Das Video

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In den nächsten Wochen änderte sich nicht viel an meiner Stimmung. Ich kam unter der Woche jeden Tag zur Arbeit und erledigte meine Aufgaben zur Zufriedenheit von Ramona. Dort wusste ich mich zu benehmen, grüßte jeden und setzte ein leises Lächeln auf. Doch kaum hatte ich Feierabend war es, als würde ein Schalter umgelegt werden. Das Lächeln verschwand, auf den Weg zur Tür verabschiedete ich mich nur flüchtig und auf dem Heimweg sah ich mit leerem Blick aus dem Fenster oder starrte vor mich hin. Ich hörte nicht mal Musik oder machte etwas an meinem Handy. Es war, als wäre ich von der restlichen Welt losgelöst und sah alles wie durch ein Fenster. Zuhause angekommen machte ich mich direkt bettfertig und ging ins Bett. Nur selten aß ich etwas, denn ich hatte keinen Hunger. Im Bett starrte ich entweder die Decke an, bis ich einschlief, weinte oder bekam einen Wutanfall. Meistens weinte ich dann, wenn ich mich allzu deutlich an Melina erinnerte oder im Internet Bilder und Videos von ihr gesehen hatte. Passierte das auf der Arbeit oder im Laufe des Tages, wenn ich nicht Zuhause war unterdrückte ich meine Gefühle, doch dann brachen sie Zuhause umso heftiger aus.

Am Anfang boten mir meine Freunde an, dass ich über ihr Handy Kontakt zu Melina aufnehmen könnte. Doch ich lehnte immer ab. Ich wollte nicht ihre Freundschaft zu Melina riskieren. Ich hatte mir das alles selber zuzuschreiben, auf keinen Fall würde ich sie da mit reinziehen!
Als ich ihre Hilfe immer wieder ablehnte versuchten sie mich anderweitig abzulenken, indem sie mich zum Feiern, Mädelsabend oder einem ganz unverbindlichem Treffen einluden. Doch auch darauf reagierte ich nicht. So gaben sie es irgendwann auf und nur noch Dagi und Shirin kamen ab und zu vorbei, brachten mir etwas zu essen oder brachten etwas Ordnung in meine Wohnung, denn auch darauf achtete ich nicht mehr.
Und so geschah es, dass ich, obwohl ich mich bemühte alles normal aussehen zu lassen, immer mehr verwahrloste. Meine Klamotten hingen an mir herunter, meine Haare waren stränig und ich hatte fette Augenringe unter den Augen.
Das führte dazu, dass selbst der viel beschäftigten Ramona mein Zustand auffiel.
Eines Tages nahm sie mich zur Seite und fragte, ob es mir gut ginge. Schnell nickte ich mit dem Kopf und sagte, dass ich in letzter Zeit einfach nicht so gut schlafen konnte. Mit dieser Antwort ließ sie mich erstmal gehen. Doch am nächsten Tag bat sie mich zu ihr ins Büro. Nervös speicherte ich meine Arbeit und folgte ihr in ihr Büro. Tausend Gedanken wirbelte in meinem Kopf. Würde sie mich feuern? War sie nicht zufrieden mit meiner Arbeit? Hatte ich etwas vergessen oder falsch gemacht?
In ihrem Büro deutete Ramona ohne etwas zu sagen auf einen der gemütlichen Sessel in einer kleinen Sesselgruppe rund um einen niedrigen Glastisch. Ich setzte mich und entlastete erleichtert meine zitternden Knie.
Argwöhnisch beobachtete ich Ramona, wie sie hinter ihrem Schreibtisch kramte und schließlich mit zwei Gläsern und einer Flasche Wodka wieder hervor kam. Nun sah ich sie mit hochgezogener Augenbraue fragend an. Seit wann gab man einem Angestellten vor seiner Kündigung ein Glas Wodka?
Ramona stellte die Gläser und die Flasche auf den Tisch und setzte sich in den Sessel mir gegenüber. "Zuerst einmal. Entspann dich, ich werde dich nicht feuern." Erleichtert atmete ich auf und sank in meinen Sessel. "Ich möchte mit dir reden.", fuhr Ramona fort. Sofort war ich wieder in Alarmbereitschaft. "Worüber denn?", fragte ich daher. "Über deinen Zustand. Ich mache mir Sorgen. Klamotten, die einst deine Figur wunderbar betonten hängen nun an dir herab, du hast Augenringe, die ich trotz des Makeups sehe und deine Haare sind stränig." Unangenehm berührt fuhr ich mir durch die Haare. "Du arbeitest erst seit ca. einem halben Jahr bei uns, aber ich schätze dich sehr als ein Mitglied unserer Gemeinschaft. Als ich dich vorhin fragte, wie es dir geht und wie viel du in letzter Zeit geschlafen hast bist du mir ausgewichen. Also blieb mir nichts anderes übrig, als Dagi zu fragen, welche mir erzählte, dass Melina und du euch ineinander verliebt habt, du deine Gefühle aber zu spät erkannt hast und sie schon in Island war." Jedes ihrer Worte war wie ein neuer Schnitt in mein ohnehin schon zerfetztes Herz. "Als du sie am Flughafen verpasst hast hast du direkt die Hoffnung aufgegeben. Dabei gibt es so viele Möglichkeiten, ihr deine Gefühle zu sagen." "Aber sie blockt doch alles ab!", brach es aus mir heraus. "Sobald ihre Freunde sie auf mich ansprechen geht sie offline oder blockiert sie sogar, meine Nachrichten liest sie erst gar nicht und ihre Adresse will sie auch niemandem verraten  sodass ich einen Brief schreiben könnte. Auf sämtlichen sozialen Seiten hat sie mich auch blockiert." "Hast du es schon mal über YouTube probiert?" Ich zog die Augenbraue hoch. Sie schnaubte lachend und erklärte:"Du kannst doch ein Video machen, in dem du eure Geschichte erzählst und was du für sie empfindest." Entsetzt schüttelte ich den Kopf. "Das kann ich nicht! Was glaubst du denn, warum ich hinter der Kamera stehe? Ich kann mich nicht vor eine Kamera setzen und einfach drauflos reden. Vor allem, wenn ich weiß, dass es nach dem Online stellen tausende von Leuten sehen werden." "Ist selbst Melina dir das nicht wert?" Das war gemein. Melina bedeutete die Welt für mich, aber ich war ein scheiß Angsthase! Ich war in meinem Leben so gut wie noch nie über meinen Schatten gesprungen. "Das war nur ein Vorschlag.", sagte Ramona in dem Moment. "Du kannst ja darüber nachdenken. Wir helfen dir auch gerne alle bei den Vorbereitungen und beim Hochladen." Als ich nichts sagte stellte sie ihr Glas ab und sagte:"Trink in Ruhe dein Glas aus, dann kannst du für heute Schluss machen und dich mal richtig ausschlafen. Komm morgen, wenn du dich dazu in der Lage fühlst. Ansonsten kannst du dich gerne krank melden." Dann verließ sie das Büro und hinterließ eine ziemlich aufgewühlte Miriam. Irgendwann trank ich mein Glas aus, holte meine Sachen und machte mich auf den Heimweg. In der Bahn merkte ich zum ersten Mal seit Wochen, wie erschöpft ich eigentlich war. Mit letzter Kraft schaffte ich es in meine Wohnung. Dort sank ich ins Bett und fiel sofort in einen tiefen Schlaf.

Als ich meine Augen  irgendwann länger als 5 Sekunden öffnete schaute ich auf den Wecker. Es war 15 Uhr am nächsten Tag. Ich hatte selbst das Klingeln des Weckers überhört! Ich griff nach meinem Handy und meldete mich für den heutigen Tag krank. Dann streckte ich mich ausgiebig und begab mich in die Dusche. Dort verbrachte ich ca. eine halbe Stunde, 25 Minuten länger als die letzten Wochen, in denen ich meine Harre nur schnell eingeseift hatte und dann wieder direkt ins Bett gegangen war. Als ich wieder rauskam dampfte das ganze Badezimmer und ich wischte den beschlagenen Spiegel ab um mich betrachten zu können. Meine Augen lagen weniger tief in ihren Höhlen, ich war noch immer blass, hatte aber eine leichte Röte auf den Wangen. Nur meine Augen ließen noch zu wünschen übrig, sie blickten mich immer noch stumpf und leer an. Doch damit konnte ich mich abfinden. Ich wickelte meine Haare in einen Turban, schlang einen Bademantel um mich und ging in die Küche. Dort machte ich mir einen Kaffee und buck mir ein Brötchen auf. Gott sei dank hatte mir Shirin letztens welche gebracht. Als es fertig war beschmierte ich es mit einer fetten Schicht Nutella und setzte mich auf die Couch. Dort sah ich mir seit keine Ahnung wie vielen Wochen mal wieder eine Folge Big Bang Theory an. Und ein Wunder geschah: ich lachte an ein paar Stellen sogar leicht. Am Ende der Folge kamen mir Ramona Worte wieder in den Sinn. Und plötzlich kam es mir gar nicht mehr so schlimm vor. Sie hatte Recht, ich hatte viel zu schnell aufgegeben. Natürlich konnte auch das wieder völlig umsonst sein, aber probieren konnte ich es ja. Ich stellte das Geschirr in die Küche. Föhnte meine Haare, schminkte mich, zog mir etwas an und stellte dann meine Kamera im Wohnzimmer auf. Mit ein paar Lampen erhellte ich die Stelle wo ich sitzen sollte und dann startete ich das Video."

Nachdem Miriam die ganze Geschichte erzählt hatte holte sie einmal tief Luft und lächelte: "Melina. Solltest du dieses Video jemals sehen...erstmal entschuldige, dass ich so einen großen Einblick in dein Privatleben gegeben habe. Aber für mich war es der schönste Lebensabschnitt meines Lebens und unsere Geschichte ist es einfach wert erzählt zu werden. Und zweitens...ich liebe dich! Ich liebe dich so unfassbar sehr, dass glaubst du gar nicht! Eigentlich wollte ich diese Worte, wenn ich sie zum ersten Mal sage in dein Gesicht sagen, aber ich habe dich vertrieben und das ist jetzt meine Strafe. In der Zeit, in der wir fast jeden Tag miteinander verbracht haben habe ich mich so komplett gefühlt, wie noch nie. Leider habe ich mir immer eingeredet, dass wir nur beste Freunde sind. Aber das Gefühl, dass du mir gegeben hast kann nur Liebe sein. Du bist die Seite, die mir immer gefehlt hat. Aber ich habe es zu spät erkannt und erst akzeptiert, nachdem ich zu meinen Eltern gefahren bin. Nachdem wir dich am Flughafen verpasst haben habe ich einfach viel zu schnell aufgegeben. Ich hätte einen späteren Flug nehmen sollen und irgendwie hätte ich dich gefunden! Dafür muss ich mich entschuldigen. Ich habe dich so sehr verletzt, als ich nach deiner Liebesoffenbarung einfach weg gerannt bin. Das verdient kein Mensch und du am allerwenigsten, weil du dir so viel Mühe gegeben hast und für mich die einzigartigste Person auf der ganzen Welt bist.
Ich habe es absolut nicht verdient, dass du mir verzeihst, aber ich möchte dass du weißt, was ich für dich empfinde. Ich wünsche dir nur das Beste auf der Welt, dass du glücklich und erfolgreich bist, in allem was zu tust. Dass du deine Traumfrau findest und eine wunderbare Familie in deiner Traumheimat gründen kannst. Ich werde dich für immer in meinem Herzen tragen und diese Zeit als meine größte, schönste und doch schlimmste Lektion meines Lebens betrachten. Ich danke dir für alles, was du mir gegeben hast. Du hast einen neuen Menschen aus mir gemacht, hast mir neue Seiten an mir gezeigt und mir somit ein Leben ermöglicht, dass ich viel offener und freier leben kann.
Es wird noch lange dauern, bis ich wieder voll nach vorne schauen kann, aber ich bin zuversichtlich. Ich liebe dich Melina. Danke für alles." Mit diesen Worten beendete Miriam das Video und ihre Geschichte mit Melina.

FÜR ALLE, DIE SO EIN ENDE MÖGEN IST DIE GESCHICHTE  HIERMIT VORBEI.

ALLE ANDEREN: MEINE ZWEITE FANFIKTION FOLGT BALD. DORT ERZÄHLE ICH MEHR AUS MELINAS SICHT DIE GESCHICHTE WEITER.

ICH MÖCHTE MICH BEI ALLEN FÜR EURE TREUE, UNTERSTÜTZUNG, GEDULD UND MOTIVATION BEDANKEN. VIELEN VIELEN DANK! ICH LIEBE EUCH!

Melinas und meine GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt