Kapitel 10

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Nachdem ich alles erklärt hatte, schwiegen wir. Sherlock hatte seine Hände hinter den Rücken verschränkt und seinen Kopf auf die Brust gelegt. Wir waren immer noch eine ganze Strecke von unserem Zuhause entfernt und meine Zehen wurden langsam taub. "Können wir ein Taxi nehmen?", erlaubte ich mir zu fragen. Schweigen. Als wir bei einer Hauptstraße raus kamen, stellte sich Joan an die Straße und rief eins. Kenji stieg als erster an, dann ich und dann Joan. Sherlock brummte etwas unverständliches und ging weiter. Joan schloss die Tür und sagte dem Fahrer wohin er fahren sollte. "Wir lassen Sherlock einfach so zurück?", fragte ich. "Ja. Er denkt nach. Nächstes Mal solltest du ihn dabei lieber nicht unterbrechen. Das endet nicht schön. Ich spreche da leider schon aus Erfahrung.", erklärte mir Joan. Ich nickte. "Ich find deinen Vater komisch...", meldete sich Kenji, der einen Kopfhörer aus den Ohr genommen hatte und diesen jetzt in seiner Hand hielt. "Ja... Ich auch", sagte ich lächelnd. "Wenn ihr seine Methoden verstehen würdet, wäre es sicherlich nicht mehr ganz so langweilig.",antwortete Joan. "Ach und sie können jeden seiner Schritte einhundert prozentig nachvollziehen?", konterte Kenji. "Nein...", gab Joan zu, "aber vieles, was er tut macht Sinn." Darauf folgte Schweigen.

Wir stiegen aus und Joan bezahlte den Taxifahrer, bevor sie uns aufschloss. Ich zog mir Jacke und Schuhe aus und verkroch mich in meinem Zimmer unter meiner Decke. Es klopfte kurz darauf an meiner Tür und ohne auf ein Wort von mir zu warten, wurde die Tür auch schon geöffnet. Ich konnte nicht sehen wer es war, weil ich mich mit den Rücken zur Tür gedreht hatte. Doch ich hörte wie die Person sich zu meinen Bett bewegte und dort stehen blieb. "Darf ich?", fragte Kenji. Ich brummelte etwas unverständliches und Kenji nahm es als 'ja'. Ich hörte wie er seine Schuhe auszog und runzelte die Stirn. Mir war gar nicht klar um was er überhaupt um Erlaubnis gebeten hatte. Dann erbat mich mir aber die Lösung. Kenji legte sich zu mir ins Bett, sodass sich unsere Rücken berührten. "Wie war dein Ausflug mit dem Stalker?", fragte er leise. "Sie heißt Ayumi... Es war... Ok. So schlimm fand ich es jetzt nicht... Ich meine sie liebt dich schließlich. Und ich finde Liebe kann man niemanden übel nehmen... Jeder verdient es...", erklärte ich. "Hm.", kam es von Kenji,"man sollte trotzdem nicht so versuchen sich jemanden zu nähern." "Natürlich, aber sie hat es eben so gemacht. Sie hat ja auch keine schlechten Absichten." Kenji verspannte sich:"Woher willst du das wissen? Du hast einen Nachmittag mit ihr verbracht! Sie kann trotzdem noch versteckte Absichten haben!" "Naja oder eben nicht und sie ist nur verliebt und alles was sie möchte ist deine Aufmerksamkeit.", gab ich vorsichtig zurück. "Und wenn ich ihr die nicht geben will? Was ist wenn ich mich für jemand anderen interessiere?" "Das würde ihr sicherlich das Herz brechen..." "Also soll ich unglücklich sein, aber sie dafür glücklich machen?", knurrte er. "Nein! So hab ich das gar nicht gemeint!", ich versuchte mich schnell zu erklären, aber ich wusste nicht wie ich aus dieser Situation wieder raus kommen sollte. Es klopfte erneut und durch die Tür erklang Sherlocks gedämpfte Stimme:"Addison, Kenji soll ins Wohnzimmer kommen und du würdest sicher so großzügig sein und einkaufen gehen." Kenji seufzte:"Ich geh dann." "Hm." Er stand auf und verließ mein Zimmer. Erleichtert rollte ich mich auf den Rücken und atmete auf, während ich meine Wanddecke erblickte. Die Pappe überdeckte den Satz noch. "Genieße es solange du noch kannst". Ich geh Farbe einkaufen.

Viel zu schnell verließ ich das Haus und setzte mich wieder der Kälte aus. Die kalte Luft durchströmte meine Lungen und ich stieß sie in einer warmen Dampfwolke wieder aus. Diesmal war es für mich nicht ganz so kalt, da ich vorher entschloss mir noch eine Ladung Kleidung über zustülpen. Ich stapfte durch die dünne Schneeschicht, die sich langsam auf dem leeren Bürgersteig legte. Obwohl Winter immer so kalt war, zählte es doch zu meiner Lieblingsjahreszeit. Der Schnee dämpfte die meisten Geräusche, wenn doch etwas zu mir durch drang, war ich mir nicht sicher, ob es nicht doch meiner Fantasie entsprang. Als ich dann auf einer Hauptstraße bog, wurde mir dann doch bewusst, dass all diese vielen Geräusche real waren. Leute rauschten beschäftigt an mir vorbei, Manche waren mit Einkaufstaschen beladen und Andere trugen ihre Aktenkoffer. Niemand schien die winterliche Zeit und die Kälte zu genießen. Nicht das ich das tun würde, zumindest nicht die Kälte, aber doch wenigstens die Zeit, doch alle Leute zeigten sich nur mit genervten Gesichtern.

Ich erreichte den angesteuerten Laden schnell und ging hinein. Schon als ich durch die Tür ging empfing mich ein Schwall warmer Luft, der meine wieder eingefrorenen Glieder aber nur minimal aufwärmte. Im Laden sah es aus, als ob eine Apokalypse bevorstehenden würde. Es befanden sich so viele Menschen in den Gängen und an der Kasse, dass der Stress der Ladenverkäufer ihnen deutlich ins Gesicht geschrieben war. Ich überlegte erst, ob ich nicht wieder umkehren sollte, um zu einen anderen Geschäft zu gehen, aber dieses würde wahrscheinlich nicht viel leerer sein. Also kämpfte ich mich tapfer durch die Gänge und sammelte so viel ein wie möglich.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der ich nur an der Kasse stand und wartete, konnte ich den Laden mit einer gefüllten Einkaufstasche verlassen. Erleichtert atmete ich die kalte Luft wieder ein. Diese zusätzliche Kleidungsschicht hatte mir im Laden echt zu schaffen gemacht. "Guten Tag, junge Frau.", erklang die Stimme eines Mannes hinter mir. Mir gefror sofort das Blut in den Adern und ich erinnerte mich, was am Bahnsteig geschehen war. Langsam drehte ich mich um und sah in das Gesicht eines großen Mannes. Sein schwarzer Mantel reichte ihm fast bis zu den Füßen. Mit ernster Miene blickte er auf mich herab. Ich fühlte mich sofort schuldig, für was auch immer ich getan hatte.

Die Tochter eines "besonderen" Menschen TEIL 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt