"Wir sind wieder zu Haus, Schatz. Hast du Hunger?"
"Ja, ich komme gleich rüber." rufe ich meiner Mutter aus meinem Zimmer zu.
Ich saß die ganze Zeit auf der Fensterbank und sah aus dem Fenster, aber es gab nichts zu sehen. Das gibt aus meinem Fenster nie, auch wenn es mir den Blick auf die Straße gewährt. hier passiert nichts und hier sind auch keine Freunde, die plötzlich zu mir hinauf rufen, dass ich nach unten kommen soll. Wenn ich nicht besser wissen würde, würde ich behaupten, dass ich Heimweh habe, aber wonach denn, wenn man kein Heim hat?
Die Zimmertür geht auf und ich sehe zu meiner Mutter, die den Kopf ins Zimmer steckt.
"Die Pizza wird kalt, Kleine."
"Ich komme ja schon." sage ich, bewege aber gerade mal nur meinen Kopf, um wieder raus zu starren.
Meine Mutter kommt ganz ins Zimmer und zu mir.
"Ich weiß, dass es dir hier nicht gefällt, aber das kann sich doch noch ändern."
"Es hat sich innerhalb von 1 1/2 Jahren nicht geändert, was soll denn jetzt anders sein?" frage ich und sehe sie ernst an.
Ihre Worte nehmen mir die Hoffnung, dass wir diesen Ort bald verlassen und ich hasse es. Zum ersten Mal möchte ich von einem Ort weg.
Sie legt mir sanft eine Hand auf meine Schulter, doch ich zeige ihr mit einem Ruck, dass ich es nicht möchte.
Mit besorgtem Blick senkt sie ihren Kopf und steht dann auf.
"Jane, es tut mir wirklich leid, dass wir dir immer wieder wehtun mit so etwas." sagt sie und geht dann aus dem Zimmer.
Ich schließe meine Augen und merke, wie den Tränen nahe bin.
Meine Mutter ist herzensgut und ich möchte nicht, dass sie sich schlecht fühlt. Nicht wegen mir. Wer weiß denn überhaupt, ob es nicht an mir liegt, dass es mir hier nicht gut geht? Schließlich gebe ich mir nicht gerade viel Mühe mich zu integrieren. Das habe ich sonst auch nie, aber immer davon auszugehen, dass Freunde einfach so aus dem nichts kommen ist doch auch komplett falsch. Vielleicht sollte ich mich anpassen und mal versuchen mehr so zu sein, wie die Anderen? So lange wir noch hier sind zumindest.
Mein Kopf lehnt sanft an der Scheibe und ich stehe nicht auf, obwohl ich eigentlich meinte, dass ich gleich rüberkomme. Die Pizza wird kalt, meine Eltern warten, doch ich habe jetzt nur noch weniger Lust aufzustehen, als vorher schon.
"Jane?"
Mein Dad.
Statt eine Antwort zu geben stehe ich widerwillig von der Fensterbank und verlasse ich meine heiligen vier Wände.
Meine Eltern sehen sich gegenseitig besorgt an, als sie sehen, wie ich mich nicht zu ihnen setze, sondern die Tüte mit Abfällen von der Theke nehme und Richtung Wohnungstür gehe.
"Der Müll kann doch warten." ruft mir mein Vater zu, der eigentlich immer lieber den Müll schon draußen sehen möchte, bevor der Inhalt draußen ist oder es schon Abfall ist.
"Lieber gleich, statt später." wiederhole ich seine Worte, die er immer predigte und verlasse die Wohnung.
Die Tränen in meinen Augen sind immer noch da und bevor sie jemand zu gesicht kriegen soll, wische ich sie weg, doch da hab ich die Rechnung ohne ihn gemacht.
"Alles in Ordnung?" fragt er, als er langsam die Treppe hianuf kommt und ich ein leises Schluchzen nicht unterdrücken kann.
"Jaja." antworte ich und gehe an ihm vorbei.
Ich gehe nach unten und merke, wie nach kurzer Zeit jemand folgt. Statt mich umzudrehen und zu fragen, was er möchte, gehe ich weiter, bis in nach draußen in die kleine Gasse, in der die großen Mülltonnen stehen.
"Macht's dir Spaß mich zu beobachten?" frage ich und schließe die große Stahltonne, nachdem ich die Tüte hineingeworfen habe.
"Ich frage mich nur, was passiert ist." sagt er und lehnt lässig an der Wand.
"Nichts. Es ist alles in Ordnung." sage ich ein wenig schroff.
Gefühle zeigen und dazu stehen mag für viele einfach sein, doch bei mir ist der Gegenteil der Fall. Ich hasse es zu weinen, mich schwach zu fühlen, so depressiv zu wirken. Das bin nicht ich und doch gehört es zu mir. Es ist seltsam und beunruhigend sich nicht mit sich selbst identifizieren zu können.
"Dann würdest du nicht weinen." sagt er, als ich an ihm vorbei möchte.
"Ich weine nicht." sage ich und bleibe vor ihm stehen.
"Aber du hast."
Ich verdrehe die Augen.
"Sag mal, nerv doch lieber deinen Freund, statt mich, ja?" sage ich und gehe.
Tom kommt mir nach und lässt überhaut nicht locker. Im Endeffekt bin ich ihm sogar dankbar.
"Er ist mein Cousin. Ich wohne nur während der... Also..." beginnt er, doch er hält inne.
Bevor wir wieder ins Gebäude gehen, bleibe ich stehen und sehe ihn fragend an.
"Während der was?"
"Nichts..." sagt er und wirkt plötzlich etwas nervös.
Ich zucke darauf nur mit den Schultern.
Wenn er's mir nicht sagen möchte, dann eben nicht. Aber ich soll ihm meinen Grund für die Tränen erzählen...pff.
Wir gehen gemeinsam rein und schweigen bis wir oben an unseren Wohnungen ankommen. Meinen Schlüssel finde ich dieses Mal sofort, doch ich zögere mit dem Aufsperren. Ich will nämlich gar nicht rein, auch wenn mein Magen ziemlich laut meckert.
"Tom?" frage ich und sehe zu ihm rüber.
Er dreht sich zu mir um und erwidert ein "Ja?"
"Darf ich dich was fragen?"
"Klar." antwortet er.
"Dann komm her." sage ich und setze mich auf den Boden, auf dem ich schon so oft verzweifelt saß.
Wegen so vieler Dinge.
Er setzt sich ohne zu zögern zu mir.
"Kann man mich mögen?" frage ich und es wirkt so, als hätte ich nur gefragt, wie es ihm geht.
Tatsächlich fiel mir die Frage viel schwerer.
"Äh, wie kommst du denn auf so eine Frage?"
"Keine Gegenfrage. Kann man oder nicht?"
"Natürlich, wieso auch nicht?"
Ein leichtes Grinsen huscht über meine Lippen.
"Schon wieder so etwas wie eine Gegenfrage." merke ich an.
"Und du beantwortest sie nicht." sagt er darauf grinsend.
"Vielleicht weil mir die Antwort wehtun würde?" sage ich und wuschel ihm durch das Haar.
Tom sieht mich mit schmalen Augen an und rächt sich sofort mit der gleichen Aktion.
"Wie du mir, so ich dir. Kennst du's?"
Leise lachend sitze ich da und streiche mir die Haare aus dem Gesicht.
Jaja, Todesstrafe und ja, ich hasse es, aber ich hab's verdient. Und es macht mir gerade auch nichts aus. Lassen wir doch mal ausnahmsweise den Welpenschutz gelten.
"Wenn du das bei jedem machst, obwohl du es nicht magst, dann beantworte ich deine erste Frage doch eher mit 'Nein'." gibt er frech zurück.
"Pff..." antworte ich darauf nur und dann endet es wieder in Stille.
Aber nicht lange, dank meiner nicht gerade normalen Art, die mich wieder wissen lässt, warum ich oft als eher 'weird' und vor allem als 'Freak' abgestempelt werde.
"'Unser Leben ist das Produkt unserer Gedanken' sagte Marcus Aurelius" sage ich vollkommen zusammenhangslos in die Stille.
Ich zitiere nämlich. Oft. Und völlig wahllos. Das tat ich schon immer und manchmal passten die Sprüche. Bis jetzt gab es auch immer jemanden, der das mochte oder gar gleich mehrere, doch hier war das bisher nicht der Fall.
Fragend sieht mich Tom an und legt dabei den Kopf etwas schief.
"Frag mich nicht, was es genau bedeutet. Ich zitiere meist nur, damit es nie vergessen wird." sage ich und beginne zu lachen.
"Vielleicht meinte er, dass unsere Leben nur das ist, was rauskommt, weil wir eben so etwas wie Gedanken haben. Sie bremsen einen so oft, zeigen einem schlimme Szenarien, die einen dann nicht das tun lassen, was man möchte oder hindern einen auch gar nicht in ein Fettnäpfchen zu treten...Was weiß ich, es ist auch viel zu spät darüber nachzudenken." sage ich und sehe dann unter mich.
"Oder lassen einen eine Idee gut finden, mit der man sich gar nicht wirklich anfreunden kann."
"Dann würde ich mich wehren."
Ich sehe zu ihm und schüttel dann den Kopf.
"Und wenn es die einzige Möglichkeit ist?"
"Es gibt immer noch eine. Man muss sie nur finden." antwortet er zwar ernst, aber trotzdem sanft genug, dass ich es nicht gleich als Kritik für meine 'Schwäche' auffasse, weil ich darüber nachdenke, mich der erst besten Möglichkeit zu beugen.
"Du würdest dich nicht anpassen, um zu überleben?" frage ich.
"Anpassen ist immer falsch. Wenn sie dich nicht für das schätzen, was du bist, dann sind sie selbst schuld." sagt er und steht dann auf.
Ich ebenfalls.
"Ich muss jetzt mal langsam, aber wir sehen uns bestimmt morgen?"
Lächelnd nicke ich und widme mich meiner Tür, als er zu seiner geht.
"Danke." murmel ich gerade so, dass er es hören müsste.
"Kein Problem." sagt er und wir verschwinden beide nach drinnen.
Als ich den Schlüssel auf die Kommode ablege und in das Wohnzimmer komme, räumen meine Eltern ihre Teller schon weg. Nur meiner steht noch mit einer, inzwischen bestimmt schon kalten Pizza, da.
"Wo warst du denn?" fragt meine Mutter, als sie mich bemerkt.
"Hab noch Mary getroffen. Wir haben uns verquatscht." lüge ich, obwohl ich lügen hasse.
Ich verrate mich leider oft selbst,
Der erste Grund, warum ich mich nicht so gut leiden kann.
Man predigt jedem etwas anders, aber verkörpert es selbst nicht. Ob man das gerade deswegen tut? Um andere besser zu machen, weil man sich aufgegeben hat und nicht mehr glaubt, dass man da noch was retten kann?
"In Mary hast du wohl 'ne gute Freundin gefunden." meint meine Mutter lächelnd, während sie das Geschirr schon mal abspült.
Mein Dad setzt sich währenddessen auf die Couch und studiert die Zeitung.
"Mir gefällt sie nicht. Sie scheint kein guter Einfluss zu sein, wenn sie einen vom gemeinsamen Essen abhält." grummelt er.
So lieb er auch ist, genauso schwierig ist er auch.
"War doch meine Schuld, nicht ihre. Ich musste sie was fragen und ich konnte ja nicht mit solch einer Antwort rechnen." sage ich und setze mich an den Tisch, um die Pizza essen, die kalt wirklich nicht mehr ganz so angenehm schmeckt.
"Und ich würde sie auch eher nur als Freundin bezeichnen, nicht als gute. Dafür sah ich sie bisher zu wenig in der ganzen Zeit. Letztens war das erste Mal, dass ich überhaupt mal bei ihr zu Hause war." sage ich und beiße dann nochmal in das Stück.
"Aber trotzdem ist sie jemand, mit dem du reden kannst, wenn wir nicht da sind. Das ist doch auch etwas." sagt meine Mutter.
Ich höre ohne Probleme heraus, dass da mehr darin liegt, als nur Erleichterung, dass ich wenigstens eine Person hier habe. Sie ist trotzdem besorgt. Es ist sicherlich nicht angenehm mit anzusehen, wie sich das Kind ständig nur zurückzieht und in seinem Zimmer am Fenster hockt und sich nach woanders sehnt. Genauso unangenehm ist es für mich zu sehen, wie meine Eltern sich streiten, weil es sie so mitnimmt und vor allem meine Mutter ziemlich oft nachdenken lässt.
"Schon..." gebe ich mit halb vollem Mund zurück und lege den Rand von der Pizza auf den Teller.
Keine Ahnung, wer das Stück von der Pizza isst. Keiner, den ich kenne tut das.
"Wie war denn die Schule, Jane?" fragt dann mein Dad, als meine Mutter nichts mehr sagt.
"Wie immer." antworte ich.
Ich glaube, diese Antwort benutzt jeder auf diese Frage. Es gibt wohl kaum jemanden, der sie ausführlich und das dann auch noch gerne beantwortet.
"Keinen Streit mit dieser Mrs...?"
"Mrs. Kruger... Ne, sie hat mich zwar zu gequatscht, aber es war nichts Sinnvolles dabei." lüge ich mal wieder.
Wenn es nicht sinnvoll gewesen wäre, hätte ich nicht während Geschichte usw. so darüber nachgedacht.
"Wenn sie dir einen Tipp gegeben hat, mal pünktlich zu sein, dann war es sinnvoll."
"Hat sie aber nicht, Dad."
Hat sie wohl, nur weiß ich nicht, wie ich den umsetzen soll.
Nach Tom's Antwort noch weniger.
"Ich geh wieder in mein Zimmer." sage ich dann und nehme meinen Teller mit.
Als ich die Tür schließe und mich dagegen lehne, höre ich, wie meine Mutter meinen Dad fragt, was das gerade sollte. Er erwidert darauf nichts.
Zum Glück.
Ich möchte keinen Streit mehr hören. Nicht heute und auch nicht in nächster Zeit. Und vor allem nicht wegen sowas.
Auch wenn es auch an anderen Orten bisher dazu kam, ich mache Atlanta dafür verantwortlich, dass es überdurchschnittlich oft zurzeit dazu kommt.
Stille folgt im Wohnzimmer und ich setze mich im Schneidersitz auf mein Bett.
Von drüber hört man Gelächter und Musik.
Dive von Ed Sheeran, wenn ich recht höre.
Mary verehrt ihn ja schon fast. Wenn ich auch eigentlich relativ wenig über sie weiß, man kann sie nicht kennen ohne das. Sie hört ihn überall und auf Parties rastet sie aus, wenn mal ein Lied von ihm kam.
Ob dieser Harry zu besuch ist?
Mich würde ja schon interessieren, wer er ist und vor allem, wie er so ist, aber statt rüber zu gehen und mal kurz vorbeizuschauen, sitze ich hier und stopfe mir den Rest meiner Pizza in den Mund.
Mit Hintergrungelächter und Ed Sheeran.
Was muss das nur für ein trauriger Anblick sein?
Und noch trauriger ist, das er zu mir passt.
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Am liebsten trage ich das Lächeln, welches du mir gibst
RomanceJane wohnt seit neustem in Atlanta und wenn sie ehrlich ist, hätte sie sich das Ganze etwas leichter vorgestellt. Sie ist schon öfter mit ihren Eltern in fremde Städte oder gar Länder geflogen und hat dort eine Zeit lang gewohnt, doch dieses Mal ist...