Kapitel 36 - Genau heute vor drei Jahren

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Ich wachte durch die Sonnenstrahlen auf. „Wie spät ist es?", grummelte ich. Sky schien auch aufgewacht zu sein. Sie drehte sich in meine Richtung und öffnete verschlafen die Augen. „Bist du wahnsinnig? Es ist erst neun Uhr!", rief sie erschrocken aus und zog sich ihre Decke über den Kopf. Ich machte es ihr nach und verzog mich unter meiner Decke. Ich stöhnte genervt. Ich konnte nicht mehr einschlafen. Sky schien es ähnlich zu ergehen, denn ich hörte ein wütendes Fluchen von ihrer Seite. „Durch Fluchen wird es nicht besser", meinte ich und setzte mich auf. Erst neun Uhr, oh mein Gott. „Es ist mitten in der Nacht", grummelte Sky verschlafen und vergrub ihren Kopf in ihrem Kissen. Ich lachte und schwang meine Beine aus dem Bett, da ich sowieso nicht mehr einschlafen konnte. Heute war trainingsfreier Tag, da Lola am Vormittag nicht da war und am Nachmittag alle Hände voll zu tun hatte.

„Was machen wir heute eigentlich?", fragte ich, während ich mir mein heutiges Outfit aus dem Schrank suchte. „Das besprechen wir beim Frühstück, aber bis dahin haben wir noch eine Stunde Zeit und jetzt dreh den Fernseher auf!", sagte Sky.

„Bin ich dein Leibsklave?", fragte ich empört.

„Was denkst du denn? Dass ich aus einem anderen Grund mit dir „befreundet" bin?" Bei „befreundet" zeichnete sie Anführungszeichen in die Luft. Ich warf ihr ein lachend Kissen an den Kopf und schaltete den Fernseher an. Sky warf mir eine Kusshand zu.

„Lieb dich!", rief sie mir nach, als ich im Badezimmer verschwand.

Ich lächelte in den Spiegel und fühlte mich plötzlich irgendwie so stark und selbstbewusst. Ich drehte mich um und mein Pferdeschwanz flog in die Luft. Ich öffnete die Badezimmertüre. Leider mit etwas zu viel Schwung. Sky, die gerade Gewand aus ihrem Kasten suchte, sprang erschrocken ein Stück weg. Die Badezimmertüre knallte gegen die offene Kastentüre, der Besen der daneben lehnte fiel um, knallte auf das kleine Tischchen und warf die wunderschöne Blumenvase hinunter, die mit einem dumpfen Schlag auf dem Teppichboden landete. Sky und ich waren wie versteinert in unseren Bewegungen. Entrüstet sahen wir uns an. Und als ich Skys verdatterten Blick sah, prustete ich laut los und zeigte auf sie. Sky machte genau das Selbe bei mir. Wir lachten uns gegenseitig aus, wodurch das Ganze noch viel lustiger wurde. Ich brach vor Lachen zusammen. Sky lachte deswegen noch mehr und ließ sich auf ihr Bett fallen. Nachdem wir uns etwas beruhigt hatten, kicherte Sky: „Wahre Freundschaft!" „Du sagst es", antwortete ich lachend und setzte mich auf. „Wann gehen wir?", wollte ich dann wissen. Sky war so in den Fernseher vertieft, dass sie mich überhörte. Ich seufzte und verdrehte die Augen. Noch immer keine Antwort. „Was ist an dem Fernseher so spannend?", wollte ich wissen. „Pscht!", fuhr mich Sky an und starrte weiterhin auf das Gerät. Ich verdrehte die Augen und warf mich neben Sky auf ihr Bett. Ich schaute neugierig auf den Fernseher, um zu sehen, was es da Spannendes zu Sehen gab, verstand aber nicht, was da so besonders war. Sky starrte komplett fertig auf das Fernsehgerät. Sie sah sich die Nachrichten an. Eine Frau mit blonden Locken wurde interviewt.

„Vor drei Jahren ist Ihre Tochter verschwunden, nicht wahr?", fragte die Interviewerin.

 Die Frau nickte.

„Genau heute vor drei Jahren?"

Erneut nickte die Frau.

„Wie war oder ist ihr Name?"

„Nelly", antwortete die Blonde.

„Was bedeutet der Name, oder warum wurde sie so genannt?"

„Mein Mann hat ihr den Namen gegeben."

„Und warum hat Nellys Vater sie so genannt?"

„Das ist eine private Angelegenheit."

„Verstehe. Gefällt Ihnen der Name Nelly?"

„Ja. Sehr sogar!", antwortete die blonde Frau mit einem traurigen Lächeln.

„Haben sie noch Kontakt zu Ihrer Tochter?"

„Nein, sie hat ihre Telefonnummer geändert und ich konnte sie nicht mehr erreichen ..."

„Macht Sie das sehr traurig?", war die Frage der Interviewerin.

Die Frau nickte nur und unterdrückte Tränen.

Mein Magen zog sich zusammen. Jane, schoss es mir durch den Kopf. Ich sah zu Sky. Ihre Augen waren mit Tränen gefüllt. So emotional war Sky normalerweise nicht. „Sky?", fragte ich vorsichtig. Und schon platzte alles aus ihr heraus: „Das ist meine Mom!" Tränen kullerten über ihre süßen Bäckchen. „Das ist meine Mom, Dec! Das ist meine Mom!" Ich nahm sie sofort in den Arm und streichelte ihr über den Rücken. Nebenbei lauschte ich dem Interview von Skys Mutter. Sie war kurz vor dem Weinen, das hörte man an ihrer Stimme. Und ich fragte mich: Wie dumme Fragen stellen Interviewer eigentlich?

„Sky?", fragte ich. Sie sah mich mit verheulten Augen an. „Willst du darüber reden?", fragte ich. Sie schüttelte den Kopf und vergrub ihn wieder in meinen Haaren. Ich ließ es dabei und strich ihr weiter beruhigend über den Rücken. „Soll ich den Fernseher abdrehen?", fragte ich. Erneut schüttelte Sky den Kopf. Ich verstand das Mädchen manchmal echt nicht! Aber jetzt musste ich sie erst einmal beruhigen. Es klopfte an der Zimmertüre und Emmi trat herein. Sie legte ihre Arme um Sky und murmelte: „Das mit deiner Mom tut mir leid Schätzchen ..." Sky schluchzte nur. „Ich vermiss deine Mom auch", flüsterte Emmi in Skys wirren Locken. „Ich fass es immer noch nicht, dass du sie damals so im Stich gelassen hast!", meinte sie dann. „Das war eine Notlösung Emily!", rief Sky verzweifelt.

„Aber genau da hätte sie dich am Meisten gebraucht Nelly!", antwortete Emmi und zog Sky in eine Umarmung.

„Ich wünschte ich könnte die Zeit zurückdrehen, und alle meine Fehler gut machen", murmelte Sky und wischte sie die Tränen aus den Augen. Sie schluchzte und befreite sich aus Emmis Armen. „Ja ... Zeit zurückdrehen wäre schön", flüsterte ich. Vielleicht würde meine Mom nicht vergewaltigt werden, sondern ein normales, glückliches Leben mit Nick führen und ich hätte eine wunderschöne Kindheit gehabt und war ein beliebtes Mädchen in der Schule. Das wäre ein Traumleben! Ich seufzte  begeistert. Aber es war nur ein Traum. December, das Hopplakind. Tochter von einer Frau, die vergewaltigt wurde und mich abtreiben wollte. December, das Mädchen, das Jane Arthur kennengelernt hatte, und sie bald darauf wieder verloren hatte. December, das Mädchen, das von ihrem Stiefvater geschlagen wurde, und dann von zuhause geflüchtet war. Das war die Realität.

Ich schaltete den Fernseher aus. Sky stand auf und machte sich fertig. Sie hatte sich wieder halbwegs beruhigt und überschminkte sich die Augenränder, damit sie wieder wie immer aussah: Stark, selbstbewusst und wunderschön.

„Ich geh dann mal wieder. Bis später!", sagte Emmi und verschwand aus dem Zimmer.

Bevor Sky und ich das Zimmer ebenfalls verließen, zog ich sie in eine feste Umarmung und flüsterte ihr ins Ohr: „Alles wird gut, ich verspreche es!" Sie lächelte mir zu und wir folgten den Anderen in den Speisesaal. 

Born to Dance (Fortsetzung von Dance or Die)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt