Ich bin der festen Überzeugung, dass auf etwas Gutes immer etwas Schlechtes folgt. Das Leben hat mir oft feste Beweise geschickt, die meine These stützten. Neue sind somit nicht erforderlich, aber das scheint das Universum nicht zu verstehen.
Bevor das Essen mit Tom war hatte ich vor ins Krankenhaus zu gehen, wisst ihr noch? Ich ging nicht hin. Mir war der Tag anstregend genug. In der darauf folgenden Woche habe ich es immer wieder mit weiteren Ausreden verschoben. Und jetzt? Jetzt sitze ich mit meinem Vater auf der Couch und gehe mit ihm alte Fotos durch. Erzählen uns Geschichten über sie und finden wieder zueinander. In den Wochen in denen sich meine Mutter quälen musste, haben mein Vater und ich uns distanziert. Er ging arbeiten und versuchte so das Unausweichliche zu verdrängen. Ich war bei Mary oder Tom oder alleine in meinem Zimmer oder auf dem Dach.
Die Beerdigung ist morgen.
Ich bin nicht bereit dafür.
Bisher war ich auf keiner Beerdigung.
Als meine Oma starb, die in Rumänien lebte, flogen nur meine Eltern hin. Obwohl ich einen guten Draht zu ihr hatte und oft mit ihr telefonierte. Ich mied Friedhöfe schon immer. Weil ich Enden hasse.
Und der Tod ist das Ende von allem.
Aber für besondere Menschen bricht man auch mal seine Regeln.
Als es klopft, mache ich die Tür auf.
Tom, Mary und Harry stehen da.
Sie lächeln mich an und ich versuche es zu erwidern.
So lange, bis die Tränen gewinnen.
Mary nimmt mich sofort in den Arm und die Jungs ebenfalls.
"Es wird alles besser." flüstert sie mir ins Ohr und streichelt über meinen Rücken.
"Wir sind da." sagt Tom.
Und das sind sie wirklich. Alle drei.
Die Drei lassen von mir ab und ich wische mir die Tränen weg.
"Ich vermisse sie so." sage ich und spüre dabei mit jeder Zelle wie ich es bereue sie nicht mehr besucht zu haben.
Schwach gewesen zu sein, obwohl ich Tom versprochen habe stark zu sein.Sich ganz in Schwarz zu kleiden fällt bei meinem Stil nicht schwer. 90% meiner Kleidung ist schwarz. Die Menschen, die sich von meiner Mutter verabschieden ist recht übersichtlich. Mary, Harry, mein Vater und ich. Die anderen Verwandten wissen zwar davon, aber keiner konnte einfach so hier herkommen. Sie versprachen es nachzuholen.
Mein Vater stehen noch eine Ewigkeit nach der Zeremonie an ihrem Grab. Sie war überall auf der Welt. In so schönen Orten und doch sollte alles in Atlanta enden. Gerade dann, als etwas in meinem Leben anfing. Vielleicht gibt es da eine ungeschriebene Regel, die genau das verlangt?
"Ich würde gern meinen Anfang zurückgeben, damit sie kein Ende hat." sage ich zu mir selbst.
"Ich würde alles geben um sie wieder hier zu haben." sagt mein Dad.
Mary und Harry kommen zu uns. Tom ist nicht dabei.
Das ist schon ok so.
"Es fängt gleich an zu regnen. Wir sollten uns auf den Weg nach Hause machen." sagt Mary und wir alle stimmen ihr schweigend zu.
Seit dem Tod meiner Mutter haben sogar mein Dad und Mary mehr zueinander gefunden. Er traut ihr zwar nicht zu 100% aber sie hilft ihm viel beim Haushalt, wenn ich es nicht kann. Sie backt sogar, wenn ich den Duft vermisse. Mary tut wirklich alles, damit es meinem Dad und mir besser geht und wir den Verlust besser verarbeiten. Tom und Harry ebenfalls, aber eben auf ihre Weise. Harry holt mich von der Schule ab und spielt die Seelsorge und Tom...
Tom ist einfach mein Neuanfang.
Er ist da... Und ich gehe...Man sollte wohl immer bedacht wünschen. Wisst ihr noch, ich wollte weg. Raus aus Atlanta, weil ich es hasste. Lieben tue ich es immer noch nicht, aber wir sind dabei Freunde zu werden. Seit dem Abend auf dem Dach mit Tom, hatte ich zum ersten Mal Hoffnung, dass ich doch eine Chance auf ein Leben hier habe. Dabei vergaß ich den Wunsch, doch das Universum nicht.
Und so komme ich eines Tages von der Schule und stolper über gepackte Kartons und alte Klamotten meiner Mom.
"Dad?" rufe ich, als ich mich durch den Flur kämpfe.
"Im Schlafzimmer." ruft er zurück.
Dass man die alten Sache wegräumt ist ja normal. Man möchte nicht ständig daran erinnert werden, was man verloren hat. Außerdem haben diese materiellen Dinge eh keinen besonderen Wert. Alles was man braucht, ist doch schließlich im Herzen. Aber mein Dad packt nicht nur die alten Sachen meiner Mutter zusammen.
Er mchte flüchten. Wie Marys Vater damals.
"Was machst du da?" frage ich vorsichtig.
Ängstlich.
Weil ich mich endlich auf etwas einlassen wollte und dann...
"Wir ziehen um."
"Aber... Aber wieso? Weil Mom tot ist? Das ist kein Grund." sage ich etwas zu laut und viel zu hysterisch.
Aber wie sollte ich bitte sonst reagieren, wenn man mir die einzige Hoffnung die ich noch hatte nehmen möchte.
"Du mochtest es hier doch eh nicht. Wir fliegen nach Deutschland. Deine Tante wird uns erstmal aufnehmen, dann sehen wir weiter."
Bei jedem Wort, das er sagt, geht es mir schlechter. Mein Magen dreht sich um und ich habe das Gefühl den Boden unter den Füßen zu verlieren. Fast genauso als er mir sagte, dass meine Mutter gestorben ist. Es fühlt sich wie ein zweiter Tod an. Ein weiterer Verlust in so kurzer Zeit,
Meine Schultasche rutscht mir aus der Hand und fällt zu Boden.
Mein Vater sieht mich an und ich schüttel nur den Kopf.
"Ich geh nicht mit." sage ich und laufe weg.
Im Hausflur laufe ich zuerst zu Toms Tür und bin kurz davor zu klopfen, doch ich tue es nicht. Ich habe ihm vorgeworfen, dass Helden dazu neigen zu verschwinden und nun bin ich die, die geht. Obwohl ich sagte, dass ich mit ihm nach Italien gehe.
Nun verschwinde ich und dabei bin ich keine Heldin.
Mein Vater taucht im Flur auf und versucht auf mich einzureden.
"Jane, komm wieder rein. Wo willst du denn hin?" ruft er mir nach, als ich nicht auf ihn höre und die Treppen nach unten nehme.
"Was ist denn los?" höre ich Marys Stimme und dann wie mein Vater es ihr scheinbar erklärt. Ich laufe weiter. Raus aus dem Haus und weiter. So weit, bis ich fast zusammenbreche.
Weinend sehe ich mich um, wo ich überhaupt bin. Hier steht außer einem leerstehenden Haus nichts. Es scheint noch nicht lange leer zu stehen, denn der Pool ist noch recht sauber. Oder es kümmert sich weiter jemand darum.
"Ey, da ist es. Ich freu mich so!" höre ich eine bekannte Stimme rufen.
Verona, Phil und Cat kommen die Straße hinauf und bleiben kurz stehen, als sie mich entdecken.
"Was will sie hier?" tuschelt Cat zu ihnen, doch nicht gerade leise.
Sie gibt auch nicht viel darauf, was ich von ihr halte. Wenn es um Freunde und Beliebheit geht, hat sie eh gewonnen.
Ich bin definitiv keine Bedrohung für sie.
"Lass sie doch. Sie hat ihre Mutter verloren, sei mal nicht so." murmelt Verona.
"Hey." begrüßt sie mich daraufhin und kommt zu mir.
"Hey." begrüße ich sie rein der Höflichkeit wegen.
"Kommst du auch? Poolparty des Jahres." sagt sie und sieht dann zu Phil und Cat, die den Abstand wahren.
Cat gibt ihr daraufhin ziemlich deutlich zu verstehen, dass sie mich nicht einladen hätte sollen.
"Ist das Haus einem von euch?"
"Nein, aber der Besitzer ist für zwei Wochen weg. Wär doch schade, wenn der Pool nicht genutzt werden würde in dieser Zeit." sagt sie und legt dann die Hand auf meine Schulter.
"Das mit deiner Mom..."
"Jaja, ist schon ok." sage ich um mir nicht eine von diesem abgedroschenen Phrasen geben zu müssen.
Die habe ich schon alles durch.
Zum ersten Mal war ich sichtbar in der Schule und das nur, um die Standartphrasen der Schüler und Lehrer ertragen zu müssen. Es tut allen leid, dass meine Mutter tot ist. Schön. Kann ich mir von diesem Höflichkeitsmitleid etwas kaufen? 'Ne neue Mutter vielleicht?
Wenn es wenigstens ehrlich gemeint wäre...
"Kommst du? Wir müssen noch zu Brooklyn." drängt Cat Verona.
"Also sehen wir uns morgen?" fragt sie, als sie schon zum Gehen ansetzt.
Ich zögere, doch sage zu.
Nur aus einem Grund. Mein Vater wird nicht hier sein.
Da der Eigentümer scheinbar weit weg zu sein scheint, steige ich über die Mauer und gehe zum Pool. Das Wasser ist klar und schimmert durch die Fliesen in einem hellen Blau.
Ich ziehe meine Schuhe und Strümpfe aus und setze mich an den Rand. Zuerste fahre ich nur vorsichtig durch das kalte Wasser, dann tauche ich sie ganz hinein.
Mir wird kalt, aber das macht mir nichts aus. Ich genieße es fast.
Während ich hier sitze, male ich mir aus, wohin ich abhauen könnte. Mein Gespartes reicht für... Einen Flug nach New York und einen Hot Dog. Das klingt doch sehr vielversprechend...
Tom hat sicher mehr Möglichkeiten als ich, aber ich bettel bei ihm sicher nicht um Geld. Außerdem möchte ich doch gar nicht weg von hier. Ich möchte weg von meinem Vater und seiner bescheuerten Idee Atlanta zu verlassen.
Mein Handy vibriert plötzlich und ich nehme es aus meiner Westentasche.
'Mary'
Ich drücke sie weg.
Erfolglos.
'Wo bist du?' lautet die Nachricht, die als nächstes auf dem Display erscheint.
Ohne zu antworten lege ich mein Handy neben mich.
Kurz darauf folgt eine Nachricht von einer mir unbekannten Nummer.
'Brauchst du jemanden zum Schweigen?'
Ohne die Nummer zu kennen, weiß ich wer das geschrieben hat.
'Ich würd so gern weit weg mit dir, egal wohin...' tippe ich ein, doch schicke es nicht ab.
Mein Handy findet wieder den Platz neben mir. So lange bis ich mich entschließe ihm einfach die Adresse wo ich mich befinde statt des davor Eingetippten zu schicken.
Und es dauert nicht lange, bis er neben mir steht.
"Du weißt, dass das illegal ist." sagt er grinsend auf mich hinunterlickend.
Ich zucke nur mit den Schultern und sehe grinsend zu ihm hinauf.
Dann nimmt er neben mir Platz und zieht ebenfalls Schuhe und Strümpfe aus um seine Füße im Wasser zu kühlen.
"Ich dachte immer, dass wir nur in dem alten Gebäude exstieren würden. Weil dort immer alles anfing. Aber du bist ja echt." sage ich und petze ihm in den Arm.
Mit einem lauten "Au" zieht er ihn weg und schubst mich sanft.
"Du spinnst." sagt er als ich zu kichern beginne.
Zum Glück verlernt man egal, was immer auch passiert, das Lachen nie. Es fühlt sich manchma nur so an.
"Sag mal, wieso bist du abgehauen?" fragt er dann.
"Hat's dir mein Dad nicht erzählt?"
"Den hab ich nicht getroffen. Mary hat mir nur erzählt, dass du weggerannt bist."
Sie hat es sicher nicht getan, weil ich das machen muss. Es ist meine Aufgabe zu sagen, dass wir bald weg sind. Aber nicht heute. Nicht jetzt.
"Das Vermissen erschlägt mich. An manchen Tagen geht es, aber es gibt diese Momente, da bringt es mich fast um." sage ich und das ist nicht mal gelogen.
Es ist nur nicht der Hauptgrund, warum ich weggelaufen bin.
Plötzlich steht Tom auf und nimmt seine Sachen. Dann reicht er mir seine Hand.
"Nimm." sagt er.
Zögerlich tue ich es und stehe auf.
"Ich bring dich weg."
"Wo auch immer ich hin möchte?" frage ich grinsend.
"Wo auch immer es dir besser geht." antwortet er mir.
"Das ist ja einfach." sage ich und nehme meine Sache.
"Das ist überall, so lange du da auch bist."
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Am liebsten trage ich das Lächeln, welches du mir gibst
RomanceJane wohnt seit neustem in Atlanta und wenn sie ehrlich ist, hätte sie sich das Ganze etwas leichter vorgestellt. Sie ist schon öfter mit ihren Eltern in fremde Städte oder gar Länder geflogen und hat dort eine Zeit lang gewohnt, doch dieses Mal ist...