Die Nacht der langen Zähne

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Wie erwartet, waren Regis und Geralt beide nicht besonders erfreut über meine Verspätung. So wie der Hexer guckte, hatte er Regis auch schon zurechtgewiesen, weil der mich überhaupt erst unbeaufsichtigt gelassen hatte. Man könnte meinen, ich wäre ein kleines Mädchen, dass immer einen Aufpasser brauchte. Missmutig ließ ich Geralts Standpauke über mich ergehen, ehe ich kurz zusammenfasste, wo ich gewesen war und was ich so getrieben hatte. Während die Geschichte über Reginalds verschwundene Kronjuwelen den Hexer noch eindeutig amüsierte, wirkte er ob der Geschichte der zwei Geister direkt wieder miesepetrig, woran sich auch nichts änderte, als ich ihm verriet, wo er eine sehr seltene Gwent-Karte bergen konnte.

"Das war ziemlich unvorsichtig. Nachts auf einem Friedhof herumzulungern...", bemerkte er grollend. Giftig starrte ich Geralt an. "Du hast mich selbst auf einem zurückgelassen und auf dem gibt es obendrein Monster", zischte ich. Geralt sog scharf die Luft ein, mich wütend anfunkelnd. "Dass du so über Regis spri-" "Nicht Regis!", unterbrach ich den Weißen Wolf ungehalten. "Ich meine die Viecher in den Gängen. Regis ist ebensowenig ein Monster wie du oder ich." Einen Moment lang starrte Geralt mich nur an und ich konnte auch Regis' Blick auf mir spüren, ehe der Hexer seufzte und einlenkte. "Na meinetwegen, aber dennoch solltest du solche offensichtlichen Gefahren meiden. Du bist kein Hexer und nur, weil dir zwei Greifen im Moment noch aus der Hand fressen, heißt das nicht, dass das so bleiben muss." Ja Mama. Ich verbiss mir jede Erwiderung.

"Was machen wir jetzt wegen Syanna?", wechselte ich also das Thema. "Dettlaff will sie übermorgen schon sehen, sonst werden die Vampire über die Stadt herfallen." Nicht, dass sie das nicht sowieso würden. Das konnte niemand mehr verhindern, doch wenn Syanna nicht kam, würde Dettlaff versuchen, Geralt zu töten und seine Drohung wahr machen, die Stadt auszulöschen. Und wenn Geralt nicht starb, tat es Dettlaff. Beide Varianten wollte ich lieber vermeiden und damit war ich bestimmt nicht alleine. Mein Blick suchte von ganz allein den von Regis, der ernst nickte. "Zwar bezweifle ich, dass die Herzogin es gutheißen wird, wenn wir ihr vorschlagen, Syanna auszuhändigen, doch ich bin ebenfalls der Ansicht, dass sie sich Dettlaff erklären sollte, wenn wir hoffen wollen, eine friedliche Lösung zu finden." Er ahnte ja nicht, dass Anna Henrietta nicht nur dagegen war, sondern ihre Schwester gut versteckt hatte. Zum Glück wusste ich aber, wo. So sparten wir Zeit und vielleicht könnten wir verhindern, dass die Vampire die Stadt zu übel zerlegten, ehe wir mit Syanna im Schlepptau nach Tesham Mutna kamen. Geralt nickte grimmig. "Hoffen wir, dass das funktioniert, sonst..." Er ließ den Satz unbeendet, doch wir wussten wohl alle sehr genau, was der Hexer sagen wollte und ich wusste, zu welcher Situation uns ein Kampf Geralt gegen Dettlaff führen würde. Einer von ihnen müsste sterben und gleich welcher, Regis würde leiden ob der Schuldgefühle, einen Freund dem Tod überantwortet zu haben. Ein Schicksal, dass ich weder Regis wünschte, noch Dettlaff oder Geralt.

Dass ich den nächsten Tag jedoch unter Hausarrest in der Gruft verbringen musste, weil Geralt wegen meines kleinen Alleingangs stinksauer auf mich war, gehörte nicht zu meinem Plan. Regis war zum Aufpassen verdonnert worden und warf mir immer wieder entschuldigende Blicke zu, wenn ich eindeutig missgelaunt von einem Buch aufsah. Mangels besserer Beschäftigung hatte ich mich nämlich schnell wieder der kleinen Bibliothek zugewandt, welche Regis sein Eigen nannte. Morgen Abend, sagte ich mir, wäre es schon soweit. Drei Tage wären um und dann würde die Nacht der langen Zähne beginnen. Diese Nacht musste ich unbedingt ausruhen und schlafen, ebenso den Tag, damit ich dann am morgigen Abend und vor allem nachts während des Angriffs, fit wäre. Zwar würde mir das in keinem Kampf helfen, doch ich müsste immerhin irgendwie versuchen, mit Regis und Geralt mitzuhalten, deren physische Fähigkeiten meine locker in den Schatten stellten.

Wenn ich Regis auch nicht sagen konnte, was genau uns erwartete, so war ich doch sicher, dass er ebenso angespannt war, wie ich selbst. Er kannte Dettlaff wohl besser als jeder andere und wusste, wozu sein Blutsbruder fähig war. Ebenso, wie wir beide wussten, dass die einzig sichere Möglichkeit, ihn jetzt zu stoppen, wäre, den Unsichtbaren aufzusuchen. Eine Option, die ihm vielleicht in den Sinn gekommen war, ich jedoch nicht einmal in Erwägung zog. Kam nicht in Frage. Vermutlich war es ziemlich arrogant von mir, das zu hoffen, aber ich wollte dennoch glauben, dass niemand sterben müsste, abgesehen vielleicht von Syanna, die den Tod nach hiesigem Recht sowieso verdient hätte, wäre sie nicht zufällig die Schwester der Herzogin. Dass Annarietta trotz allem und dem Wissen, dass sie das finale Ziele in Syannas Racheplan gewesen wäre, dennoch unbedingt ihre Schwester von aller Schuld frei sprach und obendrein Dettlaff allein verurteilte, hatte mich schon im Spiel wütend gemacht. Wie konnte man nur so blind sein?

Blood and Whine (Witcher III)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt