Moosgrüne Diamanten (KG)

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Moosgrüne Diamanten

Als ich erwachte, war das Erste was ich sah, ein glitzerndes Muster, das die Sonne an die Zeltwand malte. Ich beobachtete einen Moment die ineinanderverschlungenen Lichtflecke, dann setzte ich mich langsam auf. Meine Schwester Jenna und ich waren für zwei Wochen zum Zelten an die Ostsee gefahren. Heute war der erste Morgen, nachdem wir gestern erst sehr spät mit Jennas Auto angekommen waren. Schnell streifte ich mir den alten, roten Collegepulli meiner Mum über und ging nach draußen. Jenna saß schon da und aß ein Brötchen. Als sie mich kommen hörte, hob sie den Kopf: „Na, Kathy? Bist du wirklich wach oder überanstrengt dich das Frühstück wieder mal so, dass du gleich noch mal schlafen musst?“ Ich musste lachen. Damit ärgerte sie mich andauernd. „Nein, ich bin wirklich wach. Gehen wir gleich runter zum Strand?“ - „Na klar! Aber erst musst du frühstücken, damit ich dich leichter unter Wasser drücken kann.“ Wie witzig... Ich setzte mich also hin und schmierte meine Butter demonstrativ dick aufs Brötchen. Ich weiß, dass ich mit 17 eigentlich über so ein Kleinkinderverhalten erhaben sein sollte, aber es war zu verlockend.

Da verdrehte Jenna auch schon genervt die Augen und ich schnalzte triumphierend mit der Zunge. Ich stand auf und winkte ihr mir zu folgen. Schon sprintete ich zum Strand. Als ich den warmen Sand unter meinen Füssen spürte, wurde ich langsamer. Und als endlich das Meer meine Zehen umspülte, sah ich mich um. Im flachen Wasser spielten ein paar Kinder mit einem zinnoberroten Wasserball. Weiter hinten, so dass ich ihn fast nicht bemerkt hätte, schwamm ein Junge auf den Strand zu. Als er meinen Blick bemerkte, grinste er mich an und tauchte unter. Ich tat es ihm nach. Unter Wasser öffnete ich die Augen, wobei das Salz mich kurz irritierte. Doch nach einiger Zeit konnte ich einigermaßen klar sehen. Obwohl es durchaus fraglich war, ob das so wünschenswert sein sollte: Das Einzige was ich nämlich sah, waren lange glitschige Algen, die meinen Körper wie lange Fangarme umspielten, als wollten sie mich zu sich herunter in das kalte Nass ziehen. Ich schauderte und schwamm schnell zurück an den Strand. Da hielt ich den Atem an: Höchstens drei Meter von mir entfernt stand der Typ und sah mich an. Wie schon vermutet, war er unverschämt hübsch. Er hatte dunkles Haar und hohe Wangenknochen. Aber was mich am meisten fesselte, waren seine moosgrünen Augen. Als ich sie ansah, wusste ich, dass ich diesen Jungen nicht einfach wieder vergessen würde. Er lächelte mich noch ein letztes Mal an, dann drehte er sich um und ging. Während ich ihm hinterhersah, dachte ich mir, dass gegen einen kleinen Urlaubsflirt doch gar nichts einzuwenden wäre – und wusste doch ganz genau, das es das nicht werden würde.

Ich starrte etwas zu auffällig in die Glut unseres Lagerfeuers. Mein aktuelles Problem, dass die Glut so interessant machte, war, dass ER genau neben mir saß. „Wie heißt du eigentlich?“  Ich brauchte einen Moment um zu kapieren, dass er mit mir redete. „Ehm… Kathy“, sagte ich. Wie geistreich. „Ich bin Peeta… Hättest du noch Lust zu schwimmen?“ Ich nickte. War ich bescheuert? Es musste mindestens 23 Uhr sein. „Es ist Mitternacht“ ,sagte er und stand auf. Oh. Noch schlimmer. Ich folgte ihm trotzdem. Wir blieben an einer vom Schilf versteckten Stelle stehen, und ich zog mein Top und meine Hotpants aus, bis ich nur noch im Bikini da stand. Wir gingen langsam ins Wasser. Vollkommen unvermittelt fragte Peeta: „Woher kommst du?“ - „Aus Berlin.“ - „Nein, ich meine woher kommst du WIRKLICH?“ - „Uhm … aus Kalifornien, aber meine Familie ist weggezogen, als ich zehn war.“

Ich entzog mich seinem Blick und tauchte unter. Der beste Ort, um sich zu beruhigen. Nur das ich es diesmal nicht schaffte. Eine Hand nahm mich leicht bei der Schulter und zog mich hoch. Antworten würde ich auch hier nicht finden. Peeta nahm mein Gesicht in seine Hände und sah mich an: „Sehen wir uns morgen Abend hier wieder?“ Ich nickte stumm. Was wollte dieser Typ von mir? Und noch viel wichtiger: Was wollte ich von ihm?

Ich saß fröstelnd im Zelt. Meine Beine berührten sanft meine längst schlafende Schwester. Es war ein Tag her, seit ich mit Peeta am Strand gewesen war. Ich sah zum hundertsten Mal auf meine Uhr. Es war so weit. Ich strich meinen Pulli glatt und ging aus dem Zelt. Ein sanfter Wind schlug mir entgegen. Ich lächelte und joggte langsam zu unserem Platz. Konnte ich das schon so sagen? Gab es schon eine Definition von „WIR“? Ich bog ab und sah eine große Silhouette im Sand sitzen. Peeta. Ich hatte ihn vermisst. Shit. Direkt hinter ihm blieb ich stehen. Eine Weile blieb er einfach sitzen. Dann, absolut unvermittelt, sprang er auf und nahm mich in seine Arme. Ich schlang meine Arme um ihn und flüsterte leise: „Hi.“ Ich bekam ein leises Lachen als Antwort. Er löste sich aus der Umarmung, setzte sich wieder hin. Auch ich nahm Platz an seiner Seite. „Ich dachte, heute könnten wir mal ein bisschen was von uns erzählen, wenn das okay ist“, sagte er.

„Uhm, okay… Also ich heiße Kathy Bird, bin 17 Jahre alt und wohne in Berlin. Ich bin gerade mit dem Gymnasium fertig. Es nervt mich, dass man in Deutschland erst ab 18 Auto fahren darf, weil das meine Uni-Auswahl erheblich dezimiert. Ich habe auch schon darüber nachgedacht, zurück nach Amerika zu gehen, um dort am College Kunstwissenschaften zu studieren. Und für Erdbeeren sterbe ich. So jetzt bist du dran!“, schloss ich. „Okay, Kath. Ich bin Peeta Warrington und im Gegensatz zu dir, waren meine Eltern die letzte Generation, die noch in Amerika gelebt hat. Vor einem Monat bin ich 18 geworden, also ist dein durchaus verständliches Autoproblem gelöst. Amerika war für mich nie eine Option, aber ich denke, was man nicht kennt, kann man auch nicht vermissen. Ich möchte Literatur studieren. Und ich hasse Paprika.“ Ich lächelte: „Wie steht‘s mit Erdbeeren?“ - „Mag ich.“ Ich drehte mich um und drückte kurz meine Lippen auf seine Schulter.

Dann beugte ich mich zu seinem Ohr und flüsterte: „Das Wasser wartet auf uns.“ Damit stand ich auf, zog mir alles bis auf meinen Bikini aus und watete langsam ins Wasser. Ich hörte an einem unbeholfenen Platschen, das er mir folgte. Ich lachte leise. An der tiefsten Stelle, an der man noch stehen konnte, blieb ich stehen und drehte mich um. Peeta kam langsam auf mich zu und nahm, wie gestern, mein Gesicht in seine Hände. Dann lächelte er noch einmal und küsste mich. Ich schlang meine Arme um seine Schultern. Und plötzlich war es mir vollkommen egal, wohin das führen würde. Ich musste nicht mehr wissen, ob es halten würde. Ich genoss einfach den Moment und wusste, dass ich - egal was passierte - zumindest diesen Sommer nie vergessen würde. Den Sommer, an dem ich den Jungen mit den moosgrünen Augen kennenlernte.

Verborgener WaldWo Geschichten leben. Entdecke jetzt