Hanibal der Schlächter

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Ich denke nach. Es ist nicht so, dass ich normalerweise nicht nachdenke, eigentlich denke ich meistens über irgendetwas nach, doch normalerweise denke ich nicht über die Verknüpfung eines verrückten Jungens, mit seinem trächtigen Hund, mit meiner schwangeren Freundin, mit meinem Vater und der Möglichkeit, die eigentlich keine ist, theoretisch gesehen zwei Mal Vater zu werden, nach. Das ist sogar für mich eine Seltenheit. Normalerweise versuche ich alle Gedanken an mögliche positive Entwicklungen zu verhindern. Und ein Hundewelpe ist nun einmal durch und durch positiv. Das kann keiner leugnen. Aber einen Hundewelpe ist eine unmögliche Anschaffung, denn ich sehe mich nicht fähig, eine so kleine, hilflose Kreatur aufzuziehen, geschweige denn zu erziehen. Und selbst wenn ich darüber hinwegsehen würde, käme ich erst zu dem richtigen Problem an der ganzen Geschichte. Mein Vater. Mehr brauche ich da nicht zu sagen. Aber trotzdem, wenn ich den Hund in meinem Zimmer verstecken würde und...Halt! Nicht weiter denken. Ich gebe mir eine schnelle Ohrfeige und schaue mich um. Ein kleines Mädchen schaut mich komisch an und ich schiebe schnell mein Fahrrad weiter. Ich schiebe es, weil ich so lange, wie möglich außer Haus sein will. Hinter mir höre ich das patschen einer Kinderhand auf eine Kinderbacke und ein vorwurfsvolles "Aua!" in meine Richtung. Tut mir Leid, kleines Mädchen.

Als Tom zum Geburtstag einen Hamster bekam, waren wir begeistert. Für mich war es fast so als hätte ich einen bekommen. Fast. Und für Tom war es so. Sobald sie Tom das kleine Tierchen gegeben hatten, fragten sich seine Eltern sicher auch schon, ob das eine so gute Idee gewesen war. Aber sie hatten leider schon ein paar Wochen zuvor beschlossen, dass es Zeit wäre, dass Tom lernte, Verantwortung zu übernehmen. Seine Eltern bereuten diesen Beschluss, wir fanden ihn prima, obwohl wir noch nicht mal Verantwortung richtig buchstabieren, geschweige denn die Bedeutung, dieses bedeutungsschweren Wortes kannten. Nach langer Diskussion wurde der Hamster Hanibal der Schlächter genannt, wobei ich eher zu Peter Parker tendierte, denn ich erinnerte mich an das berühmte Zitat aus Spiderman "Mit großer Macht kommt große Verantwortung.". Auch wenn das nichts mit einem Hamster zu tun hatte, denn der verleiht einem nur ein begrenztes Maß an Macht, enthielt dieses Zitat das Wort  Verantwortung und das war meiner Meinung nach ein großes Plus für den Namen. Tom hielt dagegen, dass ein Hamster ja nichts mit einer Spinne gemeinsam hatte, was sich bald als Irrtum herausstellte, da der Hamster erstaunlich gut klettern konnte. Hanibal der Schlächter, Tom und ich bildeten ein unschlagbares Team. Eine Woche lang, denn wie es sich gehörte, war ein Team immer nur komplett unterwegs, und so schmuggelte Tom ihn auch überall mit. In der Schule lief alles noch überraschend gut, denn wir schafften es, unseren kindlichen Stolz im Griff zu halten, und Hanibal den Schlächter nicht überall herumzuzeigen. Doch dann geschah das unglaubliche. Obwohl, so unglaublich war es gar nicht. Nach einer vielseitigen Ausbildung im Hamster-Killer-Bootcamp war Hanibal der Schlächter unserer Meinung nach soweit und wurde auf seine erste Mission geschickt. Sie war einfach formuliert, damit er sie auch tatsächlich verstehen würde, aber irgendwas ging schief. Nachdem wir ihn durch die Katzenklappe des Nachbarn gesteckt hatten, haben wir ihn nie wieder gesehen. War er heldenhaft gescheitert? Wurde er bei seinem Massaker erwischt und in lebenslange Haft gesteckt, oder ist er gar zum Feind übergelaufen? Unbeantwortete Fragen. Unsere Lieblingsversion war noch immer die, dass Hanibal der Schlächter der Meinung war, dass das Killer-Leben nichts für ihn war und sich heimlich aus dem Staub gemacht hat. Auf ein Kornfeld, oder in den Park. Und dort hat er dann eine Familie gegründet und viele Hamsterkinder bekommen, an die er sein Wissen aus dem Hamster-Killer-Bootcamp weiter gab und die nun für alle ungeklärten Tode auf dieser Erde verantwortlich waren. 

Julie hat angerufen. Fünf Mal. Die Schwangerschaft macht sie anhänglich. Da ich mich über meinen Vormittag nicht so beschweren kann, wie ich dachte, bin ich mal ausnahmsweise ein guter Freund und rufe sie zurück. Sie nimmt sofort ab, als hätte sie nur darauf gewartet. "Hallo Ben." "Hi. Du hast mich angerufen." "Und du nicht abgenommen." Sie scheint mir das wirklich übe"Ich habe mich mit Steve getroffen." Das zieht. "Ich wusste, dass ihr euch verstehen würdet", jubelt sie. Ich gebe es ungern zu, aber Steve ist wirklich nicht so schlimm, wie ich gedacht habe. Eigentlich sogar eine angenehme Ablenkung. "Und warum musstest du mich so dringend erreichen?" "Ich wollte einfach reden. Ich war im Internet und so. Oh Mann, ich kann es irgendwie gar nicht erwarten! Ich weiß das klingt blöd. Ich bin ja noch so jung, aber irgendwie bin ich total bereit. Ich bin jetzt in der 8. Woche und sie ist schon um die 1,7 cm groß. Stell dir das mal vor!" Ich unterbreche sie nicht um ihr zu sagen, dass es auch ein er werden könnte. Eigentlich unterbreche ich sie gar nicht und höre halb zu, wie sie über Babymöbel, Simmungsschwankungen und erhöhten Stoffwechsel redet. Die andere Hälfte meiner Aufmerksamkeit widmet sich einem Glas Orangensaft. 

 

Mann im MondWo Geschichten leben. Entdecke jetzt