Kalter Abendwind wehte mir ins Gesicht, zerzauste meine Haare und ließ die bunten Baumkronen so laut rauschen, dass es sich fast anhörte, als wäre man am Meer. Laub raschelte und knisterte bei jedem Schritt unter meinen Füßen. Ich mochte dieses kleine Waldstück. Wenn man es denn so nennen wollte, immerhin konnte man im Winter problemlos von einem Rand zum anderen sehen. Jetzt im Spätherbst waren die Bäume zwar schon kahl, der Boden jedoch voller Blätter, die in schönsten Gelb- und Rottönen leuchteten. Hinter den dichten Wolken konnte man die Sterne mehr erahnen als sehen. Es war viel später geworden, als ich es geplant hatte. Eigentlich hätte ich längst daheim sein wollen, gemütlich eingekuschelt auf meinem Sofa oder vorm Rechner. Stattdessen stand ich hier und konnte förmlich spüren, wie der erste Frost sich durch die Sohlen meiner Turnschuhe zog bis hoch in meine Beine. Das hielt mich jedoch nicht davon ab, dennoch innezuhalten und für einen Moment einfach nur die Stille zu genießen. Die Ruhe währte jedoch nicht lange, sondern wurde von einem mir wohlbekannten Klang gestört, den ich unter anderen Umständen besser hätte genießen können. Mein Handy hatte unversehens begonnen, „Tesham Mutna" vom Witcher III-Soundtrack abzuspielen. Missmutig kramte ich das Telefon aus meiner Umhängetasche und blickte auf das Display, welches mir musikalisch unterlegt kundgab, dass mich eine SMS erreicht hatte. Sansi. Einen Moment lang war ich versucht, die Nachricht einfach zu ignorieren. Allein die Erinnerungen an unseren dummen Streit genügte, um jeden Anflug von Entspannung direkt wieder zunichtezumachen. Verbissen rief ich die SMS auf, mit dem festen Vorsatz, nicht vorschnell zu antworten, um nichts zu schreiben, das mir später leidtäte. Die ganze Planung war einfach scheiße gelaufen, daran hatten wir beide gleichermaßen Schuld oder eben auch nicht und im Grunde wussten wir das beide. Es war albern, dass wir uns deswegen überhaupt in die Haare bekommen hatte. Wieso hatten wir darüber überhaupt gestritten? Wir waren wohl letzten Endes wohl einfach beide zu frustriert gewesen, weil der geplante Kurztrip ins Wasser fiel, obwohl wir beide uns so darauf gefreut hatten.
Seufzend schob ich das Handy zurück in meine Jackentasche und hob den Blick zum Himmel. Die Wolkendecke hatte sich an einer Stelle geöffnet und gab den Blick auf ein funkelndes Sternenmeer preis. Dass genau in diesem Moment eine Sternschnuppe durch mein Blickfeld fiel, war reiner Zufall, aber einer, der mich schmunzeln ließ. „Wäre es doch nur immer so ruhig", wünschte ich mir stumm, schloss die Augen und atmete bewusst einige Male ein und aus.
Mein Wunsch wurde mir nicht erfüllt. Ein schrilles Kreischen durchbrach die abendliche Stille und kaum, dass ich mich zur Quelle des Lärms umgewandt hatte, erblickte ich auch schon ihren Ursprung in Form einer Kreatur, von der ich niemals erwartet hatte, sie jemals zu erblicken. Eine Kreatur, die es schlicht und ergreifend nicht gab! Meine Augen weiteten sich vor Schreck und Unglauben gleichermaßen, denn direkt vor mir erhob sich ein Greif. Ich schluckte schwer, doch der Kloß in meinem Hals wollte nicht verschwinden. Dann traf mein Blick den des Greifen. Genau genommen, flüsterte meine innere Stimme mir altklug zu, handelte es sich um einen Königsgreif. Ganz toll. Wirklich ganz toll. Ich wusste also, was mich töten würde. Jackpot.
Erneut schrie das Ungeheuer auf, dann spreizte es die Flügel und erhob sich in die Lüfte. Mir erschien der Greif in diesem Moment einfach nur gigantisch und groß war er allemal. Sein Körper war mindestens so groß wie ein Löwe, ein wirklich großer Löwe mit Flügeln und einem Schnabel, der durchaus den Eindruck erweckte, man könnte damit auch Menschen wunderbar zerlegen. Mit wenigen Flügelschlägen hatte der Greif ein paar Meter an Höhe gewonnen und den Blick dabei eindeutig auf mich geheftet. Nicht gut. Gar nicht gut. Es brauchte keinen weiteren Aufschrei des Greifen, um mir das Signal zu geben, mich möglichst schnell vom Acker zu machen. Ich drehte auf dem Absatz herum und rannte so schnell ich konnte. Das war zugegeben nicht sehr schnell, denn Sportlichkeit konnte man mir wirklich nicht nachsagen, aber Angst und das Adrenalin, das durch meine Adern raste, trieben mich an. Darauf geachtet, wohin ich eigentlich lief, hatte ich in meiner Panik nicht. In meinem Kopf gab es nur noch den Gedanken, dass ich so schnell wie nur möglich von hier wegmusste, wenn ich nicht herausfinden wollte, wie sich die Klauen der Chimäre in meinem Fleisch anfühlten. Planlos rannte ich zwischen den Bäumen her, wobei ich es nicht wagte, mich umzusehen, wenngleich ich den Greif oder vielmehr seine Flügelschläge doch genau hören konnte.
Gerade wollte ich einen Haken schlagen, da spürte ich, wie sich etwas in meine Jacke bohrte, meinen Rücken streifte und dort einen schmerzhaften Kratzer hinterließ. Was jedoch sehr viel schlimmer war, war der Umstand, dass mich dieses etwas vom Boden hob und hoch in die Lüfte zog. „Nein!", wollte ich schreien, doch aus meiner Kehle kam nicht mehr als ein recht erbärmliches Japsen, während die Bestie mit mir im Schlepptau immer höher stieg. Das Geräusch der mächtigen Schwingen dröhnte in meinen Ohren, während der Greif mich über die die Baumkronen hinweg trug. Wohin, das wollte ich lieber nicht wissen. Schon allein deshalb nicht, weil sich meine Höhenangst bemerkbar machte und mir derart übel wurde, dass ich einfach die Augen schloss, um nicht nach unten sehen zu müssen. Es war auch so unangenehm genug, dass meine dicke Jacke mir unangenehm gegen den Hals drückte, was mich ein klein wenig würgen ließ. Wenigstens hielt die Jacke, tröstete ich mich, sonst hätte ich jetzt ganz andere Probleme, als nur von einem Greifen verschleppt zu werden.
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Blood and Whine (Witcher III)
FanfictionWie man einen Tag ruiniert: Step 1: Streit mit der besten Freundin. Step 2: Von einem Greifen verschleppt werden. Doch genau das passiert mir in diesem Projekt. Diese FF gehört zum Mary Sue-Projekt auf Animexx, das ich jedem nur ans Herz legen kann...