Nie wieder, schwor ich mir, würde ich einem verdammten Greifen so nahe kommen, ganz egal, ob tot oder lebendig. Aber fast noch mehr verstörte mich dieses absolut ekelerregende, klatschende Geräusch, das der blutbesudelte Greifenkopf jedes Mal machte, wenn er gegen Plötzes Flanke schlug, während wir über den holprigen Weg ritten. Himmel, war ich froh, wenn wir das Ding endlich losgeworden waren! Gefühlt konnte ich es sogar riechen, auch wenn mir das in Wahrheit natürlich erspart bleib. Allerdings konnte ich sehr wohl die Fliege brummen hören, die schon seit einer ganzen Weile um den abgetrennten Kopf kreiste. Den Hexer schien das nicht zu stören. Der hatte allerdings auch schon nichts gesagt, als er die Trophäe mit Seilen umwickelt und sie daran an Plötzes Sattel befestigt hatte, und auch nicht, als ich kleinlaut an seine Seite geeilt war. Irgendwie hatte ich fast erwartet, dass Geralt sauer wäre, weil ich ihm so gar keine Hilfe gewesen war. Stattdessen hatte der Hexer geschwiegen. Ich hatte also keine Ahnung, wie er über meine Feigheit dachte, allerdings konnte mich auch nicht überwinden, ihn zu fragen. Wenigstens hatte ich Geralt nicht im Weg gestanden, tröstete ich mich gedanklich. Welche Hilfe hätte ich ihm auch sein können? Nicht nur, dass ich keine Waffen besaß, ich hätte damit auch nicht umgehen können. Selbst optimistisch betrachtet hätte ich nicht mehr tun können, als die Aufmerksamkeit des Greifen auf mich zu lenken, wenn überhaupt. Ob das dem Hexer eine Hilfe gewesen wäre, darüber ließe sich bestimmt streiten.
Still seufzte ich in mich hinein. Geralt mochte es gewohnt sein, seine Gedanken mit niemandem zu teilen, doch für mich war es seltsam befremdlich, dass wir kein einziges Wort wechselten. Smalltalk brauchte ich wohl gar nicht erst versuchen. Darin war ich sowieso absolut unterirdisch und ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass der Weiße Wolf Lust hatte, mit mir über das Wetter oder die aktuelle politische Lage zu diskutieren, zumal er in dieser Hinsicht als Hexer sowieso neutral sein sollte. Nicht, dass ihm das je wirklich gelungen wäre. Es war genau wie bei dieser Gefühlssache. Angeblich hatte seinesgleichen keine Gefühle mehr, weil die Mutationen sie abgetötet hatten, und auch das hielt ich für gequirlte Scheiße. Wäre dem so, wäre Geralt nicht so von Yennefer eingenommen und nicht so um Ciri besorgt. Im Grunde drehte sich ja sogar das ganze Spiel The Witcher III nur darum, dass Geralt nach seiner Ziehtochter suchte. Keine Gefühle mehr am Arsch. Wer es denn glaubte! Ich jedenfalls nicht. Zugegebenermaßen würde Geralt mir gegenüber diesen Emotionen aber wohl kaum freien Lauf lassen. Ich war eine Fremde und rein objektiv nicht unbedingt vertrauenswürdig, wie ich mir selbst eingestehen musste. Bisher hatte ich weder erzählt, woher ich kam, noch wohin ich wollte oder wieso. Dazu kam meine ungewöhnliche Kleidung, meine auffällige Art zu sprechen, und wer wusste, was sonst noch alles. Stumm klammerte ich mich an den Rand des Sattels, während meine Gedanken darum kreisten, wie ich das Vertrauen des Hexers gewinnen könnte. Es gab so vieles, das ich ihm sagen musste!
Erst, als mir dämmerte, dass wir nicht zum Dorf ritten, sondern weiter durch den Wald, durchbrach ich die Stille. "Wir kehren nicht zurück?", wollte ich verwundert wissen. Wirklich wohl fühlte ich mich dabei nicht. Zwar ging ich nicht davon aus, dass mir Geralt ohne einen triftigen Grund etwas tun würde, allerdings war ich auf der anderen Seite wiederum nicht sicher, was bei ihm so alles als triftiger Grund durchginge. „Nein", erwiderte der Weiße Wolf knapp. „Hattest du nicht ein Nest erwähnt? Das suchen wir noch." Oh, stimmt. Das hatte ich glatt vergessen. Nach der Begegnung mit dem Greif hatte ich nicht wirklich Lust, mich auch nur in die Nähe der Brutstätte einer solchen Bestie zu begeben. Hoffentlich könnte ich dieses Mal bei Plötze warten, vorzugsweise weit weg von dem Baum, in dessen Ästen die Greifen nisteten. Hätte ich die verschissenen Eier mal doch aus dem Nest geschubst, dann hätten wir das Problem jetzt nicht! Mist. Während ich versuchte, mich daran zu erinnern, wie genau der hohe Baum ausgesehen hatte. Die Antwort war ernüchternd. Wie alle Bäume hier. Ein Baum halt. Ich hätte für alles Geld dieser Welt nicht sagen können, um welche Art Baum es sich handelte, geschweige denn wo genau dieser spezielle stand. So ein extrem großer Baum ließe sich doch aber bestimmt finden. Selbst hier, wo man buchstäblich vor lauter Bäumen den Wald nicht sah. Mein Blick glitt gerade hoch zu den Baumkronen, als mir noch ein anderer, viel beunruhigenderer Gedanke kam. Es brauchte zwei Greifen, um kleine Baby-Greifen zu machen! Im Umkehrschluss bedeutete das, dass uns beim Nest wahrscheinlicher der Partner von Geralts neuer Trophäe erwartet. Scheiße! So wie ich Geralt einschätzte, wollte er den zweiten Greifen dann auch gleich erledigen. Seufzend wandte ich den Blick zum Himmel, der sich langsam dunkler färbte. Frischer Wind zog auf und ließ das Blätterdach über uns rascheln. Hoffentlich regnete es heute nicht. Das hätte mir echt noch gefehlt. Nur gut, dass meine Jacke, so zerschlissen und mitgenommen sie auch war, eine Kapuze hatte.
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Blood and Whine (Witcher III)
Fiksi PenggemarWie man einen Tag ruiniert: Step 1: Streit mit der besten Freundin. Step 2: Von einem Greifen verschleppt werden. Doch genau das passiert mir in diesem Projekt. Diese FF gehört zum Mary Sue-Projekt auf Animexx, das ich jedem nur ans Herz legen kann...