17. Du bist nicht hier und jetzt fehlt mir so viel

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"Es wäre echt einfach so 'ne Akte zu klauen und mal kurz reinzuschauen." sagt Mary und reicht mir das letzte Bier.

Sie liegt damit Harry und mir schon seit Montag, seit Tom weg ist, in den Ohren, aber ich halte nichts davon. Vielleicht auch, weil ich Angst habe. Angst davor tatsächlich etwas herauszufinden.

"Das hat 'ne Freundin damals auch gemacht,weil sie ihre Ergebnisse nicht abwarten konnte."

"Und das würde was genau bringen? Keiner von uns kann dieses Ärztezeug verstehen." sage ich nur und nippe an der Flasche.

"Google ist dein Freund, meine Süße." sagt sie mit einem Grinsen auf den Lippen, doch als sie sieht, wie ich langsam in Gedanken versinke und mich immer mehr dem Boden widme, verschwindet es.

"Jane, du machst dich vielleicht unnötig fertig."sagt sie, doch ich höre gar nicht richtig zu.

Ich gehe nicht mal darauf ein, sondern folge meinen eigenen Gedanken.

"Mein Vater... Er redet wie die Meisten, die den Tod sehen." murmel ich gerade so laut, dass die Anderen es verstehen können.

"Was meinst du?"

"Ich habe schon so oft Menschen zugehört, die Menschen hatten, die im Sterben lagen und sie redeten alle von den Dingen, die man nicht zurückbekommt. Weißt schon, die Tage, die man erlebt hat, die Erfahrungen, die man gemacht hat, die Worte, die man benutzt hat oder besser nicht benutzt hätte oder von den Chancen, die man verpasst hat. Vor allem von denen. Sie schwelgen in Erinnerungen, redeten davon, wie schnell das Leben doch vorbei sei und sie wirken alle... Wie mein Dad zurzeit..." sage ich und werde vor allem bei dem letzten Satz ziemlich leise.

Mary und Harry sehen sich an und ich betrachte die Flasche, an die ich mich klammere.

"Mein Vater kam heute aus dem Schlafzimmer und redete davon, bevor er zur Arbeit ging. Und das ich immer lieber Fehler machen soll, bevor ich es bereue sie nicht gemacht zu haben, aber ich kann den, den ich machen möchte nun gar nicht machen..." rede ich weiter und schüttel dann grinsend den Kopf.

"Tom ist echt ein Idiot... Lässt mich gerade jetzt allein..."

"Er muss arbeiten, ihm tut das auch echt leid, Jane. Tom hat Mary und mit sogar den Auftrag gegeben auf dich aufzupassen und dir zuzuhören, weil er es nicht kann. Wir hätten das auch ohne seinen Auftrag gemacht, aber das zeigt ja, wie sehr er sich sorgt oder?" sagt Harry.

"Er ist trotzdem ein Idiot." sage ich und grinse weiter unter mich, nach dem ich Harry's Worte höre.

Grinsend, aber mit Tränen in den Augen.

Im Moment ist mir aalles zu viel. Es fühlt sich an, als wären alle fort, obwohl es gerade mal zwei sind.

"Aber ein liebenswerter Idiot." sagt Mary und boxt mich leicht gegen den Arm.

Ich hebe meinen Blick und erwider ihren.

Sie grinst breit und ich weiß, was in ihrem Kopf vorgeht.

Wahrscheinlich sind Tom und ich in ihrem Kopf eh schon zusammen und veranstalten mit Harry und ihr Pärchenabende.

Also bevor das passiert, gibt es ihren geliebten Spider-Man wirklich. So weit denke ich noch gar nicht.

"Jane, ernsthaft jetzt. Wir können ins Krankenhaus fahren und uns die Akte abfotografieren. Wir googlen dann einfach den ganzen Kram, den wir nicht verstehen oder wir gehen gleich zu Heather und reden mit ihr. Deine Mutter hat noch nie etwas vor dir verheimlicht, meintest du..."

"Mein Dad auch nicht." unterbreche ich sie und stehe auf.

Das Bier stelle ich auf dem kleinen Tisch ab und gehe vor ihnen auf und ab.

Am liebsten trage ich das Lächeln, welches du mir gibstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt