord Voldemort. Gemeinsam mit seinen Anhängern vebreitete er Angst und Schrecken, sie töteten unschuldige Hexen und Zauberer. Vorallem Muggelstämmige waren betroffen, zu denen auch ich gehörte. Dies ist aber nicht der Grund, weshalb du ohne Eltern aufgewachsen bist.  Nicht gänzlich.
Es gab eine Propheizeiung.
Früher oder später wirst du erfahren, worum es in dieser ging.
Ich und dein Vater mussten uns verstecken, um vorallem dich zu schützen. Lord Voldemort fand uns trotzdem. Liebe hat deinen Vater  dazu gebracht, sich für uns zu opfern.
In jener Nacht blieb sein Opfer nicht allein. Ich bat Voldemort mir mein Leben anstatt deines zu nehmen und er tat es, nach langem Betteln opferte ich mich für dich. Ob es ein  Fehler war, war mir egal. Ich hoffte einfach nur, meinem Sohn das Leben gerettet zu haben.
Unser Opfer tut mir so leid und doch bereue ich es nicht.

Ich wünsche dir noch viel, viel Glück in deinem kommenden Leben. Wir werden uns wiedersehen. Irgendwann. Das verspreche ich dir.

Ich liebe dich so sehr,
Mum

PS.: Versprich mir, uns stolz zu machen. Auf eine Art, welche du selbst erwählst.
Nur weil du ohne Eltern lebst, heißt das nicht, dass du dich nicht entfalten darfst.
Lass dich nicht von dem abhalten, was du innigst liebst. Kämpfe um es. Für dich.

Tatsächlich funktionierte es. Der Brief kam in der Welt der Sterblichen an, aber nicht in den Händen von Lilys Sohn, sondern in denen von Petunia Dursley.
Ihre Schwester fand ihn am frühen Morgen.

Das konnte nicht sein. Es war sicherlich eine Fälschung. Natürlich konnte ihre Schwester diesen Brief nicht geschrieben haben. Sie war tot..
Vielleicht kam er von einer der Missgeburten, mit denen Lily befreundet war.
Sicher wäre es besser ihn einfach zu verbrennen, stattdessen stand Petunia in Mitten ihres Wohnzimmers und zitterte.
Lange verweilte sie noch so, las sich Teile des Briefes immer wieder durch. Nicht, dass sie es sonderlich ergriff oder auf anderen Wegen ansprach, viel eher war es ein Reflex.
Vier oder fünf Mal hatte sie jenen Vorgang nun schon wiederholt.

Fast eine halbe Stunde nachdem sie den Brief fand, kam Vernon hinein. Vorsichtig nahm er seiner Ehefrau den Brief aus der Hand und las ihn selbst. "Das ist Unsinn. Zerstör ihn sofort! Ich dachte, du möchtest nichts mehr mit deiner Schwester zu tun haben?" Petunia nickte. "Ich möchte nicht noch mehr mit ihr zu tun haben, als ohne hin schon. Wir werden uns um ihren Sohn kümmern, mehr nicht."
Vernon zerknüllte Lilys Brief und warf ihn ins Feuer. "Besser so.", sagte er. Sekunden später war das Papier niedergebrannt und fiel zusammen.
Für einen kurzen Moment fragte sie sich, ob es ein Fehler war. Aber das war es nicht. Es war richtig so. Lilys Sohn aufzuziehen war genug. Sie konnte diese Tatsache nicht ausstehen, sie hasste es.

Mit der Zeit vergas Petunia den Brief. Es schien, als wäre er nie existent gewesen, als hätte sich ihr Wissen über den Brief durch das Feuer aufgelöst. Vielleicht stimmte es ja. Grundsätzlich hatte sie sowieso nichts an diesem Brief verloren.
Rechtmäßig ging er an Harry.
Petunia dachte wohl er wäre für sie.
Fehler waren menschlich und jeder konnte sie machen.

Fehler hatte Petunia genug gemacht. Manche waren weniger present und bedeutungslos, manch andere waren nicht so einfach zu vergessen.
So wie beispielsweise ihr Verhalten gegenüber ihrer Schwester. Vorallem diese konnte sie nicht rückgängig machen. Insgeheim tat es ihr aufrichtig leid.

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