Es macht Klick!

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Er lächelte. „Nein, so bin ich nicht mehr. Ich habe hier meine Familie, ein schönes Umfeld und eine vernünftige Arbeit - viel mehr brauche ich nicht zum Leben." Erstaunt sah ich ihn an. „Aber wollen Sie denn keine Abenteuer erleben?" „Die habe ich zur Genüge in meinen Büchern." >>Hm...was für ein komischer Kauz. Ein wirklich langweiliges Leben, was er sich da ausgesucht hat. Aber wenn es ihn glücklich macht...<< In dem Moment begann der Fahrer wieder zu sprechen: „Ich glaube, ich weiß was Sie gerade denken. Was für ein langweiliges Leben! Aber wissen Sie, ich habe in meiner Kindheit schon sehr viel erlebt. Mein Vater war Kapitän und hat mich auf seinen Reisen mitgenommen. So habe ich manchmal in einem Jahr drei Kontinente besucht. Dadurch war ich natürlich auch wenig Zuhause und diese Zeit möchte ich jetzt nachholen." Das war eine überraschende Wendung. „Würden Sie mir ein bisschen mehr erzählen?", bat ich ihn neugierig und so erzählte er mir während der restlichen Fahrt allerhand interessante Geschichten über fremde Kulturen.
Als wir vor meinem Elternhaus hielten war ich versucht, ihn um einen Umweg zu bitten, aber dann erinnerte ich mich, warum ich hier war. Also stieg ich aus und verabschiedete mich mit einem Handschlag von Daniel. „Bis vielleicht mal wieder!", rief er mir zum Abschied zu und brauste davon. Da bemerkte ich, dass ich gar nicht bezahlt hatte. Ich wollte ihn zurück rufen, aber er war schon hinter der nächsten Ecke verschwunden. Ich lächelte noch immer, als ich an der Haustür klingelte. Als ich Schritte hörte begann mein Herz schneller zu schlagen. Ich hatte meine Eltern schon so lange nicht mehr gesehen! Meine Mutter öffnete die Tür und fiel vor Überraschung fast um. Lachend machte ich einen Schritt nach vorn und zog sie in eine feste Umarmung. „Miriam.", murmelte sie noch immer ganz verwirrt und ich lachte noch einmal. „Überraschung!", rief ich. „Ich dachte, ich besuch euch mal für ein paar Tage." Nun kamen die Worte endlich richtig an und meine Mutter umarmte mich vor Freude gleich nochmal. „Gabi, wer ist denn da?", hörten wir plötzlich eine Männerstimme aus dem Wohnzimmer fragen. Wir sahen uns an. „Wie geht es ihm?", fragte ich meine Mutter leise. „Heute geht es ihm sehr gut. Als hätte er gewusst, dass du kommst. Wir haben sogar einen längeren Spaziergang als sonst gemacht! " „Das klingt wunderbar!", freute ich mich und hing meine Jacke auf die Garderobe. Dann ging ich in das Zimmer aus dem die Stimme gekommen war. Mein Vater saß in einem hohen Armsessel, mit den Beinen auf einem niedrigen Hocker und las ein Buch. Als ich in den Türrahmen trat blickte er auf und rief freudig: „Miriam! Wie schön, dass du da bist! Komm her, lass dich ansehen!" Lächelnd kam ich zu ihm und umarmte ihn. Er hielt meine Hände fest und musterte mich von Kopf bis Fuß. „Du siehst müde aus und die Farbe deiner Augen gefällt mir gar nicht! Du gehst am besten gleich ins Bett und morgen erzählst du uns, warum du hier bist." Ich war nicht verwundert. Mein Vater hatte schon immer einen Blick dafür gehabt, wie es meiner Mutter oder mir ging. Wir konnten nichts vor ihm verbergen. Wortlos gehorchte ich ihm und drückte ihm einen Gute-Nacht-Kuss auf die Wange. Auch meine Mutter bekam einen, als ich an ihr vorbei in mein Zimmer ging, welches im ersten Stock lag. „Bis morgen.", rief ich, bevor ich hinter der Biegung der Treppe verschwand. In meinem Zimmer hatte sich nichts verändert. Meine Mutter hatte sicherlich ab und zu mal sauber gemacht, aber ansonsten hatte sie nichts angefasst. Das liebte ich so an meiner Mutter: sie akzeptierte meine Privatsphäre vollkommen. Mit einem Seufzer ließ ich mich aufs Bett fallen und schlief binnen weniger Minuten ein.
Am nächsten Morgen wachte ich nach einem tiefen, erholsamen Schlaf auf. Ich kuschelte mich ein wenig tiefer in die Decke mit der mich meine Mutter wahrscheinlich gestern Abend noch zugedeckt hatte. Dann stand ich auf und wechselte die Klamotten. Ich zog einen bequemen Pullover und eine Leggins an. Ich putzte noch schnell meine Zähne, um den ekligen Geschmack aus meinem Mund zu vertreiben und ging dann nach unten in die Küche, wo mich meine Eltern gut gelaunt begrüßten. Ich erwiderte die Begrüßung mit einem Kuss auf die jeweilige Wange. Ich glitt auf einen der Stühle und meine Mutter stellte einen Stapel Eierkuchen auf den Tisch. „Mein Lieblingsfrühstück! Danke!" und mit Heißhunger fiel ich über die Eierkuchen her. Als ich mein Frühstück beendet hatte lehnte ich mich zufrieden zurück: „Das war köstlich! Lange nicht mehr so lecker gefrühstückt!" Meine Eltern bedachten mich mit einem liebevollen Blick, doch dann wurde mein Vater ernst: „Miri, Schatz, so sehr wir uns auch freuen, dass du da bist, glauben wir dennoch nicht, dass du uns einfach einen Überraschungsbesuch abstatten wolltest. Denn glaub ja nicht, wir hätten vergessen, dass dein Urlaub erst in vier Wochen geplant war! Also, warum bist du hier?" Ich wusste kurz nicht, was ich sagen sollte. Auch wenn mein Vater ganz ruhig gesprochen hatte und mich keineswegs ermahnen wollte waren die Worte wie ein Schlag ins Gesicht. Denn jetzt realisierte ich, wie weit mich Melina getrieben hatte. Ich war hier bei meinen Eltern, 500 km von Köln entfernt und dass nur wegen einer Person. Konnte Freundschaft so weit gehen?
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als meine Mutter, welche nun neben meinem Vater saß, ihre Hand auf meine legte: „Was ist los Schatz?" Ich atmete tief durch und begann zu erzählen. Ich erzählte ihnen, wie ich Melina kennengelernt hatte, wie wir uns angefreundet hatten und immer enger zusammen wuchsen. Ich erzählte ihnen von der Gangtour, wie Melina sich von mir entfernt hatte und wie wir uns wieder versöhnt hatten. Und zu allerletzt schilderte ich ihnen, aber nur grob, Melinas Liebesgeständnis. Ich erzählte ihnen nicht alles, da es mir ein wenig peinlich war, so etwas meinen Eltern zu erzählen und außerdem wollte ich die Details nur für mich haben. Als ich geendet hatte sahen meine Eltern mich mit großen Augen an. Ich lachte fast, aber meine Brust war so zusammengeschnürt, dass es mir im Hals stecken blieb. „Ja...und seitdem geht es mir extrem schlecht. Immer, wenn ich an sie denke muss ich fast oder wirklich weinen und ich möchte gleichzeitig sofort zu ihr, um sie zu trösten und andererseits will ich ihr Zeit geben. Ich hab einfach keine Ahnung, was mit mir los ist und was ich machen soll. Könnt ihr mir helfen?", fragte ich schließlich leise und verzweifelt. Meine Eltern sahen sich an und schließlich lächelten sie. Verwirrt sah ich sie an. Was ging hier vor? Mein Vater sah mich wieder an und sagte: „Du liebst sie." Wieder fühlte es sich an, als hätte er mich geschlagen. Ich blinzelte ein paar Mal schnell und wollte schon verneinen, doch dann fielen mir Melinas und meine Küsse ein. Beide Male war ich extrem aufgeregt gewesen und mein Bauch hatte Purzelbäume ohne Ende geschlagen, nachdem sich unsere Lippen berührt hatten wollte ich sie nie mehr missen und wenn wir uns dann doch wieder trennen mussten war ich immer traurig gewesen. Und dann war da noch die Knutscherei in der Disco...in diesem Moment hatte ich sie wirklich gewollt! Wenn immer Melina mir sehr nahe kam hatte ich Schmetterlinge im Bauch und wenn wir uns mal nicht sehen konnten war ich sehr traurig. Tief im Inneren hatte ich immer gewusst, dass es nur Melina brauchte, um mich aufzumuntern und glücklich zu machen. Und als sie gesagt hatte, sie würde mich nicht lieben, hatte ich geweint. Eigentlich hätte ich schon da merken sollen, dass ich in sie verliebt war. Und bei ihrem Liebesgeständnis wollte ich sie im ersten Moment umarmen und küssen, aber dann hatte ich mich anders entschieden.
Bis jetzt hatte ich die Gefühle verdrängt, weil ich nicht wahrhaben wollte, dass ich mich in eine Frau verliebt hatte. Ich schätze, ich hatte Angst, davor, was meine Eltern sagen würden, meine Freunde und allgemein die Gesellschaft. Aber das war jetzt vorbei. Ich hatte realisiert, dass ich Melina liebte und ich wusste, dass sie mich liebte und solange das so blieb, war vollkommen egal, was andere von uns dachten. Außerdem hatte sich jetzt eine ganz andere Angst in mir breit gemacht...ich hatte Angst, Melina zu verlieren. Erst jetzt fiel mir, dass meine Eltern immer noch vor mir saßen und auf eine Antwort warteten. „Ihr habt recht...ich liebe sie!". Als ich diese Worte zum ersten Mal aussprach war es als fiele eine Last von mir ab, die mich schon lange daran gehindert hatte frei zu atmen. Aber was dachten meine Eltern? Sie lächelten mich nur an und sagten nichts. „Was sagt ihr dazu? Ist es für euch okay, wenn ich eine Frau liebe?", fragte ich nervös. Meine Eltern lächelten noch breiter. „Liebe ist Liebe. Das Geschlecht ist vollkommen egal und solange ich meine Enkelkinder bekomme, ist alles okay.", sagte meine Mutter und zwinkerte mir mit einem Auge zu. Ich sah meinen Vater an und er nickte. Ich fing an zu weinen: „Oh Mama, Papa! Ich hab euch so lieb!", ich sprang von meinem Stuhl, umrundete den Tisch und drückte sie fest an mich. Sie lachten und erwiderten die Umarmung. Nachdem wir uns wieder lösten sagte mein Vater: „Kindchen, Kindchen, Kindchen, du setzt meinem Herzen ganz schön zu! Aber auf eine gute Weise!", beeilte er sich zu sagen, als meine Mutter und ich ihm entsetzte Blicke zuwarfen.

Melinas und meine GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt