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Ich stand am nächsten Tag wie erstarrt vor meinem Schrank. Meine Hand wollte nicht nach der Kiste greifen. Ich hatte mir vorgenommen, nie wieder diese Kiste zu öffnen oder sie auch nur anzuschauen. Vermutlich waren meine Schlittschuhe total unbrauchbar. Seufzend ging ich in die Knie und zog die Kiste hervor. Es war ein Umzugskarton aus Pappe welcher mit braunem Klebeband fest verschlossen war. Seufzend nahm ich eine Schere und öffnete das Paket. Es fühlte sich falsch an, ich hatte damit abgeschlossen. Kurz verharrte ich vor der, noch zugeklappten Kiste. Seufzend öffnete ich die Klappen und sofort erkannte ich die weißen Schlittschuhe. Zum Glück hatte ich die selbe Schuhgröße seit drei Jahren und die war, wie der Rest an mir, winzig. Zu meiner Verwunderung waren die silbernen Kufen makellos. Meine letzte Ausrede starb also gerade. Toll. Ich holte sie aus der Kiste und begutachtete sie kurz, den Kleidern darunter schenkte ich keine Aufmerksamkeit. Seufzend packte ich sie in meine Tasche und musterte mich kurz im Spiegel, welcher an der Innenseite des Schrankes befestigt war. Die schwarze Trainingshose lag eng an und war elastisch, das dunkelviolette Top fiel etwas weiter und darüber hatte ich die graue Jacke. Schnell schulterte ich die Tasche und machte mich auf den Weg. Dieser schien mir ein wenig wie der Weg zur Schlachtbank. In der Halle ließ ich meine Tasche auf eine Bank fallen und setzte mich daneben. Beim Anziehen der Schuhe ließ ich mir mehr Zeit als nötig. Ich kannte sie und wusste, wann ich sie perfekt gebunden hatte. Dann stand ich auf und lief zu der Musikanlage, wo ich mein Handy anschloss. Ich wählte ein Lied, dass ich in einer meiner simplen Choreografien benutzt hatte. Simpel war genau das, was ich im Moment brauchte. Vorsichtig setzte ich die erste Kufe auf das Eis. Es war nicht mehr ganz glatt, Yakov hatte hier schon Training gehabt und bevor ich mit Yuri nicht fertig war, schmissen sie die Eismaschine nicht an. Ebenso vorsichtig stellte ich das zweite Bein ebenfalls auf den rutschigen Untergrund. Ich hätte erwartet, dass meine Knie, vor allem das eine, zittern würden, doch ich stand fest und sicher. Ein Gefühl überrollte mich, welches sich irgendwie heimisch anfühlte. Mein Verstand wollte sich gegen dieses Gefühl wehren. Er schrie, ich sollte sofort diese glatte Höllenfläche verlassen. In meinem Kopf flogen Bilder, Erinnerungen an Schmerz, an Blut, welches über meinen Nacken floss, an Stille, dann Getuschel, dann Romy die auf das Eis lief, kurz darauf Sanitäter. Ich schüttelte den Kopf und drängte die Erinnerungen zurück. Langsam schob ich mich voran. Ich wollte ein paar Runden fahren, eh ich mit der Choreo anfing. Anfangs war ich noch sehr unsicher, doch die Bewegungen wurden flüssiger und vertrauter. Für einige Sekunden kam ich mir vor, als würde ich fliegen. Letztlich stellte ich die Musik an und fuhr in die Mitte. Kurz schloss ich die Augen und atmete tief durch. Mit der Musik setzten auch die Erinnerungen ein. Ich hatte das Gefühl die Scheinwerfer wieder zu spüren, die Menschen zu hören, die Spannung der Neugier zu fühlen und somit machte ich die ersten Schritte. Anfangs waren sie zögerlich, dann sicherer und letztlich flog ich wieder. Dann kam der erste Sprung. Ich löste mich vom Eis, ich schwebte durch die Luft, wirbelte um meine eigene Achse und traf dann wieder auf das Eis. Kurz strauchelte ich, fing mich aber kurz vor dem Fall, doch nur, weil ich mich gerade so mit den Händen abfangen konnte. Nicht besonders galant.
"Sicher dass du mich trainieren kannst?", rief eine Stimme und ich wirbelte herum. Die Blonde Nervensäge lehnte an der Bande und funkelte mich provozierend an. Seufzend glitt ich zu der Musikanlage und stellte sie ab, dabei blickte ich auf die Uhr meines Handys.
"Du bist zu früh.", gab ich dann von mir.
"Yakov motzt mich immer nur an, wenn ich zu spät bin.", spottete er.
"Ich bin aber nicht Yakov."
"Stimmt, du hast keine Ahnung von dem was du tust, weil du ein gescheiterte Läuferin bist, die sich nach einem Sturz zurückgezogen hat."
"Du hast mich gegoogelt.", stellte ich triumphierend fest.
"Hab ich gar nicht.", er wandte den Blick ab und ich glaubte, dass er etwas rot wurde aber das konnte auch nur Einbildung meines, siegestrunken, Gehirns sein.
"Hast du wohl."
"Benim dich nicht wie ein Kleinkind.", knurrte er.
"Sagt der Richtige. Ich schreie wenigstens nicht sinnlos die ganze Halle zusammen.", der Blonde biss sich auf die Lippe.
"Halt die Klappe."
"Wenn du sie hältst, Stalker.", antwortete ich provozierend.
"Wärst du kein Mädchen, würde ich dich schlagen."
"Himmel, über deine Aggressionsprobleme müssen wir nochmal reden.", stöhnte ich genervt. "Also, hast du deine Musikauswahl dabei?" Ich verließ das Eis und war sowohl enttäuscht als auch erleichtert. Er zückte sein Handy, während ich auf meine normalen Schuhe wechselte. Yuri schloss das Handy an und kurz darauf dröhnte ein rockiges Gitarrensolo aus der Anlage. War ja klar, er konnte nicht einfach etwas simples nehmen. "Willst du nicht etwas, na ja, Erprobteres nehmen?"
"Hast du dich auch nie.", patzte er zurück.
"Du hast mich doch gegoogelt.", er sah mich genervt an. "Ist ja gut. Hast du noch was?"

Eine halbe Stunde verstrich und sowohl Yuri als auch ich wurden immer gereizter.
"Willst du jetzt an allem herum meckern?!", er warf frustriert die Hände in die Luft.
"Ich kann ja nicht dafür, wenn du nur beschissene Vorschläge hast.", grummelte ich.
"Ach ja, dann mach du doch mal einen, Coach! Man, am liebsten würde ich hinschmeißen!"
"Hör auf mich anzubrüllen und gib mir dein Handy.", forderte ich. Mein Kopf tat weh und ich wollte Heim. Er knurrte, reichte mir dann aber sein Telefon. Ich scrollte durch die Playlist, bis ich auf ein interessantes Lied stieß. Kurz hörte ich hinein, dann sah ich auf und zog fragend die Augenbrauen nach oben.
"Meinetwegen.", grummelte der Blonde, wirkte aber doch ganz zufrieden. "Kann ich jetzt gehen."
"Oh Gott, ja, ich bitte darum.", stöhnte ich und warf ihm das Handy zu, dass er knapp und laut meckernd, fing, eh ich meine Sachen packte und die Halle verließ.

Broken Queen // Yuri on Ice FanFiction Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt