5. Ein "normaler" Tag

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Nach fünf Stunden voll mit Englischgrammatik, Geschichte und ein paar Pausen, in denen ich drinnen blieb und tatsächlich über Mrs. Kurger's Worte nachdachte, klingelt es endlich und jeder stürmt hinaus. Die Sachen packt jeder ja schon während den letzten 10 Minuten ein, sonst kommen sie ja nicht schnell genug aus diesem Knast hinaus. Ich jedoch nicht. 
Langsam packe meine Sachen zusammen, verstaue sie in der Tasche und verabschiede mich dann von Mr. Harford, der noch am Pult sitzt und etwas einträgt.
"Schönes Wochenende dir und deiner Familie."
"Wünsch ich ihnen auch." erwider ich lächelnd und verschwinde dann.
Der einzige Lehrer, den ich mag, der Verständnis für schwierige Persönlichkeiten, wie mich hat und der leider aber auch bis zum geht nicht mehr von allen ausgenutzt wird. 
Wenn du in dieser Welt zu nett bist, dann ist das eben so. Das müssen wir akzeptieren, obwohl es nicht richtig ist.
"Jane! Jane! Hier!"
Heftig winkend steht Mary am Eingangstor der Schule, als ich darauf zukomme.
"Woher die gute Laune?" frage ich, als ich bei ihr ankomme.
"Die Sonne scheint und das reicht doch oder nicht?" fragt sie.
"Die scheint öfter und trotzdem bist du nicht so drauf." bemerke ich skeptisch.
Wir setzen zum gehen an und Mary hackt sich bei mir ein. 
Sie verdreht die Augen und kommt nicht aus dem Grinsen heraus. Nein, die Laune liegt nicht allein an der Sonne.
"Ja... Also... Ich erzähl's dir im Cafè, ok?"
"Ok?" gebe ich fast schon ein wenig ängstlich zurück.
"Betrifft dich nicht. Obwohl... vielleicht doch. Aber, keine Angst." versucht sie mich zu beruhigen.
Das breite Grinsen auf ihren immer rot geschminkten Lippen bewirkt aber eher das Gegenteil. 
"Du wirst dich freuen." fügt sie hinzu.
Das Cafè in dem wir schon ein paar mal waren, liegt am Ende der Straße und ist kaum besucht. Irgendwie wirkt es so, als hätten die Menschen hier in letzter Zeit überhaupt keine Zeit mehr mal ruhig da zu sitzen und zu genießen. Schade eigentlich.
Als wir uns in unsere Lieblingsnische verkrümeln und bestellt haben, wird Mary nur noch hibbeliger und steckt mich damit sogar an. Mein Fuß wippt unter dem Tisch und ich bekomme Lust auf dem Tisch mit den Fingern herum zu trommeln. 
Wie ich es hasse.
"Erzähl schon." dränge ich, bevor ich wirklich noch damit anfange.
"Ich..."
"Ich?" wiederhole ich sie.
"Habe einen..."
"Dachschaden." beende ich grinsend ihren Satz und ernte dafür nur ein hochziehen ihrer Augenbraue und dazu noch einen leichten Blick des Todes.
"Deinen Kaffee bezahlst du selbst..." sagt sie und in dem Moment kommen die Kaffees auch schon.
Wir bedanken uns und Mary nimmt sofort einen Schluck. Ich frage mich, ob ich mittlerweile wieder etwas schmecken kann oder ob ich meine Zunge heute Morgen wirklich getötet habe. Bevor ich es teste, warte ich erst mal ein wenig.
"Nein, auch wenn das vielleicht ein wenig stimmen mag..." beginnt Mary und stellt ihre Tasse zurück.
"Ich wollte dir erzählen, dass ich einen Freund habe." sagt sie und ihre Grinsen kommt zurück.
"Wie? Wen?" frage ich und sehe sie mit großen Augen an.
"Halt dich fest. Er heißt Harry. Ist das nicht witzig?" fragt sie und lacht kurz auf.
Ich stimme zwar mit ein, aber weiß gar nicht wieso das lustig sein soll. Und das bemerkt sie auch.
"Harry. Oscorp. Spider..."erläutert sie mir es.
"Nein, sag es nicht." unterbreche ich sie und nehme meine Tasse. 
Mary beginnt laut zu lachen und ich bin froh, dass außer einem älteren Mann niemand hier ist. Ihr lachen geht durch Mark und Bein.
"Hach, es ist zu schön." 
Mit leichtem Kopfschütteln nehme ich einen Schluck und halte danach meine Tasse weiter in der Hand. Tatsächlich schmecke ich den bitteren Geschmack, also habe ich mit der Aktion doch nichts getötet.
"Eher gruselig."
"Hey, es ist, als würde ein Traum wahr werden, ja? Mary und Harry und Jane und... der Neue?"
Nun bekommt sie einen etwas finsteren Blick von mir.
"Hör mir mit dem auf. Der Morgen war schon peinlich genug." murmel ich.
"Was war denn?" fragt sie grinsend und stützt sich mit dem Ellbogen auf den Tisch. 
Interessiert legt sie die Hand an ihr Kinn und ihre Augen funkeln.
Für Gossip ist sie immer zu haben. Und für peinliche Erlebnisse sowieso.
"Nichts... Ich hab mich nur mal wieder falsch ausgedrückt." sage ich und nehme noch einen Schluck.
"Hast du ihm gesagt, dass du ihn liebst?"
"Genau und das ich ihn heiraten möchte." beginne ich mit dem, was wir immer tun.
Uns in etwas komplett Bescheuertes hineinzusteigern und das Eigentliche zu vergessen. Wir sind einfach die kindischsten Wesen, die ich kenne.
"Und 10 Kinder mit ihm haben möchtest?" fragt sie enthusiastisch und haut dabei auf den Tisch.
"Ja und ich auch schon unsere Flitterwochen gebucht habe..." sage ich und wir beginnen zu lachen. 
Sie mit ihrer grellen Lache und ich mit meiner, bei der jedes Mal, wenn ich Luft hole ein leichtes Grunzen zu hören ist. 
Jedes Mal wenn ich es höre, muss ich nur noch mehr über dieses Geräusch lachen, obwohl es mir unglaublich peinlich finde.
Bis jetzt fand es jeder süß, außer ich. Es ist ja auch, aus meiner Sicht, nichts Süßes dran, beim Lachen wie ein halber Bauernhof zu klingeln. Wahrscheinlich haben einfach alle gelogen.
"Man sollte uns wegsperren." sage ich, als ich wieder Luft bekomme und auch Mary sich langsam beruhigt.
"Dann wäre die Welt ja noch trauriger." sagt sie.
"Ein Freund meinte mal, als ich ihm "Game of Thrones" ans Herz legte, dass er, wenn er 'ne schlechte Welt sehen möchte auch aus dem Fenster gucken kann. Ich musste lachen, aber er hat irgendwie recht." 
Zustimmend brumme ich kurz und stelle dann meine Tasse auf den Tisch.
"Aber Drachen hat diese Welt nicht." sage ich und lächel leicht.
Ich habe keine Lust, dass die Stimmung jetzt wegen sowas umschlägt.
"Das stimmt allerdings." stimmt sie mir zu.
Wir bleiben nicht so lange wie sonst im Cafè. Nachdem wir unsere Tasse geleert haben, bezahlen wir und lassen den alten Mann endlich wieder alleine. Auf dem Heimweg geht unsere Schwachsinn so lange weiter, bis wir kurz vor unserem Haus sind und ich dort Tom entdecke.
"Guck mal, da ist der N..." sagt Mary etwas laut und ich halte ihr sofort den Mund zu.
"Pscht!" 
Erst, als er im Haus ist, lasse ich sie wieder los.
"Was war denn das?" fragt sie etwas verwirrt.
"Wegen heute morgen?"
"Nein, weil du peinlich bist." sage ich und gehe vor.
Mary kommt mir nachgelaufen und holt am Eingang zum Haus ein.
"Wer hat dem denn heute morgen seine Liebe gestanden? Du oder ich?" fragte sie.
Ich schnalze mit der Zunge und verdrehe die Augen, als wir nach oben gehen.
"Ich hab ihm nur gesagt, dass er echt gut aussieht, aber ich meinte, für so 'ne lange Nacht."
Mary beginnt zu lachen und legt den Arm um meine Schulter.
"Komm schon, dass war doch eher süß, nicht unbedingt peinlich."
"Wenn du ich wärst, dann würdest du das anders sehen." sage ich.
"Ein wenig vielleicht. Du machst dir viel zu sehr 'nen Kopf um so 'nen Mist. Er fand's bestimmt auch süß." sagt sie, als wir in unserem Stockwerk ankommen.
Keine Spur von Tom. Zum Glück.
Mary und ich gehen zu unseren Türen und bevor sie in ihre verschwindet, zwinkert sie mir zu. 
"Man sieht sich." sage ich.
"Oder eben nicht." erwidert sie.
Der Spruch kommt von ihr. Vieles, was ich auch sage kommt von ihr. Wir reden nie oft miteinander, gestern und heute sind wahrscheinlich wieder genug für 'n Monat, aber ich übernahm in der seltenen Zeit zusammen viel von ihr. Sie hat eine etwas andere Denkweise, als diejenigen, die ich so kenne und das gefällt mir. Mary ist ein Freigeist und das ohne eine 'Mir ist alles egal'- Haltung zu haben. 
Bevor ich in meine Wohnung komme, heißt es erst mal wieder Schlüssel suchen. Das ich ihn eingepackt habe weiß ich, aber wohin ist 'ne andere Frage.
Zuerst suche ich in den Hosentasche, dann in den Taschen meiner Weste, dann in meiner Schultasche. Inmitten von Blättern und Büchern sitze ich da und finde ihn letztendlich im Fach vorne.
"Ich verfluche dich, weißt du das?" frage ich meinen Schlüssel und halte ihn vor mein Gesicht.
Ein Lachen ist darauf zu hören und lässt mich wissen, dass er und ich wohl einen Zuschauer hatten.
"Eigentlich sollte ich schnell was besorgen gehen, aber das hier war interessanter."
"Du bist ganz ruhig, mein Freund." wende ich mich an Tom und beginne meine Sachen zurück in die Tasche zu stopfen.
Tom lehnt mit verschränkten Armen am Türrahmen und sieht mich verdutzt an.
"Was hab ich getan?" fragt er verwirrt.
"Gelogen hast du." sage ich und stehe auf.
"Von wegen ich seh auch gut aus. Ich sah aus, als hätte ich 'n Jahr in Askaban verbracht." rede ich weiter ohne ihn anzusehen.
Ich werf den Gurt der Tasche über die Schulter und stecke den Schlüssel ins Schloss, doch mit dem Aufsperren warte ich noch.
Worauf? Vielleicht auf seinen Versuch sich zu wehren.
Tom beginnt zu lachen und kommt zu mir.
"Ich hab nicht gelogen, du übertreibst einfach nur." sagt er und wuschelt durch mein Haar.
Mit bösem Blick funkel ich ihn an.
Auf diese Aktion steht die Todesstrafe. Und mir ist es da auch egal, wer es ist. Niemand wuschelt durch meine Haare. Auch keiner mit einem wirklich niedlichen britischen Akzent.
"Sei du froh, dass deine Hand noch dran ist." sage ich und sperre auf.
"Los, geh." sage ich und schließe die Tür hinter mir.
Stille.
Ich lehne mit dem Rücken an der Tür und sehe hin und her. 
Ob er gegangen ist oder ob er noch da steht?
Leise bewege ich mich und höre an der Tür, ob man Schritte hören kann.
Nichts.
Es dauert ein wenig, aber nein, er ist nicht gegangen oder er kam wieder und ich bin taub, wer weiß.
"Hast du Lust mich zu begleiten?" fragt er durch die Tür.
Auch ich warte, bis ich antworte.
Erst bringe ich meine Tasche in mein Zimmer, dann nehme ich mir ein Dose Cola aus dem Kühlschrank und dann erst gehe ich zur Tür und öffne sie einen Spalt.
Man sieht gerade mal mein Auge und er findet das sichtlich belustigend.
"Wenn du noch einmal meine Haare anfasst, dann kann dich nicht mal mehr ein Held retten, verstanden?"
Tom hebt die Hände und nickt.
"Verstanden." antwortet er grinsend.
"Hoff ich auch für dich." sage ich und öffne nun die Tür etwas mehr, um hinauszukommen.
Gemeinsam gehen wir wieder die Treppe hinunter, aber dieses Mal wird es eher ein kleines Rennen...
...das er gewinnt.
In der Lobby feiert er sich selbst und bekommt von mir dazu noch als Geschenk den Mittelfinger gezeigt.
"Bist aber 'ne schlechte Verliererin." sagt er grinsend.
"Du bist ein schlechter Gewinner." gebe ich zurück und gehe dieses Mal aus der Tür, ohne ihm die Tür aufzuhalten.
"Weil ich mich gefreut hab?" fragt er und ich nicke.
"Freust du dich nie, wenn du was gewinnst?"
"Nicht so." sage ich grinsend und wuschel ihm durch's Haar.
"Nicht so." wiederhole ich mich und laufe los.
Ich weiß gar nicht, wo er hin muss, aber so lange er nichts einwendet wird's wohl der richtige Weg sein und auch wenn nicht, viele Wege führen bekanntlich nach Rom oder nicht?
Er kommt mir nach und es dauert nicht lange, bis er mich eingeholt und sogar überholt hat.
Eins muss man ihm lassen, er ist schnell. Wenn er in meiner Klasse wäre, wär's das mit meiner Eins. Mr. Joseph hätte einen neuen Maßstab und da komm ich nicht mal ran.
"Ey, mach mal langsam." sage ich außer Puste und bleibe stehen.
Tom sieht über die Schulter zu mir nach hinten und wird langsamer.
"Schon kaputt?" fragt er und stemmt die Hände in die Hüfte. 
Auch er ist außer Puste, aber nicht so wie ich.
"Hey, ich hab Asthma, also bitte ich um Rücksicht." wehre ich mich und gehe zu ihm.
"Es geht doch nichts über Spontanität." sage ich, als mir das Sprechen wieder leichter fällt und wir langsam weitergehen.
"Kommt das öfter vor?" fragt er lachend.
Ich zucke mit den Schultern.
"Wie soll ich dir darauf 'ne Antwort geben? Spontanität ist doch nicht planbar." sage ich und möchte ihm wieder durch's Haar wuscheln, doch er zieht den Kopf weg.
"Ich hab's verstanden." sagt er grinsend.
"Gut."
An einem unscheinbaren Haus, das sich überhaupt nicht von den anderen abhebt, hält Tom plötzlich und fragt, ob ich kurz hier draußen warte. Dann klingelt er und verschwindet nach drinnen.
Ich sehe mich währenddessen um, denn in dieser Gegend war ich noch nie. Und irgendwie bin ich auch froh drum. 
Ob er krumme Dinger dreht? 
Drogen und sowas würden hier gut hinpassen.
"Bis morgen." ruft Tom in den Flur und schließt dann die Tür.
In einer Hand eine schwarze Plastiktüte und ich bin sicher, dass dort nichts drin ist, was für jedermanns Augen bestimmt ist. 
"Wir können." sagt er und geht vor, ich nur zögernd hinterher.
Wir reden nicht miteinander, bis wir am Park vorbei sind und mich die Frage fast auffrisst.
"Darf ich fragen was da drin ist?"
"Das ist nicht für mich, sondern für 'nen Kumpel." sagt er und sieht sich um.
Er öffnet die Tüte und lässt mich kurz hineinsehen, dann gehen wir weiter,
"Alkohol?" frage ich und kicher.
"Ich werde erst im Juni 21 und Kev erst im Juli, hier kriegst du ja nur auf dem Weg was."
Ich beginne noch mehr zu lachen.
"Oder du fragst meine Mom oder sonst wen und lässt es dir kaufen. Mein Gott, ich dachte schon sonst was." sage ich und schüttel den Kopf.
Wir kommen wieder am Haus an und gehen hinein. 
"Sag mal, wieso ging dieser Kev nicht selbst hin?" frage ich, als ich vor dem Fahrstuhl stehen bleibe.
Nachdem ich sie heute schon einmal hochgegangen bin und den sponatanen Rennen habe ich keine Lust mehr zu laufen.
"Weil er schiss hat." antwortet Tom und drückt auf den Knopf und sofort geht die Tür auf.
"Pff... und dann schickt er dich und du machst es auch noch? Du bist zu nett." sage ich und steige in den Fahrstuhl ein.
Tom zuckt mit den Schultern und stellt sich gegenüber von mir hin.
"Vielleicht ein wenig."
"Das wird dir noch weh tun, glaub mir." sage ich und drücke auf die 3, damit wir nach oben kommen.
Dass ich aber diejenige sein werde, die ihm wehtut, konnte ich da noch nicht ahnen.

Am liebsten trage ich das Lächeln, welches du mir gibstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt