Eine folgenschwere Entscheidung

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Ich aß schnell mein Brötchen aus, trank etwas angeekelt den schon kalten Tee und ging ins Bad. Als ich in den Spiegel sah zuckte ich zurück. Das war doch nicht ich! Was mir da entgegen schaute war eine Mischung aus Panda, Monster und Struwelpeter! Sprich: ich sah furchtbar aus. So konnte ich auf keinen Fall rausgehen. Ich wusch mir erst mal das ganze verlaufene Makeup ab. Jetzt sah ich schon mehr wie ich aus, aber immer noch total fertig. Ich kämmte meine Haare und verdeckte meine Augenringe mit Concealer (ist das das richtige Makeup? Ich verwechsel das immer🙄😅). Das musste gehen. Ich zog mir ein T-Shirt und eine Jogginghose an. Als ich meine Schuhe anzog sah ich mein Cap, was ich schon richtig lange nicht mehr getragen hatte. Ich setzte es mir auf den Kopf und zog es mir tief ins Gesicht. Perfekt, so würde mich wenigstens niemand erkennen. Als ich vor die Tür trat strahlte mir die Sonnen entgegen. Ich wandte mich nach links. Dort würde ich nach 500 Metern zu einem Park kommen, in dem ich ein bisschen rumlaufen konnte.
Im Park angekommen eilte ich schnell in den kühlen Schatten. In der Sonne waren es locker 30 Grad! Aber im Juli war das nur logisch. Ich sog die frische Sommerluft in mich ein und hob das Gesicht zu den Baumkronen. "Miri?" Ich sprang ein Stück in die Luft und senkte schnell den Kopf. "Miri? Ich hab dich doch erkannt! Hey, ich weiß, dass du es bist.", lachte nun die Stimme. >>Verdammt! <<, fluchte ich in Gedanken. Ich hob mit einem aufgezwungenen Lächeln meinen Kopf. Ein paar Meter von mir entfernt standen Cengniz, Jan und Andre. Andre, der mich erkannt hatte kam auf mich zu und blieb vor mir stehen. Ich musste meinen Kopf noch weiter heben um ihm in die Augen schauen zu können. Er scannte mich und schüttelte kritisch den Kopf. "Du siehst schrecklich aus!", sagte er. Ich zog eine Grimasse: "Danke." Er lachte schnaubend und zog mich in seine Arme. Ich musste zugeben, am Anfang hatte ich mich überhaupt nicht gefreut den Jungs zu begegnen, aber jetzt in Andres Armen war ich doch froh, etwas Trost zu finden. Ich schlang die Arme um ihn und vergrub mein Gesicht in seiner Schulter. Er wirkte kurz überrascht, streichelte mir dann aber beruhigend über den Rücken. Das brachte meine Dämme wieder zum brechen. Ich heulte los. "Hey...hey.", flüsterte Andre hilflos. Jan und Cengniz, die das Geschehen bisher von der Ferne beobachtet hatten kamen nun auch zu uns und umarmten mich und Andre. Ich musste kurz lachen, weinte aber direkt weiter. Irgendwann beruhigte ich mich wieder und Jan und Cengniz ließen uns los. Ich löste mich langsam von Andre und strich mit meiner Hand über sein T-Shirt. "Tut mir leid.", murmelte ich und deutete auf den nassen Fleck auf seinem T-Shirt. Andre winkte ab: "Passt schon." und lächelte mich an. Ich lächelte zittrig zurück. Jan reichte mir ein Taschentuch. Ich lachte kurz und schnaubte in das Papiertaschentuch. Danach wischte ich mit meinem Arm meine Tränen weg. "Danke Jungs.", bedankte ich mich leise bei ihnen. "Kein Ding.", antwortete mir nun Cengniz. "Aber dafür musst du uns erklären, warum du geweint hast.", mahnte er. Ich nickte und die drei Jungs führten mich zu einer nahen Bank. Jan holte noch schnell die Sachen der Jungs und setzte sich dann vor mich auf den Boden während die anderen beiden jeweils Rechts und Links von mir saßen. Ich atmete nochmal tief durch und begann unter den erwartungsvollen Blicken der Jungs an zu erzählen: "Also ehrlich gesagt habe ich gar nicht so wirklich eine Ahnung warum ich seit gestern nur am heulen bin. Ja, ich habe Melina gestern mehr als jemals zuvor wehgetan und das tut mir selber weh, aber ich hätte niemals gedacht, dass es so sehr weh tut. Alles in meiner Wohnung erinnert mich an sie und bringt mich zum weinen. Gleichzeitig will ich sie trösten, ihr aber auch die Zeit geben, die sie braucht. Was sie da gestern für mich auf die Beine gestellt hat war das romantischste und aufwendigste, dass jemals jemand für mich getan hat. Ich hätte sie dafür wirklich knutschen können." Bei diesen Worten wechselten die Jungs wissende Blicke, doch ich bekam es gar nicht so recht mit, denn ich fuhr direkt weiter fort: "Aber als sie mir gesagt hat, dass sie in mich verliebt ist, da war plötzlich alles anders zwischen uns. Ich liebe Jungs, schließlich hatte ich auch nur Sex mit Jungs, also besteht da gar keine Frage." Wieder wechselten die Jungs Blicke. Diesmal bekam ich es mit. "Was sollen diese Blicke?", fragte ich skeptisch und leicht eingeschnappt. "Naja...nur weil du bisher nur Sex mit Jungs hattest muss das nicht heißen, dass du hetero bist. Viele bemerken ihre Sexualität bevor sie mit dem gleichen Geschlecht Sex hatten.", antwortete Jan mir verlegen. Ich wurde wütend. "Soll das etwa heißen, ihr denkt ich wüsste nicht über meine Probleme Bescheid?!", rief ich  und stand auf. Auch die Jungs standen schnell auf. "Nein! Aber du bist gerade sehr verwirrt. Alles ist so neu, da bekommt man schnell mal Angst.", sagte Cengniz. Ich schüttelte fassungslos den Kopf: "Das gibt's doch nicht!" Ich lachte trocken: "Ich geh jetzt!" Ich schob mich an Andre und Jan vorbei und lief Richtung Straße. Die Jungs hielten mich nicht auf. Erst, als ich fast die Straße erreicht hatte hörte ich noch einmal die Stimme von Jan: "Schau dir wenigstens Melinas Video an, dass sie heute hochgeladen hat!" Ich hielt nicht an oder schaute zurück, doch es durchfuhr mich eiskalt. Melina hatte das neue Video hochgeladen! Was sie wohl gesagt hatte? Hatte sie mich erwähnt? Ich rannte die Treppen zu meiner Wohnung hoch und dann ins Schlafzimmer. Dort schnappte ich mir meinen Laptop und schmiss mich aufs Bett.
Endlich hatte ich YouTube aufgerufen und Melinas Youtubenamen eingegeben. Das neue Video wurde ganz oben aufgelistet. Nervös klickte ich es an und wartete auf ihre Stimme. Dann schaute ich mir dasselbe Video, wie ihr alle an. (Außer,dass Melina in meiner Geschichte noch blaue Haare hat...ich hab die Zeit bisselgerafft) Am Ende des Videos war ich total geflasht. Ja, ich hatte schon gewusst, dass Melina lesbisch war, aber nochmal die Hintergründe und ihre Gefühle zu erfahren war etwas ganz anderes. Doch eine Frage hatte ich noch: Warum zog mein Bauch sich zusammen, wenn ich daran dachte, dass Melina schon Affären mit anderen Frauen gehabt hatte? Vielleicht noch, als sie mich schon kennengelernt hatte? Hatten die Jungs womöglich Recht? War ich wirklich so verwirrt über meine Gefühle? Naja...eins musste ich mir eingestehen: Melina hatte meine ganze Welt auf den Kopf gestellt. Ich atmete tief ein und aus, legte das Handy weg und rieb mir kurz übers Gesicht. Dann stand ich auf und ging ins Schlafzimmer.Dort holte ich eine Sporttasche aus dem Schrank und füllte sie mit Klamotten für zwei Tage. Ich hatte einen Entschluss gefasst: ich würde zu meinen Eltern fahren. Sie waren gerade die einzigen Personen, die mir in dieser Situation helfen konnten. Ich packte noch mein Waschzeug ein und machte mir ein wenig Proviant zurecht. Dann ging ich zurück ins Wohnzimmer und schaute auf meinem Handy nach, wann der nächste Zug zu meinem Zuhause fuhr. In einer Stunde fuhr der letzte für heute vom Hauptbahnhof ab. Mit dem Zug würde ich ungefähr vier Stunden brauchen, also wäre ich gegen Neunzehn Uhr Zuhause. Das war akzeptabel und so prüfte ich noch einmal, ob ich alles eingepackt hatte, machte meine Wohnung einbruchfest und ging aus der Tür. Auf dem Bahnhof war nicht viel los, sodass ich schnell an mein Ticket kam. Bevor ich mich auf den Weg zu meinem Bahnsteig machte holte ich mir noch einen Crêpe. Irgendwie gehörte das für mich dazu, wenn ich auf einem Bahnhof war, auch wenn ich Proviant hatte. Auf dem Bahnsteig musste ich nicht lange warten, bis der Zug einfuhr und ich einsteigen konnte. Zehn Minuten später fuhr er los.
Die Fahrt nach Hause verlief ganz ruhig. Ich las in meinem Buch, hörte Musik oder döste vor mich hin. Vier Stunden später kam ich endlich auf dem Bahnhof meiner Heimatstadt an. Als ich ausgestiegen war drehte ich mich einmal um meine Achse. Unglaublich, wie viele Erinnerungen in mir hochkamen. Jeder Pflasterstein schien mit einer Erinnerung verbunden zu sein. Gleichzeitig schön und gruselig. Ich schüttelte den Kopf und ging zu einem Taxi. Ich zeigte dem Taxifahrer meine kleine Tasche und er bedeutete mir, dass ich mich gleich auf den Beifahrersitz setzen konnte. Mit der Tasche auf den Knien nannte ich ihm die Adresse und er fuhr los. Er war ungefähr in meinem Alter und passte irgendwie gar nicht in die Gegend. Er hatte eine CD eingelegt und trommelte mit den Fingern auf seinem Lenkrad den Rhythmus mit. Ich betrachtete ihn eine Weile, bis er sich zu mir umdrehte und fragte was los sei. Ertappt blickte ich nach vorn, antwortete ihm aber: „Ich kann mir nur nicht vorstellen, was ein junger dynamischer Mann wie Sie hier machen. Zieht es Sie nicht in die Welt?"

Melinas und meine GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt