Lange Schatten

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„Jeder Zauber hat seinen Preis", antwortete Theodor ausweichend, doch jeder von uns wusste wohl, was er damit letztlich sagen wollte. Der Preis für den Zauber, den ich ausgesprochen hatte, war ein Leben - aber nicht meines, sondern Theodors. Ich hatte das Gefühl, als habe sich ein dicker, klebriger Ball in meinem Hals eingenistet, den ich einfach nicht herunterschlucken konnte. Auch wenn ich es nicht gewollt hatte, hatte ich indirekt mit meiner Entscheidung, den Zauber zu benutzen, jemandem das Leben genommen. Es wäre fairer gewesen, wenn ich den Preis bezahlt hätte. Wie versteinert starrte ich Theodor an, der mich nachsichtig anlächelte. "Du hast es nicht gewusst", meinte Dettlaff schließlich und durchbrach damit die Stille, die über unserer kleinen Gruppe gelegen hatte. Vermutlich fragte sich in diesem Moment noch jeder, wieso Theodor dann hatte sterben müssen und nicht ich, die den Zauber ausgesprochen hatte. Ich schüttelte den Kopf. "Nein, ich hatte keine Ahnung", murmelte ich tonlos zurück. „Der Zauber sprach von einem Opfer, aber..." Unvollendet ließ ich den Satz in der Luft hängen. "Kein Grund für Tränen, werteste Daelis", entgegnete Theodor. „Es war meine Entscheidung - oder wird es sein. Nur durch deinen Tod innerhalb der Zeitschleife und meinen endgültigen, war es möglich, dem Zauber sein Opfer zu gewähren und dafür zu sorgen, dass du nicht in der Zeitschleife gefangen bleibst. Außerdem ist es ohnehin besser, wenn es nicht zwei von mir in der gleichen Zeit gibt. Ein solches Paradoxon könnte ungeahnte Folgen haben." Er verstummte für einen Augenblick und blickte dann erst zu Dettlaff, dann zu Regis. "Es ist nur rechtens, wenn unsere Art den Preis für die Vernichtung Kruls entrichtet, die schließlich auch eine von uns war. Vielmehr danke ich Euch für Eure Unterstützung in diesem Kampf, Daelis. Und natürlich auch Euch, Geralt von Riva."
Ein heiseres Lachen sammelte sich in meiner Kehle. Meine Unterstützung? Scheiße, ich würde ihn töten! Wie konnte er das nur sagen? Und wieso hatte der Zauberer, der ihn hergeschickt hatte, nicht selbst Krul in der Zeit eingefroren? Was geschah in der Zukunft, dass eine Zeitreise als einziger Ausweg erschienen war? Wir würden es vermutlich nie erfahren, keiner von uns - außer Theodor, doch der würde nichts von preisgeben. Schniefend wischte ich mir über die Augen. Gerne hätte ich so getan, als berühre mich all das nicht, besonders, da ich die Einzige hier zu sein schien, die die ganze Sache mitnahm. Geralt schaute genauso grimmig wie immer, Regis' Miene war nachdenklich und Theodor lächelte, wobei ich den sowieso nicht durchschauen konnte. Allein Dettlaffs Miene zeigte Betroffenheit, doch dessen Blick ruhte auf mir, nicht auf Theodor. "Regis sprach davon, dass auch du durch die Zeit gereist bist", ergriff Dettlaff das Wort, als sich unsere Blicke trafen. Ich nickte und schüttelte dann den Kopf. "So etwas ähnliches. Es ist schwierig zu erklären und ich... ich kann nicht. Also ich möchte gerne, aber ich kann wirklich nicht. Rein körperlich nicht", versuchte ich mich zu erklären. Dettlaffs Stirn legte sich in Falten, doch er erwiderte nichts, sondern schwieg für einen Moment, ehe er fragte: "Warum hast du mich über Syanna belogen?"

Ich seufzte. Auf diese Frage hatte ich gewartet, aber sie zugleich auch gefürchtet. Gefühlt war es völlig egal, was ich darauf antwortete, weil keine Antwort wirklich eine richtige Rechtfertigung sein konnte. Am Ende blieb es eben ein Fakt, dass ich Dettlaff darüber belogen hatte, wer ich war und vor allem, wie ich zu Syanna stand. Zumindest jetzt aber könnte ich versuchen, so ehrlich wie möglich zu sein. "Weil ich dir helfen wollte, aber du mir niemals geglaubt hättest, wenn ich versucht hätte, dir zu erklären, was Syanna im Schilde führt und dass sie dich benutzt." Unsicher biss ich mir auf die Unterlippe. "An deiner Stelle hätte ich das auch nicht. Immerhin... naja... du liebst sie. Wieso hättest du einer Fremden Glauben schenken sollen, die schlecht über sie spricht?" Aus den Augenwinkeln warf ich einen hilfesuchenden Blick in Regis' Richtung. Zum Glück ließ mich der ergraute Vampir nicht im Stich, sondern sprang mir, wie auf ein Stichwort, bei. "Auch uns gegenüber war es Daelis nicht möglich, die volle Wahrheit über ihre Herkunft zu enthüllen - bis heute nicht. Es scheint, eine uns unbekannte Macht verhindert es", warf Regis ein, dem ich eilig zunickte. "Stimmt. Wann immer ich versuche, alles zu erklären oder Dinge preiszugeben, die noch nicht passiert sind, bringe ich einfach keinen Ton heraus", fügte ich seufzend hinzu.
"Also wusstest du von Syannas Fluch und ihrer Verbindung zu Krul?", wollte Dettlaff nun wissen, wirkte jedoch nicht so, als wäre das wirklich, was ihm durch den Kopf ging. Das wunderte mich überhaupt nicht. Immerhin hatte er erst erfahren müssen, dass seine Liebste ihn ausgenutzt hatte und als wäre das nicht genug, hatte sich Krul eingemischt, die ihn um eine Erklärung seitens Syanna gebracht hatte. "Nein, von Krul hatte ich keine Ahnung. Ich wusste zwar, dass Syanna unter der Schwarzen Sonne geboren wurde, aber... um ehrlich zu sein, hab ich das nicht sehr ernst genommen", gab ich kleinlaut zu. "Ich meine, es wird doch jeder wütend und sucht eventuell Rache, wenn er unbegründet schlecht behandelt und fortgejagt wird." Dass ich ob dieser Worte mehr an Renfri als Syanna dachte, behielt ich für mich. "Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass der Fluch der Schwarzen Sonne mit einem Vampir zusammenhängen könnte, wirklich nicht. Aber ich wusste, dass sie die Morde plante und dich erpresste", fügte ich immer leiser werdend hinzu. Dettlaffs Miene war ernst, aber unbewegt. Eine unangenehme Stimmung lag in der Luft, doch ich sprach weiter. Es musste ja sowieso raus und besser, ich sagte nun die Wahrheit, als dass Dettlaff von jemand anderes erfuhr, worin ich ihn belogen hatte. "Da ich den ganzen Komplott kannte und auch Versionen der Zukunft, die daraus erwachsen könnten, habe ich versucht, eine bestimmte herbeizuführen ohne den Zeitverlauf zu verändern." "Klingt nach Blödsinn", brummte Geralt leise. Wütend funkelte ich den Hexer an. "Man darf nicht einfach in der Zeit herumpfuschen! Ganz besonders heute sollte das doch eigentlich sehr deutlich gezeigt haben!", empörte ich mich. "Und da ich, genau wie der Zukunft-Theodor nicht wirklich hierher gehöre, habe ich gedacht, es wäre besser, wenn meine Anwesenheit eben keine Veränderung bedeutet", murmelte ich schließlich. "Hat ja nicht so toll geklappt", entgegnete Geralt knapp. Mich rechtfertigend gab ich zurück: "Immerhin habe ich es versucht!"

Blood and Whine (Witcher III)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt