Die Güte des Lügen-Gottes

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Normalerweise wartet man höflicherweise mindestens ein paar Stunden, wenn nicht sogar einen Tag, bevor man eine neu erworbene Nummer von einem Typen einweiht. Nicht so Steve. Die erste Nachricht von ihm bekomme ich ungefähr in dem Augenblick, in dem ich mit Juli einen Fuß über die Türschwelle des Cafés setze. Hi, was hast du denn morgen so vor? Der echte Mann im Mond :D

Das geht ja schnell. Ich beschließe nicht zu antworten und stecke mein Handy zurück in meine Hosentasche. "Hast du jetzt noch was vor?" Julie schaut mich mit ihrem Bettelblick an. Ich reibe mir meine Augen. "Noch ein paar Telefonate und Hausaufgaben und so," murmele ich. "Wen musst du denn anrufen, dass es so lange dauern wird?" "Ähm." Ich bin geliefert. "Steve." Julie muss lachen. "Da hast du recht. Dafür solltest du sehr viel Zeit einplanen." Ich lache nicht, sondern umarme sie kurz. "Bis dann," sage ich und versuche mich so schnell, wie nur möglich zu verdrücken. Doch sowas geht mit Julie nicht. "Sag mal, ist was los? Hab ich dir was getan?" Es gibt kein entkommen. Aber manchmal ist der Lügen-Gott auf meiner Seite. "Nein. Ich bin in letzter Zeit nur etwas müde." Sie legt den Kopf schief und versucht die Lüge zu finden. Sie kann nicht. Die Lüge ist gut versteckt. Selbst für ihre Adleraugen.

Meinen Freundeskreis kenne ich mehr oder weniger schon ewig. Ob ich sie wirklich kenne war die andre Frage. Als erstes ist da natürlich Tom. Der war wohl mein erster Freund gewesen und wird es auch immer sein. Mit der Zeit haben sich uns immer mehr Typen angeschlossen, die nicht zu den coolen Jungs gehörten, aber auch nicht zu den totalen Moffs. Das war die ganze Zeit hinweg über Kindergarten Grundschule und Highschool passiert. Meistens waren es andere "Pärchen", wie Tom und ich, deren vorsteinzeitlicher Sinn ihnen befahl, sich eine Herde zu suchen. Insgesamt verstanden wir uns gut, hingen zusammen ab, aber die privaten Dinge kamen dann nur beim Partner zur Sprache. Wir waren schon eine seltsame Herde.

Ich muss dann schließlich gar nicht so tun, als würde ich Steve anrufen wollen, denn er meldet sich von selbst. Genau in dem Moment, in dem ich mich flüchtig von Julie verabschiedet und in meinen Bus gestiegen war. Ich schaue kurz aus dem Fenster um abzuchecken, ob er mich beobachtet, aber soweit ich sehen kann, ist kein Steve in Sicht. Unter anderem, weil mich das Vibrieren in meiner Hose nervt nehme ich den Anruf an.

Mann im MondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt