Kapitel 1

12.2K 433 72
                                    

Ich schaute hinab zu den Weiden meines Landes. Exotische, bunte Blumen, wohin das Auge nur reichte. Die Bäume, die sich sanft im kühlen Wind wiegten und mit ihm zu tanzen schienen.
Vogelscharen, die im Himmel dunkel zusammen schwarmen um sich anschließend wieder aufzulösen.
Ein Anblick, den ich durchaus als schön empfinden könnte.

Doch es war mir nicht vergönnt zu fühlen.

Ich entfernte mich von meinem Fenster und setzte mich auf die dünne Liege, welche daraufhin drohend erzitterte.
Mein Gemach war eher klein und sperrlich, als das ich es gemütlich hätte nennen können. Die dunklen Steinwände und das kleine Fenster ließen kaum Sonne durch, sodass selbst in den heißesten Tagen eine gewisse Kühle in der Luft lag.
Dennoch wollte ich mich nicht beschweren. Ich hatte lange und hart gearbeitet um ein Zimmer im Anwesen meines Onkels zu bekommen. Ich konnte mich glücklich schätzen nicht mit den Leibeigenen in den Ställen leben zu müssen, welche unter menschennichtwürdigen Umständen dort wohnten.
Ich hatte hart gearbeitet um diesen Ort endlich verlassen zu dürfen. Bilder durchzuckten mich, Bilder von Menschen die Haufen auf Haufen schliefen, während selbst das Getier mehr Platz zum Schlafen hatte.
Ich schüttelte den Kopf und versuchte  dieser Erinnerung zu entfliehen.

Nicht mehr lange.
Dann hätte ich das Geld zusammen und würde diesen Ort verlassen. Meine Tasche, die nicht mehr als eine Decke, ein stumpfes  Messer und einen verschmutzen Umhang beinhaltete, war schon lange gepackt.
Noch einen Sommer musste ich mir den hageren Lohn erarbeiten, dann würde ich fliehen.

Im Gegensatz zu den anderen Frauen, die im Anwesen arbeiteten, wurde mir mein voller Lohn nicht gegeben.
Tante Liry sagte, ich solle froh sein, als Bastard nicht wie ein Sklave behandelt zu werden.
Ich wusste noch genau, wie das damals sechsjährige Mädchen stumm genickt hatte.

Dreizehn Jahre sind seit damals vergangen und obwohl mein Schicksal hart war, war ich froh, dass ich nicht Leben musste wie die Sklaven.

Ich kannte meine Mutter nicht, sie war wohl eine Dirne, die nach dem Akt mit meinem Vater geschwängert wurde.
Sie brachte große Schande über meinen Vater, den damaligen Landesherrn.
Sie entschied sich mich auszutragen und als sie schlussendlich mit einem Bündel in der Hand vor die Türe unseres Anwesens getreten sei, soll der Landesherr, Hagen von Meerhein, getobt haben. Er soll sie erschlagen haben.
Zumindest haben die alten Mägde das so erhält. Kurz daraufhin wurde meine Vater, baumelnd mit einer Schlinge um den Hals in seinem Zimmer aufgefunden. Daneben ein kleines Mädchen, nicht älter als zwei Wochen.

Seufzend erhob ich mich wieder und lief, wie so oft, im sperrlichen Zimmer herum.
Zwei Schritte brauchte ich um das ganze Zimmer zu erfassen .

"Ascara!
Wo steckst du Bastard ?!"

Schnell richtete ich mich gerade auf und strich über das braunes Kleid. Fast sofort eilte ich aus der Tür nur um in die vor Wut blitzenden Augen meiner Tante und Herrin zu blicken.

"Ihr habt gerufen, Herrin?"

Demütig senkte ich meinen Kopf. Ich würde den Fehler nicht nochmal begehen, sie ohne Aufforderung anzuschauen.
Grob packte sie mein Kinn und zwang mich somit ihr in die Augen zu schauen.

"Zu nichts bist du Nutze, Bastard. Du wirst in das Gemach von Elisabeth eilen und sie herrichten. Augenblicklich."

Sie ließ mein Kinn mit einem widerwärtigen Blick los und machte sich auf schnell zu verschwinden. Zuvor jedoch knickste ich ungelenk und ging dann rasch in den oberen Trakt des Anwesens, wo die Gemächer des Herrn, seiner Frau und seiner Tochter waren. Erleichtert atmete ich aus.
Die Herrin musste einen guten Tag haben, denn sonst würde sie mich für meine Abwesenheit im Dienst mit Prügel bestrafen.
Kurz noch fragte ich mich welcher Anslass es sein musste.
Das letzte Mal, dass Tante Liry so munter und voll der Gnade war, war als sie zum Fest des Stammesführers eingeladen wurde. Der Stammesführer der Skyr, der nicht allzu weit von hier sein Sitz hatte, gehörte das Land meines Onkels und tolerierte ihre Anwesenheit nur hier, im Gegenzug verlangte er Ware.

Des Wikingers FrauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt