Timing

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Jap. Das war eindeutig nicht mein Tag. Das gleiche musste sich wohl auch Milton denken, denn immerhin war es der Ritter im Hasenkostüm, der hier um sein Leben bangen musste. So hatte er sich diesen besonderen Ehrentag bestimmt nicht vorgestellt. Und überhaupt: Wieso ging das als Ehrentag durch? Da wo ich herkam, war ein Bunnykostüm echt nichts, das man als übermäßig würdevoll ansähe. Seins war nicht einmal sexy! Obwohl das unter den gegebenen Umständen vielleicht auch besser war, denn sonst wäre die Situation wohl noch absurder gewesen, als sie es sowieso schon war. Mal ehrlich: Ein Vampir, der einen Ritter im Hasenkostüm tötet? Das könnte ich nicht einmal aussprechen, ohne zu lachen. Trüge Milton statt der recht moderaten Verkleidung das, was ich unter einem Bunny-Kostüm verstand, hätten wir hier einen Abgrund aufgetan, über den wir alle wohl hätten schweigen wollen. Zugleich wäre das sicher auch urkomisch gewesen. So wie ich mich kannte, hätte ich garantiert gelacht und damit alle Anwesenden gegen mich aufgebracht. Allerdings war die Situation live, echt und in Farbe gar nicht mehr so komisch.


Für einen Wimpernschlag starrte ich unschlüssig zwischen Dettlaffs vampirischem Gesicht und der erschrockenen Miene Miltons hin und her, der die langen Klauen des Vampirs bereits vor der Nase hatte und sich entsprechend auch ausmalen konnte, welches Schicksal ihm hier blühte. Alles war wie im Spiel. Alles außer mir. Jetzt würde sich wohl zeigen, in wie weit es mir möglich war, den Verlauf der Geschichte zu ändern, denn bisher hatte ich das nur im Detail, jedoch niemals in der Essenz. Die Banditen waren gestorben, Geralt war hergereist, der Glumaar war sicher. Das alles war im Spiel auch möglich. Niemals war ich von den vorbestimmten Bahnen so weit abgewichen, dass sich wirklich etwas hätte ändern können für diese Welt. "Rhena!", rief ich einfach, betend, dass dieses Wort das Zauberwort war und genügen würde, damit Dettlaff nicht einfach entschied, Milton die Kehle aufzuschlitzen, ehe er sich zu einem Plausch mit mir herabließ.


Mir schien es fast, als hielte die Welt selbst den Atem an. Dettlaffs Blick ruhte nun ganz auf mir, Miltons ebenfalls. Beinahe, als hätten beide vergessen, dass sie eigentlich etwas völlig anderes vorgehabt hatten. Töten. Sterben. Dabei hielt Dettlaff den Ritter noch am Kragen, bereit diesem jederzeit die langen Klauen in den Leib zu stoßen und sein Leben damit zu beenden. Ein eisiger Schauer durchlief mich. War es hier grad prompt 10°C kälter geworden? "I-ich kenne Rhenawedd", erklärte ich eilig, um gleichermaßen die unangenehme Stille zu füllen als auch zugleich zu bekräftigen, dass ich nicht als Feind hier war, sondern als Freund, immerhin war es mein erklärtes Ziel, Dettlaff zu retten. Die Chancen dafür schienen mir zumindest deutlich besser, wenn er keinen Freund von Geralt tötete und weiteren Zorn auf sich zog. Obendrein konnte ich mit meinem Wissen ja vielleicht wirklich helfen, denn auch wenn 'Rhenawedd' aka Syanna mich natürlich nicht kannte - ich kannte sie und wusste obendrein, wo sie sich versteckt hatte und im Moment vermutlich zufrieden ihren Sangreal schlürfte. Sollte sie doch an einer Alkoholvergiftung sterben!


Aus Miltons Richtung konnte ich ein leises Japsen hören, als ringe er um Atem. Wenn ihm der vor Angst weggeblieben war, konnte ich es ihm nicht verübeln, denn mir ging es jetzt nicht anders, denn mein erstes Ziel hatte ich fraglos erreicht. Dettlaffs Aufmerksamkeit galt nun ganz mir. Er ließ Milton unvermittelt los, der zu Boden fiel und sich an Hals fasste, Dettlaff entsetzt musternd, der dem Ritter sogar den Rücken zuwandte, um an mich heranzutreten. Instinktiv wollte ich einen Schritt zurücktreten, stieß dabei aber bereits gegen die Hintertür des Gewächshauses, die hinter mir zugefallen war. "Du kennst sie?" Meine Nackenhaare stellten sich auf. Miltons bleiche Miene war nicht unbedingt beruhigend. Der Ritter sah mich schon tot, das stand ihm ins Gesicht geschrieben. Ich hatte Angst, das konnte ich nicht leugnen. Dass Dettlaff einer meiner Lieblingscharaktere war und ich wusste, dass hinter der Fassade eigentlich ein Supersoftie steckte, konnte daran nichts ändern. Sah er mich als Problem an, wäre es ihm ein Leichtes, mich zu töten und niemand könnte ihn daran hindern. Nicht ich und nicht Milton. Mein Blick wanderte zu den langen, elfenbeinfarbenen Klauen. Musste ich mich ausgerechnet jetzt daran erinnern, mit welcher Leichtigkeit er die in Syannas Herz gebohrt hatte? Am liebsten wäre ich auf dem Absatz umgedreht und weggelaufen, doch mein Körper fühlte sich an wie erstarrt.

Blood and Whine (Witcher III)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt