14. 3 Dinge, die sich ändern: Ich möchte Zeit verschwenden

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Weder mit Mary auf dem Dach, noch später allein in meinem Zimmer kann ich mir einen Reim darauf machen, was eigentlich in meinem Kopf vorgeht. Einerseits schreit er danach von hier wegzukommen. Dieser Wunsch existiert weiterhin, doch andererseits ist da auch etwas, was mich hier hält. Was genau? Keine Ahnung.
Jedenfalls streite ich selbst mir gegenüber ab, dass er der Grund ist.
Ich glaube einfach nicht daran, dass jemand in dein Leben kommt und ein Grund sein kann, dass du irgendwo bleiben möchtest, wo es dir schlecht geht. Und dann auch noch so eine Nervensäge. Jemand der so vorwitzig und überall ist und auch noch leider mit den falschen Menschen abhängt. Er kann nicht der Grund sein...
Also, was hat sich geändert?
Oder was ändert sich kurzem?
Es war für mich immer eine Sünde Zeit zu verschwenden, denn man bekommt sie nicht wieder. Sie ist fort. Für immer. Doch letzte Nacht saß ich mit Mary auf dem Dach und die meiste Zeit war verschwendet. Wir redeten kaum, wir betrachteten nicht den Sonnenuntergang und wirklich anwesend waren wir auch nicht. Wir hätten genauso gut in unseren Zimmer sitzen können und für uns allein so dasitzen können.
Vor ein paar Wochen hätte ich mich darüber geärgert oder wäre schon nach einer halben Stunde vom Dach verschwunden, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, sondern stattdessen nach was Sinnvollem zu suchen, für das ich sie opfern kann, doch ich blieb. Und selbst jetzt ärger ich mich überhaupt nicht darüber.
"Du hast also an einem Sonntag in den Park gerufen, um zu schweigen?" fragt Mrs. Kruger und schlägt die Beine übereinander.
"Oder gab's noch etwas anderes?"
Ich starre nach vorne und frage mich gerade selbst, was mich dazu gebracht hat Mrs. Kruger anzurufen und sie für ein Gespräch in den Park zu bitten. Mrs. Kruger und ich standen uns nie besonders nah, auch wenn sie die Einzige war, die sich wirklich um mich gekümmert hat.
Sie war immer die Einzige, die mir das Gefühl gab, dass mich doch jemand sieht und wahrnimmt.
"Wenn ich ehrlich bin war es wohl nur eine Affekthandlung." sage ich ohne sie anzusehen.
"Rufst du denn öfter Lehrer im Affekt an?" fragt sie und ich höre heraus, dass sie leicht lacht.
"Bis jetzt sind sie die Erste, bei der es mir passiert ist." sage ich und senke den Kopf.
Ich beobachte meine Hände, die halb von den Ärmel meiner Weste versteckt werden und an diesen herumspielen.
"Also bei aller Liebe, Jane, aber am Telefon klang es eher so, als wäre es bewusst gewesen. Und vor allem klang es so, als wärst du wirklich aufgewühlt gewesen. Du kannst mit mir reden, das habe ich dir schon oft gesagt und dieses Angebot gilt weiterhin. Egal mit was es zutun." sagt sie und beendet das Herumspielen meiner Hände, in dem sie eine in ihre nimmt.
Schweigend schaue ich zu ihr und betrachte sie, wie sie mich lächelnd ansieht.
Ihre Lachfalten um die Augen lassen sie noch älter wirken, als sie ist, aber ich denke, dass man diese Art der Falten diesen Begleiter verzeihen kann.
Während ich sie so ansehe, fühle ich mich schlecht. Bei jedem Versuch, den sie macht mir zu helfen, blockte ich ab, war schnippisch zu ihr oder ignorierte sie ganz. Dabei hätte ich es lieber schätzen sollen. Man kann nciht erwarten, dass es überall solche Menschen gibt und das man nochmal jemanden trifft, der sich nochmal genauso sorgen wird.
"Ich weiß im Moment einfach gar nichts mehr." sage ich nur.
"Mh..." brummt Mrs. Kruger.
"Mrs. Stine hat mich darauf auch schon angesprochen. In Philosophie warst du immer eine ihrer Besten. Du hast viele Fragen gestellt und hast auch gute Ideen gehabt, aber sie hat sich letzte Woche wirklich Sorgen gemacht."
"Dann wissen sie ja, dass ich nicht da war."
"Natürlich. Und ich hab mich ebenfalls gefragt, warum du gerade für Mathe und Englisch geblieben bist, aber dein Lieblingsfach geschwänzt hast. Eigentlich hatte ich sogar vor in das Stammcafè zu gehen und dich zu suchen, aber Verona meinte, dass dir schlecht gewesen wäre."
Ich hab an dem Mittwoch mit niemandem geredet, also wieso lügt Verona?
Obwohl es eh egal gewesen wäre, wenn Mrs. Kruger im Café gesucht hätte. Ich war nicht da, sondern auf dem Dach. Alleine.
"Im Moment ertrage ich Philosophie nicht. Das Thema ist nicht meine Stärke." sage ich und stütze meinen Kopf auf meine Hände.
"Wessen Stärke ist schon die Liebe?" fragt meine Lehrerin und beginnt zu lachen.
"Selbst Mrs. Stine ist da bestimmt kein As. Aber ich glaube, dass du zu dem Ganzen sehr gute Meinungen hast."
"Zur Zeit leider nicht." antworte ich und merke, wie kurz angebunden ich die ganze Zeit bin.
Sonst füllte ich Stille mit Worten, jetzt war es Mrs. Kruger's Aufgabe keine Stille entstehen zu lassen.
"Ist es etwa, weil dich privat das Thema belastet?" fragt sie vorsichtig.
"Nicht direkt." antworte ich und stehe auf.
Ihr Blick bleibt auf mir, selbst als ich vor ihr auf und ab gehe.
"Es ist... kompliziert. Ich mein, "Liebe" ist ein viel zu großes Wort für das, was ich da im Kopf habe, aber verknallt sein klingt mir zu sehr nach Teenie. Natürlich, ich bin auch noch einer, aber... Dieser Einfluss ist so komisch. Ich kenne ihn noch nicht lange. Sagen wir fast höchstens drei Wochen und doch höre ich auf ihn. Ich gebe etwas darauf, was er von mir denkt, wie er über mein Verhalten urteilt und was er über manches denkt. Das habe ich noch nie und jetzt kommt da irgendeiner aus England und verändert mich. Wie soll ich das den finden?" frage ich und bemerke am Ende, wie ich mich Stück für Stück in eine Vorstufe der Rage rede.
Als ich ende, beende ich auch das hin und her gehen und setze mich wieder neben meine Lehrerin auf die Bank.
"Alle Menschen hinterlassen Spuren und er wohl ziemlich tiefe."
"Aber ich will das gar nicht. Das bringt doch auch gar nichts, wenn meine Eltern bald wieder abreisen wollen und..." beginne ich, beende den Satz aber nicht.
"Wollen sie das denn? War davon schon die Rede?"
Ich schüttel den Kopf.
"Aber so wie ich sie kenne, planen sie schon."
"Das denkst du, weil es immer so war, aber was ist, wenn sie nun einen Ort gefunden haben, in dem sie bleiben möchten?" fragt sie und wendet sich mit dem Oberkörper zu mir.
"Bei deiner Situation ist das sehr unsicher, ich weiß, aber du musst trotzdem anfangen das auch in Betracht zu ziehen und anfangen dir eine Struktur auszubauen. Freunde, vielleicht einen Freund, nichts nur für den Übergang, wie Verona und Phil." sagt sie und zeigt mir so, dass sie meinen Aufsatz, den wir vor zwei Monaten schreiben sollten, nicht vergessen hat.
"Du kannst nicht immer davon ausgehen und darauf hoffen, dass ihr weiterzieht und du in dem Ort nichts aufzubauen brauchst. Lass ihn dir helfen und sträub dich gegen nichts, was du mit ihm erlebst. Wer weiß, was es dir bringen wird." sagt sie und ich nicke ihr zu.
Vielleicht hat sie ja recht. Das Einzige, was ich haben wollte, waren ehrlich Freunde und dann habe ich so etwas mit Mary, Harrison und Tom gefunden und dann versuche ich es nicht zu nah an mich herankommen zu lassen und das nur, weil es mir eben in der Schule schlecht geht. Mein Privatleben überwiegt immer noch das, was ich in der Schule verbringe.
Als wir so da sitzen und ich nichts mehr dagegen einzuwenden weiß, klingelt mein Handy und ich nehme es aus der Westentasche hervor.
"Das ist mein Dad, ich geh kurz ran."
Mrs. Kruger nickt lächelnd und sieht sich dann im Park um, während ich abhebe.
"Was gibt's denn?" frage ich.
"Jane, du musst ins Krankenhaus kommen! Deine Mutter... Sie...Zuhause zusammengebrochen... und...Du musst herko..." höre ich ihn plötzlich nur noch ziemlich abgehackt und dann ein regelmäßiges Tuten.
"Was?"rufe ich trotzdem noch entsetzt ins Handy, obwohl ich das Tuten längst wahrgenommen habe.
Fragend sieht mich meine Lehrerin an, als ich mit großen Augen das Handy vom Ohr nehme und einfach aufstehe und gehe.
"Jane, was war denn?" fragt sie und kommt mir nach.
"Meine Mutter ist im Krankenhhaus, mehr habe ich nicht verstanden." antworte ich ihr in Gedanken versunken.
"Soll ich dich fahren? Das nächsten Krankenhaus ist ein ganzes Stück weg und ein Taxi möcht ich dir gern ersparen." bietet sie an und hält bei meinem schnellen Schritt wirklich gut mit.
"Das wäre nett."
"Aber gerne doch."
Wir verlassen den Park schnell und da sie ziemlich nah des Eingangs geparkt hat, sind wir auch zügig auf dem Weh zum Krankenhaus, in das meine Mom hoffentlich eingeliefert wurde. Es gibt schließlich mehr als eins hier.
Als wir an dem Krankenhaus ankommen, steige ich schon mal aus und Mrs. Kruger macht sich auf die Suche nach einem Parkplatz.
Während der Fahrt habe ich ihr dauernd gesagt, dass sie nicht mitkommen muss, doch sie bestand darauf. Sie hat fast so einen Dickkopf, wie ich.
Ich renne ins Krankenhaus und renne dabei sogar fast noch ein Pärchen um, dass sich etwas lautstark über mich beschwert, mir aber ziemlich egal ist. Völlig planlos und ziemlich hektisch sehe ich mich in der Empfangshalle um und halte Ausschau, ob ich meinen Dad irgendwo sehe.
Es dauert ein wenig, aber dann sehe ich ihn einer Wand lehnen.
Das Gesicht in den Händen vergraben und bei diesem Anblick befürchte ich schlimmes.
"Dad?" frage ich vorsichtig und lege ihm meine Hand auf die Schulter.
Langsam hebt er den Kopf und sieht mich an.
Er hat nicht geweint, aber er sieht fertig aus. Das beruhigt mich jedoch nur ein wenig.
"Was ist denn passiert?"
"Ich hab den Müll heruntergebracht, dann kam ich hoch und da lag sie auf dem Boden. Ich weiß nicht, was passiert ist, aber wäre dieser Tom nicht gewesen, dann hätte ich bei meiner Sorge noch vergessen Hilfe zu rufen, du weißt doch wie überfordert ich mich allem bin und dann auch noch so etwas." sagt er und wird plötzlich blass.
"Setz dich besser." sage ich und stütze ihn bis zu einer Stuhlreihe ihm Gang.
Dort setzen wir uns hin.
"Tom? Was hat er denn getan?"
"Er hat mich wohl aufschreien gehört, jedenfalls stand er plötzlich da und war schon dabei den Krankenwagen zu rufen. Ich muss ihm, wenn wir Zuhause sind, wirklich danken." sagt mein Vater und stützt sich auf seinen Oberschenkeln ab.
Ich wende mich von meinem Dad ab und lasse mih auf denn ungewöhnlich bequemen Stuhl nach hinten fallen.
So langsam wird es mir wirklich unheimlich mit ihm, aber ich danke ihm.
"Und? Weiß man schon etwas?"
Etwas aus der Puste kommt meine Lehrerin bei uns an und nimmt neben mir Platz.
Ich schüttel den Kopf.
"Ich versteh das nicht. Als ich von Zuhause weg bin, da ging es ihr noch gut und scheinbar auch, als mein Dad nach unten ging, wegen dem Müll und dann kommt er hoch und sie liegt einfach da?"
"Vielleicht nur der Kreislauf oder so etwas. Man sollte jetzt nicht schon den Teufel an die Wand malen und sich das Schlimmste vorstellen, Jane." sagt sie und beugt sich dann nach vorne.
"Sie auch nicht, Herr Fisher, haben sie gehört."
Diese Frau kümmert sich um jeden. Sie ist viel zu gut, um in einer Schule wie meine zu unterrichten. Diese Schule verdient sie überhaupt nicht.
Mein Dad sieht sie an und nickt.
"Wer sind sie überhaupt?"
"Oh, Mrs. Kruger, ich bin die Biologielehrerin ihrer Tochter und sicherlich bin ich schon bekannt." sagt sie, reicht dabei meinem Dad die Hand, die er auch kurz nimmt und zwinkert mir zu.
"Wahrscheinlich erzählt sie ihnen oft, dass ich sie mit dem ein oder anderen Ratschlag nerve."
"Hat sie." sagt er knapp und wendet sich sofort wieder dem Boden zu.
Ihm ist nicht nach großen Gesprächen, er ist ganz woanders und ich kann es vollkommen verstehen. Ich würde sogar mein letztes Geld verwetten, dass sie sich kurz bevor das passiert ist noch gestritten haben, er nur zum Abregen nach unten ist und sich jetzt ein schlechtes Gewissen hat.
"Es wird schon alles gut sein." sagt sie und lehnt sich auf dem Stuhl zurück.
Und es vergehen kaum fünf Minuten, bis der Arzt endlich aus dem Zimmer kommt und meinen Dad ins Zimmer bittet und mein Dad mir verbietet mitzukommen.
Als wüsste er doch mehr, als er mir sagen möchte.

Am liebsten trage ich das Lächeln, welches du mir gibstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt