2. Mary und Jane

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"Er muss doch hier irgendwo sein?" grummel ich vor mich hin, während ich in meinem schwarzen Loch, auch bekannt als Schultasche, krame und meinen Schlüssel suche.

Meine Hefte fliegen darin hin und mein Mäppchen landet sogar draußen.

Als ich ihn so nicht finde, knie ich mich vor die Tür, räume ein paar Sachen heraus und suche so weiter, aber ich finde ihn immer noch nicht. Man kann eben nichts in der Tasche finden, was in der Wohnung auf dem Bett liegt.

"Fuck..." fluche ich und erst jetzt, als ich vor Wut die Tasche gegen die Tür knalle, bemerke ich, dass mich die ganze Zeit grinsend meine Nachbarin Mary beobachtet hat.

Sie ist die Einzige, mit der ich wenigstens ein paar Worte ab und zu wechseln und bei der ich nicht das Gefühl habe, dass sie mich nicht leiden kann.

Meine "Freunde", die ich nicht gerne so bezeichne, aber ich finde kein besseres Wort, reden zwar mit mir, aber nicht in der Öffentlichkeit. Und auch nicht gerne. Und auch geben sie mir das Gefühl, dass ich selbst für sie ein Nichts bin.

Nicht, dass ich nicht wüsste, dass ich das wäre, aber sind wir mal ehrlich, wer ist schon jemand? In dem großen Ganzen, in dem wir leben, sind wir alle nichts. Aber das ist kein Grund es einem immer wieder vor Augen zu führen.

"Kann ich dir helfen?" fragt sie freundlich und beginnt ihren Schlüssel in das Schloss ihrer Wohnung zu stecken und aufzuschließen.

"Wenn dein Schlüssel auch zu meiner Wohnung passt, dann ja. Oder du hast noch 'n Ersatz für sie."

"Sorry, aber weder noch. Ich kann dir aber anbieten, dass du ein bisschen zu kommen kannst. So lange eben, bis einer von deinen Eltern wieder zurück ist." antwortet sie freundlich.

Sie ist immer freundlich und es fasziniert mich. In dieser Welt mit all dem Schrecklichen, das täglich auf irgendeinem Kontinent oder in einem Land oder in einer Stadt passiert, gibt es doch noch Menschen, die helfen und jeden Tag lächeln können. Ich glaube, ich könnte das nicht mal, wenn die Welt ein einziger Regenbogen wäre.

Zuerst möchte ich es gar nicht annehmen, aber was soll ich denn weiter hier auf dem Boden sitzen und schmollen? Da sitze ich lieber bei Mary herum.

Langsam beginne ich meine Sachen wieder einzupacken, schnappe mir die Tasche und gehe mit ihr in ihre Wohnung.

Mary lebt alleine und auch ziemlich schick. Die Möbel sehen sehr nach irgendwelchen besonderen Stücken aus und nicht nach Standard oder Ikeaware. Ich frage mich, wie sie das bezahlt. Sie ist zwar 3 jahre älter als ich und arbeitet schon, doch sie muss wirklich gut verdienen, denn ich weiß, was wir allein an Miete zahlen.

"Schmeiß deine Tasche ruhig irgendwo hin." sagt sie und verschwindet in die Küche.

Ich bleibe im Flur und traue mich nicht so recht, mich überhaupt zu bewegen. Fremde Wohnung engen mich immer so ein in meine Bewegungen. Egal, wie sehr ich jemanden kenne.

"Tee?" ruft sie aus der Küche.

Sanft lege ich meine Tasche auf die Schuhe, die in einer kleinen Nische im Flur stehen und gehe vorsichtig in das große offene Wohnzimmer. Als müsste ich aufpassen keinen Mucks zu machen, denn sonst würde mich der Mörder hören, finden und töten.

"Ja, danke." antworte ich ihr allein aus Höflichkeit.

Tee ist nicht mein Getränk, aber ich lehne ungern etwas ab. Da zwing ich mir lieber was auf.

Nach ein paar Minuten kommt sie mit zwei Tassen wieder und stellt sie auf den gläsernen Wohnzimmertisch, der mich durch seine Form an eine die Silhouette eines Hundes erinnert.

Am liebsten trage ich das Lächeln, welches du mir gibstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt