Aus der Ferne

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Letzte Sonnenstrahlen erhellten noch die Wolken am Horizont, während die Nacht über Corvo Bianco hereinbrach. Geralt und ich hatten die letzten Stunden damit zugebracht, uns anzuschweigen, nachdem ich ihm das Versprechen abgerungen hatte, der Herzogin einen falschen Kopf als Beweis für Dettlaffs Tod zu bringen. Trotz meiner Bohrerei hatte der Hexer mir allerdings nicht verraten, wer seiner Meinung nach den Zauber wirken würde, der Theodor in der Zeit zurückschickte, damit er uns die nötigen Informationen bringen konnte, die wir benötigten, um Krul aufzuhalten. Irgendwann hatte ich es dann einfach aufgegeben und hingenommen, dass Geralt sein Bier spannender fand als die Aussicht, meine Fragen zu beantworten. Stattdessen genossen wir beide den Sonnenuntergang und die kleinen Küchlein, die uns Marlene zusammen mit dem Hinweis, wir sollten nicht zu lange hier verweilen, sonst würden wir uns noch verkühlen. Was mich anging, stimmte ich ihr dazu, doch Geralt mit einer Erkältung konnte ich mir nur schwer vorstellen. Dennoch nickte auch der Hexer nur brav ob Marlenes mütterlicher Mahnung.
Anfangs hatten sich Dean und Sam noch kreischend über den Vorplatz gebalgt und damit die Angestellten Corvo Biancos kräftig erschreckt, doch irgendwann war den Greifen das zu langweilig geworden und sie hatten ihre Runden über dem Anwesen gedreht. Als sie wiederkamen, trug Dean eine dicke Bisamratte im Schnabel, die er stolz vor meine Füße legte. Geralt entlockte das ein leises Glucksen. „Vielleicht sind die Viecher doch nützlich", kommentierte der Hexer trocken. Ich warf Geralt einen finsteren Blick zu. „Sie sind entzückend. Auch dann, wenn sie kein Ungeziefer fangen", bekräftigte ich, ehe ich mir die Ratte besah. Mit den Tieren an sich hatte ich kein Problem, doch halb zerkaut und mit heraushängenden Gedärmen war die riesige Ratte nicht unbedingt besonders appetitlich. Dass ich von dem kleinen Geschenk nicht so richtig angetan war, schienen die Winchesters nicht wirklich zu merken, denn besonders Dean stieß mich mehrmals an, um meine Aufmerksamkeit vollends auf das tote Tier zu lenken. Seufzend strich ich erst den beiden Greifen durchs Gefieder. „Das habt ihr gut gemacht", lobte ich sie und schickte zugleich ein stummes Stoßgebet zum Himmel, dass sie nicht allzu bald von Bisamratten auf größere beute umsteigen würden. Wenn sie anfingen, Schafe oder Ziegen zu reißen, würde sich bestimmt niemand mehr über ihre Jagderfolge freuen.
„Meinst du, wir sehen Regis und Dettlaff nochmal wieder?", meinte ich nach einer Weile einfach in die Stille hinein. Die einzige Reaktion, die ich Geralt damit entlocken konnte, war ein gutturales Brummen, das alles oder auch nichts bedeuten konnte. Was hatte ich auch anderes von ihm erwartet? Gesprächig war der Hexer nun einmal wirklich nicht. Umso überraschter war ich, als ich doch noch eine Antwort auf meine Frage erhielt, wenngleich von anderer Stelle. „In der Tat." Überrascht wandte ich meinen Blick in Richtung des Sprechenden. Regis' Züge zierte ein Lächeln. Ich hatte ihn und Dettlaff, der einem Schatten gleich hinter Regis stand, nicht kommen sehen. „Regis! Dettlaff! Ich dachte...", begann ich verdattert, beendete meinen Satz jedoch nicht. „Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es verfrüht wäre, überstürzt aufzubrechen", erklärte Regis mit einem vielsagenden Schmunzeln, das ich nicht so richtig zu deuten wusste. Mein Blick wanderte zu Dettlaff, doch dessen steinerner, fast verbissen anmutender Miene, konnte ich noch weniger entnehmen, was Regis andeuten wollte. „Machts euch bequem. Hole uns noch was zu trinken", brummte Geralt und erhob sich. „Lass mich dich begleiten, mein Freund. Es gibt da eine Sache, die ich ohnehin noch mit dir besprechen wollte." Ob er Geralt auch nochmal nach dem Katakan fragen wollte? Ich hoffte es, sagte aber nichts, als der Vampir dem Weißen Wolf ins Haus folgte.

Wortlos nahm Dettlaff neben mir Platz. Eigentlich hatte ich erwartet, dass er einfach schweigen würde, bis Regis und Geralt wiederkamen, doch der Vampir überrascht mich, indem er die Stille durchbrach. „Ich habe versäumt, dir für alles zu danken, was du getan hast", meinte er und klang dabei, als habe er sich diese Worte schon eine ganze Weile zurechtgelegt, korrigierte sich dann aber und meinte: „Was du für mich getan hast, obgleich ich dir ein Fremder war." Ich runzelte die Stirn, nickte dann aber, bevor ich den Kopf schüttelte. „Nicht so fremd", widersprach ich mit einem schiefen Grinsen. „Aber gern geschehen. Ich würde es jederzeit wieder tun. Es war das Richtige." „Das Richtige", wiederholte Dettlaff leise, fast seufzend, also nickte ich bekräftigend. „Ja. Es ist nicht deine Schuld, was passiert ist. Jeder, der jemals geliebt hat, würde verstehen, wieso du getan hast, was du getan hast. Für unsere Lieben würden wir eben alles tun." Im Grunde wiederholte ich mich, aber ich schätzte, es würde noch lange dauern, bis meine Worte Dettlaff wirklich begreiflich würden. Wie sehr die Schuldgefühle an ihm fraßen, hatte man ihm Spiel kaum mitbekommen, sehr wohl aber seinen Zorn auf alle Menschen. Und all das nur wegen Syanna. Alles nur, weil sie ihre Rache über alles gestellt hatte, gleichgültig ob der Gefühle, die sie damit ausnutzte. Auch jetzt noch kochte in mir etwas hoch, wenn ich nur daran dachte, dass diese verdammte Intrigantin jetzt gemütlich in einem kuschelweichen Bett lag und sich den Tag über mit Leckereien hatte verwöhnen lassen, die man ihr im herzoglichen Palast kredenzte, während alle Schuld auf Dettlaff geschoben wurde, als sei der ein wahllos mordendes Ungeheuer.
„Ihr Menschen seid wirklich so unterschiedlich, wie es nur geht", sinnierte Dettlaff, nachdem er mich eine Weile einfach nur angestarrt hatte, als überlege er angestrengt, wie er seine Gedanken in Worte fassen sollte. Ich grinste, ohne zu zögern. „Angesichts des Vergleichs werte ich das als großes Kompliment." Dass sein Angelpunkt dabei noch immer Syanna war, war ja nicht schwer zu erraten und mit ihr nicht auf eine Ebene gestellt zu werden, konnte ich nur als etwas Gutes empfinden. Ob mein Einwirken letztlich dazu geführt hatte, dass Dettlaff sich nicht für lange Zeit von allen Menschen abkapselte, sondern ihnen vielleicht doch noch eine Chance gab, würde wohl erst die Zeit zeigen. Zumindest gab es Grund zu hoffen. „Mach dir nicht so viele Gedanken darum, Dettlaff. Genauso wenig wie alle Vampire gleich sind, sind alle Menschen gleich. Und dabei würde ich noch immer unterschreiben, dass die meisten Menschen einfach kacke sind", bemerkte ich trocken, bevor ich dem Vampir freundschaftlich die Schulter tätschelte. „Es ist nicht immer einfach, aber wenn man dran bleibt, findet man die wenigen, die es wert sind, dass man ihnen vertraut und sich ihnen widmet." Dettlaffs Miene verfinsterte sich kurz, dann hellte sie sich auf und er nickte.
Genau in diesem Moment kehrten auch Geralt und Regis zurück, bewaffnet mit mehreren Flaschen aus dunklem Glas und einem Tonkrug, über dessen Inhalt ich vielleicht lieber nichts Genaues wissen wollte. Zu meiner Erleichterung drückte Geralt mir wortlos einen Holzbecher in die Hand, aus dem zwar ein süßer Geruch aufstieg, der mich jedoch nicht an Wein erinnerte. „Und worauf trinken wir?", wandte sich Geralt an unsere illustre Runde, die einen Moment lang beredt schwieg, ehe Regis meine. „Trinken wir auf den Abend eines ruhigen Tages. Auf dass weitere folgen mögen." Der Vampir ließ sich von Geralt aus einer der Flaschen einschenken und wartete geduldig, bis auch Dettlaff und der Hexer versorgt waren, ehe er seinen Becher hob. „Auf den Abend", brummte Geralt einstimmend. Mit einem hölzernen Klicken stießen unsere Becher gegeneinander.

Blood and Whine (Witcher III)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt